Der Initiator der Ausstellung, Abdelbasit Attawati, ist Absolvent der Kunsthochschule in Sousse. Neben seiner Haupttätigkeit als Arzt hat er sein Leben ganz der Kunst gewidmet. Ghazi Mabrouk hat die Ausstellung besucht und sich mit ihm unterhalten.
Ghazi Mabrouk:
Warum haben Sie dieses Thema gerade jetzt gewählt?
Abdelbasit Attawati:
Ich will zeigen, welche wichtige Rolle die Graffiti-Kunst während der Revolutionen in Tunesien und Libyen gespielt hat. Sie hat die jungen Leute dazu ermutigt Widerstand zu leisten, und dafür zu kämpfen, dass die Diktaturen in beiden Ländern ein Ende finden. Außerdem möchte ich, dass diese Kunstform, die unter Ben Ali – und überhaupt, in allen arabischen Ländern – vor der Revolution mehr oder weniger verboten war, in Zukunft ein höheres Ansehen genießt. Und ich hoffe natürlich, dass ich damit etwas Gutes für die Nachbarschaft zwischen Tunesien und Libyen tun kann.
Woher stammen die ausgestellten Graffitis?
Ich habe überall in Tunesien und Libyen nach Graffitis Ausschau gehalten, insbesondere in den „heißen“ Gegenden, wo die Proteste ausgebrochen sind und später die schwersten Zusammenstöße zwischen der Bevölkerung und den Sicherheitskräften stattfanden. Zum Beispiel in Sidi Bouzid, der Wiege der tunesischen Revolution, und in Thala, Kasserine, Gafsa und anderen Städten.
Unter welchen Bedingungen haben Sie gearbeitet?
Das war natürlich nicht ganz einfach, weil in beiden Ländern die Sicherheitslage lange Zeit recht instabil war.
Wie sind Sie überhaupt nach Libyen gekommen, während noch Krieg herrschte und unweit der tunesischen Grenze die Gaddafi-Truppen sich heftige Gefechte mit den Rebellen lieferten?
Ich war mit meinem Privatwagen unterwegs. Natürlich war es immer sehr gefährlich, aber ich wollte unbedingt nach Libyen, um dort nach Graffitis zu suchen.
Was war das Schwierigste an Ihrer Arbeit?
Schwierigkeiten gab es unzählige, aber die größte Hürde hat für mich immer darin bestanden, den Leuten klarzumachen, wer ich bin und was ich will. Viele haben mich für einen Hobbyfotografen oder für einen Journalisten gehalten. Wenn sich dann herausstellte, dass ich weder das eine noch das andere war, wurden sie misstrauisch. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass da einer durch die Gegend fährt, bloß um die Malereien an den Wänden zu fotografieren. Vielleicht dachten sie, ich sei ein gefährlicher Spitzel. Vor allem in Libyen ist mir das öfters passiert.
Die Ausstellung trägt das Motto „Sprechende Wände – von Tunis bis Tripolis“. Spielen Sie mit dem Gedanken, die Ausstellung auch in Libyen zu zeigen?
Ja, diese Möglichkeit habe ich durchaus in Betracht gezogen. Aber ich möchte erst noch ein bisschen warten, bis sich die Lage dort etwas beruhigt hat.
Obwohl die ägyptische Revolution früher als die libysche begonnen hat, zeigen Sie keine Graffitis aus Ägypten. Weshalb nicht?
Libyen liegt Tunesien einfach näher, allein schon geografisch.
Wollen Sie sich eines Tages auch mit der ägyptischen Graffiti-Szene beschäftigen?
Ja, daran habe ich auch schon gedacht.
Vielen Dank, Herr Attawati.
Ghazi Mabrouk, 21, Student am Institut für Presse- und Informationswesen in Tunis, hat nach der Revolution vom 14. Januar 2011 zusammen mit Kommilitonen das Online-Magazin „Kalima Hurra“ („Freie Rede“) gegründet: „Wir haben das Projekt selbst finanziert und mussten dazu etwas vom Studiengeld abzweigen, das wir von den Eltern bekommen. Manchmal waren wir gezwungen, Abstriche beim Essen zu machen, damit wir in verschiedene Landesteile reisen konnten, um von dort zu berichten. Eine wunderbare Erfahrung.“ Das Projekt musste inzwischen aus finanziellen Gründen eingestellt werden.