„„Wenn du Paul Celan vor dir hättest, was würdest du ihn fragen? Was glaubst du, würde er darauf antworten? Wie würdest du die Frage selbst beantworten?” 2020 steht ganz im Zeichen von Paul Celan. Zum hundertsten Geburtsjahr des Autors führen wir die Reihe der Gespräche mit zeitgenössischen Autoren weiter. Heute kommen wir auf die Schriftstellerin und Übersetzerin
Monica Manolachi zurück.
Ein Encantado spielt Klavier, am Himmel steigen Sterne empor. Ein Wörterbuch und ein Pier erscheinen zum Konzert. „Wo Wasser ist, kann man noch leben“ sagt das gesalzene Klavier, darauf die große Sintflut, während Celan sich in Wellen, wie eine Pappel verliert, sich im Herzen der Stadt und der Gewässer einkuschelt, sich wie eine riesige Schlange zwischen den Wellen rekelt.
Mit verlorenen Augen am Ufer des Pruths, in Cernăuți. Wann wohl hast du den Schatten der Schwalbe bemerkt? Mein Koffer wurde gestohlen, kannst du dich noch daran erinnern? Wie ein Güterzug im Regen glänzend, wartete er geächtet, zum Platzen voll mit Schrott, Glas und Eisen. Der Mond war ein Scherbenhaufen, herbeigeschafft in einem Feuerzug. Er sagte, er bringe ihn wieder in den Himmel zurück.
Paul, wieso hast du Äste anstelle von Armen? Wie eine Esche, die auf den Schultern zwei diebische Amseln trägt, Mediziner aus Tours, du steigst in die S-Bahn ein, Garçon, und wieder aus an der Loir, auf die Wilson-Brücke. Die Augen wie ein Schleppnetz, wie eine Wahrsagerin, die dich anschaut, wie du dein Herz in den Strudel schmeißt und Briefe schreibst, Nachrichten von dem unvergänglichen Trubel.
Ob man nach dem Bug noch Poesie schreiben kann? Ja, antwortetest du deutlich, und sie stempelten dich als Zeuge ab. Ja, schriest du zu den Eichen, und sie zählten die Tränen. Ja, du sprachst mit den Ottern am Ufer des Wassers. Jaaa-a-aaa-a-aaa-a-aaa-aaa, sangst du den Meerjungfrauen, allen. Ja, flüstertest du der Mutter im Spiegel, in den Vitrinen, im Traum. Ja, antwortetest du müde, und das
Ja glich einem
Nein.
Wie erscheint man vor dem Tod, mit zerbombten Namen? Wie ein sprechender Winkelhaken von den Händen des Schicksals getragen. Erneut tauften sie dich in der Dâmbovița, am Abend. So wie die Mihai Vodă-Brücke haben auch deine Füße die Schluchten, die Gräber, die Geschwader der Wörter nicht vergessen. „Neiculiță, du musst wissen, auf der Brücke sitzt ein Mädchen mit ihrem Tragjoch auf den Schultern, schluchzt und wirft dir eine Nelke hoch.“
Wie groß ist die Entfernung von
dragul meu zu
mein Lieber? Und von Wien zu einer Hütte im kleinen Wien? Wie ein fremdes Feld. Ein Schwalbenfeld. Im Umfeld Reihen spitzer Großmütter, angespitzt bis zum Nichts, Nichts, bis in die Wolken, Geigenseiten verzogen über die Grenzen wie die einst mal breite Donau, aufgeschäumt, mal zahm, aber immer auf der Suche nach einem Bräutigam.
Kann jemand, der nicht ganz dicht ist, Poesie schreiben? Nur dann, wenn die Seine in die Quellen fließt. Was sonst ist die Poesie, wenn nicht lebendes, totes Wasser, das ununterbrochen die Runden macht, so nötig, so ungewollt, vor, während und in der Nachkriegszeit, eine Welt spülend, während der Exilant Abschiedsbriefe in einigen Anzügen hält, dessen Wörter später viel mehr zählen?
Welche Welle berührte dich in ihrem flüchtigen Rhythmus? Aus Hoffnung bestehend hast du, wie ein tauchender Angler, die verlorenen Knöpfe Europas gefunden, in einem tiefen Flussbett, aus dem du manchmal adrett wie ein Lichtstreifen oder ein Fels erscheinst, zu dem wir heimlich, stotternd und verängstigt schauen, wie zu einem Wunder, im Netz gefunden, während Blässhuhn und Kranich davonfliegen.
Monica Manolachi (geb. 1976 in Galați). Veröffentlichte Bücher: Lyrik –
Brasília (PIM, 2019), Zweisprachiger Band (Englisch/Rumänisch), in Zusammenarbeit mit Neil Leadbeater, J
oining the dots / Uniți punctele (PIM, 2016), Zweisprachiger Band (Englisch/Rumänisch),
Poveștile Fragariei către Magul Viridis (Brumar, 2012) und
Trandafiri (Lumen, 2007); Literaturkritik – Pe
rformative Identities in Contemporary Caribbean British Poetry (Ars Docendi, 2017) und zahlreiche Artikeln zur Lyrik und Prosa, Übersetzungen von Lyrik und Prosa aus dem Englischen, u.a.
Antologie de poezie din Caraibe (Rafet, 2016).