„Wenn du Paul Celan vor dir hättest, was würdest du ihn fragen? Was glaubst du, würde er darauf antworten? Wie würdest du die Frage selbst beantworten?” 2020 steht ganz im Zeichen von Paul Celan. Zum hundertsten Geburtsjahr des Autors führen wir die Reihe der Gespräche mit zeitgenössischen Autoren weiter. Heute kommen wir auf den Schriftsteller
Radu Vancu zurück.
Jedes Mal, als ich mich vor einem meiner Helden befand, hat mich meine provinzielle Schüchternheit daran gehindert, ihm eine Frage stellen zu können. In der Regel sind meine Helden Menschen, die alles durchgemacht haben, die das Grauen bis zum Ende gegangen sind und
dahinter gesehen haben. Celan ist einer von ihnen. Was kann man so einen Menschen fragen?
Ich kann mich erinnern, wie aus Ciorans
Notizen hervorging, dass selbst er von Celan eingeschüchtert war. Als er in Paris sah, wie Celan durch die Stadt der Lichter streifte und seiner überquellenden Traurigkeit freien Lauf ließ, war Cioran wie gelähmt. Zwei Menschen schüchterten ihn ein: Der eine ist Celan, mit seiner unmenschlichen, übermenschlichen – und gerade dadurch ungeheuer, grundlegend menschlichen Traurigkeit. Eine Traurigkeit, die für die ganze Spezies ausgereicht hätte. Von ihm und noch ein paar anderen Auserwählten der Verzweiflung auf dem Rücken geschleppt – damit wir, die anderen, überleben können.
Der zweite ist Beckett. Cioran traf ihn eines Tages zufälligerweise im Jardin de Luxembourg; der Ire las Zeitung – und Cioran, der Oberzyniker, von jeder Spur von Menschlichkeit entzaubert, traute sich nicht, ihn zu stören. Beckett schien ihm der einzige vornehme Mensch, dem er je begegnet war. In den
Notizen findet man bei jedem Beitrag über ihn Anmerkungen zu dieser natürlichen Vornehmheit.
Übermäßige Traurigkeit und übermäßige Vornehmheit: zwei Eigenschaften, die Cioran einschüchterten. Die mich auch einschüchtern würden, zumal ich an Menschen mit einer provinziellen Naivität glaube, über die Cioran schallend lachen würde. Somit weiß ich, dass ich mich nicht trauen würde, Celan irgendetwas zu fragen. Vielleicht, ob er gerne eine Empfehlung hätte, wo er in Ruhe einen Kaffee trinken gehen könnte.
Ich glaube, er würde ja sagen.
Und ich, ich gebe zu, würde genauso antworten.
(Nicht weil übermäßige Traurigkeit durch Kaffee heilbar wäre. Das ist sie nicht. Aber übermäßige Einsamkeit & schwarzer Kaffee sind meistens ihr einziges Betäubungsmittel.)