
© Andra Rotaru
„Wenn du Paul Celan vor dir hättest, was würdest du ihn fragen? Was glaubst du, würde er darauf antworten? Wie würdest du die Frage selbst beantworten?” 2020 steht ganz im Zeichen von Paul Celan. Zum hundertsten Geburtsjahr des Autors führen wir die Reihe der Gespräche mit zeitgenössischen Autoren weiter. Heute kommen wir auf die Schriftstellerin
Krista Szöcs zurück.
In seinem letzten Band von
Mein Kampf befasst sich Karl Ove Knausgaard auf über 50 Seiten mit einigen Versen von Paul Celan. Er nimmt sich semantische und stilistische Analysen vor, aber auch Celans Biografie, Religion und Philosophie, um dann, in den meisten Fällen, bei dem Problem der Identität anzugelangen. Seine Gedichte, behauptet Knausgaard, setzen alles außer Kraft, was uns durch Wörter – dementsprechend von der Welt – geboten wurde, und führen uns von einem Raum in den anderen, auf der Suche nach Identität. Diese Seiten las ich, nachdem ich zu Celans Lyrik, die ich bis vor kurzem nicht völlig verstehen konnte, zurückgekehrt war. Ich hatte andauernd das Gefühl, dass ich aus seinen Gedichten nichts mitbekam, dass mir der nötige Wortschatz fehlte, beziehungsweise, dass Paul Celan die Sprache einfach zerstört. Warum sich jetzt alles verändert hat? Nun, so wie es auch Knausgaard behauptet, ist die Idee der Identität in Celans Lyrik markant, und dieses Problem der Identität steht jetzt zwischen mir und dem ungeöffneten Gepäck. Wenn Paul Celan vor mir stünde, würde ich ihn auf einen Spaziergang durch Tübingen einladen. Damit er mir erzählt, während man durch die ruhigen Straßen Hölderlins unsere unrhythmischen Schritte hört, wie die Schläge einer antiken Uhr, ob er sich auf all seinen Reisen seine Identität bewahren konnte, und wenn ja, wie. Ob er zwischen Frankreich, Deutschland, Rumänien und Israel den Inhalt seines Gepäcks zu ändern vermochte und dadurch feststellte, dass seine Identität von einem Ort abhängig war, von einer erlernten Sprache, oder war es einfach „a state of mind“ der kurzen Momente, in denen er glaubte, endlich einer Kultur anzugehören. Diese Frage kann ich selbst noch nicht beantworten. Gerade mit Paul Celans Hilfe versuche ich herauszufinden, wie viel Zeit es in Anspruch nimmt, sich eine Identität aufzubauen oder
auseinanderzubauen und wie die Dichtung dabei helfen kann.
"Mother, they write poems", schreibt Paul Celan in einem Gedicht, und das könnte uns helfen, zu verstehen, selbst wenn auch nur ein Viertel davon, warum niemand das Schweigen unterbrechen kann, das die Abwesenheit ankündigt.