Wagner und Buddhismus
01.08.2013

Wagner und Buddhismus
Kurze deutsche Zusammenfassung von Michael von Brück:
(Für die Originalfassung des Vortrags in englischer Sprache wählen Sie bitte die englische Sprachfassung dieser Seite aus)
Die 1848er Revolution in Deutschland war gescheitert. Wagner setzt hinfort auf eine ästhetische Lösung der Widersprüche im Gesamtkunstwerk. Er löst das Politische auf ins Ästhetisch-Spirituelle, die alte Kultur der Entzweiungen soll überwunden werden in der Kunstreligion, die Einheit jenseits der Gegensätze schafft. Das Gesamtkunstwerk suggeriert die Gesamt-Welt als Ritual. Wagner selbst kann aber den Widerspruch zur sozialen Alltagswelt nicht auflösen: in seinen Streitschriften zerstört er das, was er im Gestus der künstlerisch-musikalischen Vision erträumt: die Verklärung zur Alleinheit, wie sie im Tristan und im Parsifal inszeniert wird. Aber genau dies wird zerrissen von seinen antisemitischen Tiraden im Gerede über eine schöpferische „Originalität“ die „dem Juden“ im Gegensatz zum Deutschen nicht zukomme.
Wagner wusste, dass er noch nicht am Ziel angekommen war. Er suchte und fand die Lösung seit 1854 in der Mitleidsethik und Allversöhnung, wie sie Schopenhauer mittels der Inspiration vom Buddhismus her entworfen hatte. Demnach sind alle Lebewesen nicht Einzelne, die sich gegeneinander behaupten müssen, sondern ein Netz der Einheit, das sich nur individuell verschieden ausprägt: der andere ist nicht wirklich anders, sondern Teil von mir selbst. Damit ist die Hinwendung, ja Liebe zu anderen natürlich begründet.
Wagner las alles über den Buddhismus, was ihm in die Hände kam und berichtete König Ludwig darüber. Seine geplante Buddha-Oper („Die Sieger“) kündigt er schon 1865 gegenüber Ludwig II. für die Spielzeit 1870/71 an. Die Tagebücher Cosimas (1869-1883) zeigen, wie intensiv sein Denken um den Buddhismus kreiste. Demnach stellte er jene Oper zwar zurück (weil sie ein fremdes Sujet hätte, von dem er keine direkte sinnliche Erfahrung hätte, was für einen Künstler unabdingbar sei), aber noch im November1873 hofft er, dass er als Achtzigjähriger dieses Werk vollenden könne. Aber im Tristan und im Parsifal sind die buddhistischen Töne unüberhörbar: im Text wie in der Musik. Im Text: Die Allversöhnung wird durch ein höheres Bewusstsein möglich, der Held wird „ein-bewußt“ in das Ganze eingehen, eine Aufhebung des Individuellen ins Transpersonale (Isolde singt: „Ich bin Tristan“, und Tristan singt: Ich bin Isolde“). Und ihre Verklärung am Schluß ist genau das, was Schopenhauer als buddhistisch dargestellt hatte: „Ohne Nennen, ohne Trennen, neu Erkennen, neu Entbrennen; ewig endlos, ein-bewußt.“ Ebenso ist es in den Wesendonck-Liedern, die ja im Umfeld des Tristan entstanden sind. Die (unmögliche) Liebe zu Mathilde wird aufgelöst auf einer transpersonalen Ebene. Eine Einheit der Widersprüche, wie sie auch die europäische Mystik kennt.
Wagner ging regelmäßig zur Kirche. Er wandte sich gleichzeitig dem Buddhismus zu. Dabei knüpfte er an die Indien-Begeisterung an, wie sie Goethe, Friedrich Schlegel, Wilhelm von Humboldt und andere ergriffen hatte. Wagner - eine interreligiöse Existenz am Ende des 19. Jahrhunderts.

Michael von Brück hat fünfzehn bedeutende Bücher geschrieben und um die zweihundert Essays über Theologie, Buddhismus, Hinduismus und das Zusammenspiel der Weltreligionen für Zeitschriften in der ganzen Welt.
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10:00
Tags für diesen Artikel: buddhism, buddhismus, dalai lama, die sieger, Literatur, parsifal, religion, san francisco, schopenhauer, tristan und isolde, von brück
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