Wagner in China [2] Xie Xin trägt Siegfried
15.02.2013

Dank einiger bekannter Stücke - der „Hochzeitsmarsch“ oder die Ouvertüre zu „Tannhäuser“ - war mir der Name Richard Wagner schon in meiner Kindheit geläufig. In der Mittelschule habe ich dann mehr Werke von ihm kennen gelernt. Damals befand ich mich gerade in der Pubertät, und ich erinnere mich, dass ich mir einmal in der Bibliothek das „Siegfried-Idyll“ ausgeliehen hatte. Als ich es auf dem Klavier zu spielen versuchte, überkam mich plötzlich ein ganz eigenartiges Gefühl. Damals dachte ich: So muss sich die Liebe anfühlen.
Von da an wuchs meine Liebe zu Wagner, und es war mir ein Vergnügen, die verschiedenen CD-Aufnahmen des „Rings“ anzuhören. Mit Freunden diskutierte ich auch oft zum Spaß die „Ring“-Interpretation von Karajan oder Boulez, und beim Essen schlug ich mit den Stäbchen den Takt von „Mime“. Langsam war meine Begeisterung in blinde Verehrung umgeschlagen. Als mein Vater einmal ganz unerwartet auf dem Markt ein Hemd mit einem Siegfried darauf (natürlich „made in China“) erstand, war ich total überwältigt. Und als Anti-Viren-Software wählte ich natürlich „Norton“.
Als ich während des Grundstudiums an der Universität Wagners Biografie las, musste ich entdecken, dass ich mich für Wagners Geschichte und Ästhetik eigentlich gar nicht besonders interessierte, mich aber seine Musik selbst faszinierte. Auf Amazon bestellte ich einige Partituren seiner Opern und begann, mich für seine Instrumentierung zu interessieren. Gleichzeitig faszinierten mich auch Mahlers Arbeiten, weil man viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden finden kann. Zum Beispiel kann man in Mahlers „2. Sinfonie“ sehr gut die musikalische Sprache von „Siegfried“ spüren. Ich kann natürlich nicht sagen, ob sich Mahler dessen bewusst war oder nicht.
Die Subdominante als farbiger Lichtstrahl
Wenn ich Wagners Musik höre, dann bin ich immer wieder überrascht, denn ich hatte noch bei keiner anderen Musik etwas gehört, was mit dem Anfang von „Rheingold“ vergleichbar wäre, der nur mit ein paar Minuten eines tiefen Es-Dur-Akkords eine solche Atmosphäre zu schaffen vermag. Man kann sich vorstellen, welches Gefühl es ist, wenn man nach diesem Akkord die erste Subdominante hört! Das ist dann keine normale Subdominante mehr, sondern ein sublimierter, faszinierender farbiger Lichtstrahl. Diesen Lichtstrahl kann man in der Partitur nicht sehen, aber er war ganz von Anfang an in Wagners Kopf. Diese Passage war ein Beispiel dafür, wie aus einem Minimum an Musik etwas geschaffen werden kann, und es dauerte ein halbes Jahrhundert, bis diese Idee wieder aufgegriffen wurde.
In Deutschland habe ich dann entdeckt, dass bei weitem nicht alle Musiker Wagner so sehr verehren wie ich. Sehr viele mögen ihn aus politischen Gründen, aufgrund unterschiedlicher ästhetischer Auffassungen oder wegen Hitler nicht. Mir ist es natürlich nicht möglich, mit dem Blick eines Deutschen auf Wagner zu schauen, aber auch die Deutschen selbst sind geteilter Auffassung. Jetzt lese ich manchmal Bücher über Wagners Denken, und auch wenn ich vielem nicht zustimmen kann, so zählen seine Werke nach wie vor zu jenen, die mich am stärksten beeinflusst haben.
Xie Xin
1982 in Harbin geboren, studiert Komposition an der Robert Schumann-Hochschule Düsseldorf.
1982 in Harbin geboren, studiert Komposition an der Robert Schumann-Hochschule Düsseldorf.
Geschrieben von Redaktion
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Aufgenommen: Feb 15, 14:24