Deutsch lernen mit Wagner [27] mild
28.08.2013
Birgit Nilsson. Sie braucht keine Bühne um mild zu "läscheln" (sic!)
Hand aufs Herz: Woran denken Sie, wenn sie "mild" hören? Wahrscheinlich auch an magenschonenenden Kaffee, wie Dreiviertel der Befragten in meiner nicht-repräsentativen Umfrage neulich am Lohengrill? Oder an harmlosen Ziegenkäse?
Ja, so weit ist es gekommen, dass eines der schönsten deutschen Worte nur noch in dieser runtergedimmten Bedeutung bekannt ist. Denn es handelt sich bei mild, wie Grimm schreibt, um "ein uraltes gemeingermanisches […] wort. eine genau vergleichbare bildung in urverwandten sprachen fehlt; mild ist auf germanischem boden entstanden", und zwar, so führt Grimm aus, "als bezeichnung der nötigen eigenschaft eines geschlechtsoberhaupts."
Man kann den Begriffswandel des Wortes "mild" nun natürlich auf das demokratisch gewandelte Verständnis von "Geschlechtsoberhäuptern" schieben. "Milde" haben wir von unseren gewählten Herrschen nicht mehr zu erwarten, allenfalls "soziale Gerechtigkeit". In Wagners Ritter- und Götterwelt jedoch gibt es noch "Milde" und es das Wort taucht als Adjektiv wie als Substantiv insgesamt 35-mal auf. Weit seltener damit immer noch als das in jüngeren Wörterbüchern als bedeutungserklärend angegebene "sanft" (61 mal), weit häufiger jedoch als gütig (2 mal) oder gar großherzig (kommt in Wagners Libretti gar nicht vor ... )
Am häufigsten fällt der Begriff mild in "Tristan und Isolde" und hier eben auch nicht in seinen jüngeren Bedeutungsnuancen, die meist eine Form der Beruhigung, Mäßigung, Entschärfung mit einschließt, sondern im Sinne jener liebenden Fürsorge, wie sie dem guten Herrscher zu eigen sein soll. Es schwingt ein ethischer Imperativ mit in dem Attribut, das man einem Herrscher mit "Milde" verleiht.
Von edler Art
und mildem Mut,
[…]
der güt'ge König,
mild besorgt,
die Mühen der langen Fahrt,
die du littest, laut beklagt':
[…]
da erdämmerte mild
erhabner Macht
im Busen mir die Nacht;
[…]
Wie sie selig,
hehr und milde
wandelt durch
des Meers Gefilde?
[…]
Mild und leise
wie er lächelt,
wie das Auge
hold er öffnet ---
Vergessen wir auch hier nicht, wie wunderbar sich das Wort "mild" bei geschlossenem Mund einblenden lässt, wie es sein eigenes Fade-In einprogrammiert hat, wie es sich also zu einem zauberhaften Klangspiel verwenden lässt. So setzt Wagner es ein in einem seiner schönsten gedichtet-verdichteten Momenten, am Beginn von Isoldes Abschied (in dem das Wort noch mehrfach fällt ... )
eher schrill als mild. aber dafür im bislang allerschönsten tristan-bühnenbild aller zeiten.
Und mit Milde möchte ich mich nun von Ihnen verabschieden in der Deutschstunde mit Wagner. Nach den vergangenen Wochen und Monaten frage ich mich mehr denn je, warum das Goethe-Institut nicht Wagner-Institut heißt. in unserem allerletzten Eintrag werden wir, die Ritterlichen vom Ringkampf, Wagner und Goethe noch einmal zusammenbringen. Denn der gute Joe hat heute Geburstag, 264 Jahre ist er alt! (Also noch mindestens 11 Jahre bis zum nächsten Goethe-Jahr, schätz ich mal!)
Folgende Worte fanden wir nach Goethes Abreise auf die Papiertischdecke des Lohengrills gekritzelt.
Ich sah dich, und die milde Freude
Floß aus dem süßen Blick auf mich.
Ganz war mein Herz an deiner Seite,
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Lag auf dem lieblichen Gesicht
Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter,
Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht.
Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!
[unleserlich]
Du gingst, ich stund und sah zur Erden
Und sah dir nach mit nassem Blick.
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden,
Und lieben, Götter, welch ein Glück!
Danke fürs treue Lesen. Auf ein mildes Wiedersehen im nächsten Wagner-Jahr 2033.
Waltraud Meier mild in der Inszenierung von Peter Konwitschny
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