

Auf dem Rückweg vom Markt gehe ich jeden Tag am lieben Frosch vorbei. Noch immer kann ich es nicht fassen, dass in diesem winzigen Laden sechshundert Menschen Pattis Gedankenzug gekauft haben. Ich liebe Patti aus vielen Gründen, jetzt gerade ganz besonders dafür, dass sie die Wirklichkeit, die wir sehen, für magischer hält als das, was wir in unseren Träumen sehen. Was ist Realität? Turku ist es gerade für mich. Für eine Freundin aus Berlin ist diese Stadt Fiktion. Bis vor kurzem wusste sie nicht einmal, dass es sie gibt und dass sie zweisprachig ist. Irgendwo gerate ich immer in diese Gegenden mit mehreren Zeichensystemen.

Und gehe jeden Tag am Dom von Turku vorbei, sehe mir den blauen Himmel über ihn an. Ich sehe lauter kleine Details. Ausschnitte. Fraktale. Die sich vielleicht später in mir zu etwas ganz anderem formieren werden. Am Ende halten wir das Gesehene für unsere eigenen Erinnerungen. Aber wer weiß, vielleicht sammele ich hier durch die Stadt gehend die Blicke und die Erinnerungen all der anderen, die hier einmal vorbeigegangen sind. „Die Erinnerungen sehen uns“, hat einmal Tomas Tranströmer geschrieben. Der Himmel über Turku sieht mehr als ich. Wenn ich an einen neuen Ort komme, konzentriere ich mich auf die Farben, die er mir schenkt. Die Farben des Tages. Und der Nacht. Die Farben des Himmels. Es ist immer das Licht, das mich zu weiterem Sehen bewegt, an Details heranführt.



Der Dom von Turku ist an der Stelle einer uralten Holzkirche gebaut worden, auf einem, wie ich jetzt lerne, Unikankare-Hügel – auf einem „Entschlafenenhügel“ – einem Ort also, an dem sich die Toten und die Lebenden, die fort gegangenen und die neu entstehenden Blicke treffen? Jedenfalls liegen hier tief in der Erde viele Tote, unzählige „Helden“, wie es heißt, aus dem Dreißigjährigen Krieg, Bischöfe und an die viertausend Bürger, während ich meine Auskundschaftungen Tag um Tag ausweite und schon meine bewährten Routen am Aurajoki gehe und mit den Bäumen Freundschaften eingehe. Die Toten und die Lebenden. Sind immer dabei. Manchmal führen sie miteinander Gespräche, ohne es überhaupt zu wissen. Und wie an einem fremden Ort geht auch hier alles ins Innere. So werde ich mir selbst ein Hafen der eingesammelten Blicke. Im Dom ist gerade eine Ausstellung, Schiffe und Segel in Spiegeln sind zu sehen. Eingefangene Blicke, liegengebliebene kleine Vergänglichkeiten.

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