Wagner in Tallinn - Mein Tristan
28.03.2013

von Linnar Priimägi, Estland
Meine Liebe, ja, meinen Hang zu Wagner hat Thomas Mann entzündet. Mit seiner Tristan-Novelle. „Es gibt Oktobertage, die wie ein Wunder sind“, und an einem solchen wurde einem Germanistikstudenten die Aufgabe erteilt, in der darauffolgenden Woche über diese Novelle zu sprechen. Der Auftraggeber war Kathederleiter Juhan Tuldava, ehemaliger Sowjetspion in Schweden, wie man munkelte – und das verlieh der literarischen Mission einen besonderen, spannenden, gefährlichen Hauch. Man fühlte sich wie mit einer sensiblen Aufklärungsaktion betraut.
Der Vortrag, mit Verve vorbereitet, war ein Erfolg. Ich sprach wie angesteckt vom Wortschatz, vom sprachlichen Duktus des sich empor tastenden Senatorensohnes. Ich spielte dem Auditorium die Ouvertüre zu Wagners Tristan-Oper vor. Da... da... da klingt er! Der Tristan-Akkord! ... Ich sah den Zuhörern an, wie sie den Höhepunkt aller Musik überhörten. Ach, ich hätte wie das Wunderkind aus einer anderen Novelle den Kopf rückwärts werfen müssen, ich hätte sie aufmerksam machen sollen, indem ich ohnmächtig hinfalle – das hätte sie aber sanitätisch-wohltätisch missleitet, von der Musik noch weiter weggeführt zum Profanen, vielleicht zur erwünschten Erleichterung so mancher. Also genossen wir zwei, der Ex-Spion und ich, in geheimer seelischer Union und unisono die Erlesenheit der Vokabeln „Aszendenz“, „Dekadenz“,„morbid“, „hinschmachtend“ – und das Erkorensein musica wagneriana.
Das war der Anfang einer großen fortwährenden Liebe. Ich habe geliebt und bin treu geblieben: Goethe, Dürer, Hegel. Das sind Schatten, deren Wohlwollen mir wichtig ist. Vor denen ich mich allezeit schämen kann (!) – meine Zeitgenossen sind es nicht unbedingt. Nun reihte sich ihnen Richard Wagner an.
Der Spion lieh mir aus seiner Bibliothek Nietzsches Schmähschriften contra Wagner. Die genoss ich mit besonderem Triumph, da ich bereits die Seite gewählt, Farbe gezeigt und gesiegt hatte. Ich durchschaute den Enttäuschten, seine hohle Rhetorik, die seine perfide Rachesucht kaum stauchen konnte.
„Wenn ich Wagnern den Krieg mache“ hieß das Buch, das ich an dieser Mitternacht in Wahnfried geschenkt bekam. Vom Autor, Manfred Eger selbst, dem Direktor des Museums. „Es gibt Oktobertage, die wie ein Wunder sind ...“ An dem Tage wurde ich nach Bayreuth befördert, von der damals lieblichsten Person, Christiane Zentgraf, der Mitarbeiterin des Instituts für Musiktheaterforschung in Thurnau, der reizendsten Frau Frankens. Sie war die Hauptgründerin der Europäischen Musiktheaterakademie, ich einer der Mitgründer. Außerdem stand sie Wolfgang Wagner labyrinthisch nah und hatte uns auch miteinander bekannt gemacht. So ergab es sich, dass ich eines Mitternachts im Salon Wahnfried dahinschmolz und der Tristan-Ouvertüre lauschte, die speziell meinetwegen aufgelegt war.
Meinen Sohn hatte ich Tristan genannt. Der Name mutete uns mit Sirje, meiner seligen Frau, nicht im geringsten trist an. Er klang zart, fragil, graziös. Wie auf einem Saiteninstrument, wie auf einem Stradivarius gezogen. Oder eher: Cello,Viola d'amore, die Thomas Mann in seinem Doktor Faustus nonchalant anrührt. Übrigens, mein Tristan fragte mit fünf Jahren, weswegen wir ihm so einen „Zirkusnamen“gegeben hätten. „Tristan“, erwiderte ich damals, „erstens nennt sich keiner im Zirkus mit so einem verträumten Namen, und zweitens, wie hättest du gewollt, genannt zu werden?“ – „Urmas“, antwortete er, weil damals ein Verwandter dieses ordinären Namens bei uns sachkundig Mobiliar einrichtete und für den Kleinen höchstens nachahmenswert schien. „Urmasse gibt es genug“, sagte ich, „aber Tristan bist du allein.“ Jetzt merke ich, dass es derer schon mehrere gibt. Ich habe den Namen mit meinem Sohn in Estland eingeführt, schmeichle ich mir mitunter – vielleicht gar nicht zu Unrecht.
Damals in Wahnfried blieb es nicht beim Salon. Wir stiegen zu dritt in den Keller hinab ... Wir näherten uns dem eisernen Safe ... Da schlug für mich eine der Sternstunden der Menschheit! Ich durfte die Originalpartitur von Tristan und Isolde in meine zitternden Hände nehmen. Kirschrotsammet eingebunden, mit höchstpersönlicher eigenhändiger Titulatur: „Richard Wagner. Tristan und Isolde.“ Das war einmalig. Einmalig... Wie zweideutig ist das Wort!
Es war einmal... „Es gibt Oktobertage, die wie ein Wunder sind.“

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Aufgenommen: Mär 27, 16:59