
© Herg Benet
Ein Fragment aus dem fantastischen Roman „Der Heilige mit der roten Schnur” von Flavius Ardelean (Herg Benet, 2015), neulich im Homunculus Verlag erschienen. Aus dem Rumänischen von der preisgekrönten Übersetzerin Eva Ruth Wemme.
ERSTER TEIL
IN WELCHEM MAN AHNT
ERSTES KAPITEL
IN DEM WIR VON DER GEBURT TAUSHS IN DER STADT DER GEISTER ERFAHREN UND ALLES DANACH AUSSIEHT, ALS WÜRDE EIN BEDEUTENDER MANN AUS IHM; VON DEN DREI ZEICHEN SEINER GEBURT
Taush wurde in Gaisterștat geboren und kam zur WELT in jener Stunde zwischen Tag und Nacht, die zugleich erscheint und entschwindet, gerade noch siehst du sie und spürst sie, und im nächsten Augenblick ist sie dahin – und nur einen Moment der Leichtfertigkeit hätte es seine Mutter gekostet, ihn in diesem Augenblick zu verlieren, ihn zwischen den Schenkeln auszulassen, sodass das Kind in die Luft ringsumher ausgetreten wäre, und unsere Geschichte hätte geendet, bevor sie begonnen hätte, und aus. Aber die Ammen, antike und weise Weiber, sie wussten das Kind zu halten und was sie sagen mussten, um die Leere um sie zu vertreiben. Und der Augenblick verging und Taush blieb.
Sehr glücklich waren seine Mutter und sein Vater, denn, weißt du, er war das erste und würde ihr einziges Kind bleiben, und eine große Freude kam über ihr Haus, als sie von den Ammen erfuhren, dass der kleine Taush mit einem Glückshäubchen geboren war, zum Zeichen, dass ein bedeutender Mann aus ihm würde, und nicht nur für Gaisterștat. Nachdem sie die Stunden ihrer Plackerei verflucht hatte – denn gar schwer war Taush herausgekommen, als wäre die Welt, in der er das Leben vor dem Leben verbracht hatte, die allerbeste, und jene draußen nur ein Abgrund zum Fürchten –, sah sie all die guten Zeichen an ihm und um ihn herum, und sie bat ihn flüsternd um Vergebung und das ganze Haus vergoss Tränen um ihn, Tränen der Freude.
Welche Zeichen, fragst du? Nun, er war noch nicht ganz heraus, die Hälfte seines kleinen Körpers war noch in der Mitte der Frau, als das erste Zeichen sich offenbarte. Die Schreie der schmerzerfüllten Mutter und die anfeuernden Rufe der Ammen, alles verstummte, als Taush seinen Kopf hinaus auf die WELT streckte, und die, welche dort auf den Straßen, in den Häusern und auf den Plätzen waren, alle konnten später bezeugen, dass alles auf der WELT innehielt – nicht einmal der Wind wehte mehr, nicht einmal die Tiere wühlten mehr im Boden, nicht einmal die Kinder spielten, nicht einmal die Menschen sprachen mehr miteinander, nicht einmal die Käfer krochen mehr umher, weder war der Himmel wechselhaft noch jagten einander die Gedanken. Es wurde ruhig in ganz Gaisterștat und ringsum hub ein Schweigen an und alles stand still, bis Taush aus dem Körper der Frau gezogen und in ihre Arme gelegt wurde. Und alle fürchteten sich, als sie erwachten, weil sie in diese Welt zurückkehren mussten, denn es war, als wäre die Welt der Stille, in die der kleine Taush sie geworfen hatte, die wahrlich süßeste. Manche entschlossen sich, für immer zu schweigen und brachten kein Wort mehr hervor, ihre Bewegungen wurden seltener und klein, sie waren erfüllt von Sehnsucht nach den Augenblicken damals, als Taush den Kopf aus dem Bauch seiner Mutter streckte und voll Bitternis entschied, es sei ihm zu viel Lärm auf der Welt.

© Homunculus Verlag