Auszug aus der Erzählung
Die portugiesische Pension, entnommen aus dem Erzählungsband
Die Liebe unter Aliens, Copyright @Verlagsgruppe Random House.
Die portugiesische Pension
Er erwachte um 06:15. Er wartete bis 07:00, bevor er seiner Freundin eine SMS schrieb.
Guten Morgen, du Schöne!
Sie antwortete nicht, sie war vielleicht gerade im Bad (Wie sie sich duscht. Sie lässt das Wasser nur über ihre Vorderseite laufen, ihr langes blondes Haar bleibt trocken, er sieht diese Haare vor sich, die Taille und den Hintern, der sich vom warmen Wasser rötet... Das ist zu erotisch, hör auf damit), vielleicht war sie aber auch schon längst mit ihren Gästen beschäftigt (dafür müssen die Haare zusammengebunden und das Make-up dezent sein. Ihre Lippen sehen unter der Farbe etwas streng aus, aber sie hat große, blaue Augen, das wirkt immer freundlich).
Ihr Name ist Indra, seiner Mario, sie ist Ende zwanzig, er Mitte dreißig und dabei, aus dem Leim zu gehen. T-Shirts und allmählich auch Hemden reichen unten nicht mehr ganz um den Bauch herum. Es muss etwas geschehen. Die Räume stehen mit Möbeln voll, er schob zwei Sessel beiseite, erhielt so zwei Quadratmeter Platz. Eine Matte wäre gut gewesen, keine da, nur der Teppich und die Dielen darunter. Der Teppich ist antik, die Dielen ebenfalls. Rippen auf Rippen. Fangen wir mit Dehnübungen aus unserer Zeit als Judoka an. Seine Muskeln waren kurz und fest wie verfilzte Wolle, mit kurzen und festen Sehnen miteinander verbunden, die wie alte Taue knarrten. Es waren nur minimale Bewegungen möglich. Die Gelenke knackten mit den Dielen um die Wette. Innen und außen Knarren und Knacken, als würde ich mit meinem Körper das Haus mit dehnen. Bei aller Liebe, das ist unmöglich. Machen wir etwas einfacheres. Liegestütz, das tut wenigstens nur weh. Ein Rinnsal Schweiß löste sich unter seinem rechten Arm und lief Richtung Handgelenk. Er ließ sich auf alle Viere sinken. Katzenbuckel, kannst du das? Indra macht Yoga, ihre Lieblingsübung ist der Drehsitz. Bevor wir das erste Mal mit einander geschlafen haben, hat sie mir diese Übung gezeigt. Das war sogar genau hier, auf diesem Stück Teppich. Einen Versuch wäre es wert. Er setzte sich hin, stellte den rechten Fuß neben die Außenseite des linken Oberschenkels. Beim Versuch, auch das untere Bein zu beugen, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz, vom Knie über den Oberschenkel bis in den Rücken. Etwas verhakte sich, das Bein ließ sich weder weiter beugen, noch strecken, der Schmerz war so heftig, wie vielleicht noch keiner in seinem Leben. Glühende Pfeile, aber ohne eine Pause. Er schnappte nach Luft. Hilfe, ich stecke fest. Im heftigsten Schmerz meines Lebens. Lange Sekunden vergingen, bevor es ihm gelang, sich auf den Rücken fallen zu lassen und die Beine sich lösten. Der Krampf im unteren Rücken blieb.
Die nächste Viertelstunde lag er auf dem Teppich und wartete, dass der Schmerz soweit nachgab, dass er sich wieder aufrichten konnte. Zum Schweiß der Anstrengung kam der Schweiß des Schmerzes, wo sein Körper nicht von Kleidung bedeckt war, klebten Teppichflusen auf seiner Haut. Er atmete durch den Mund. Stell dir vor, du müsstest jeden Tag deinen Körper neu gebären.
Zum Glück war es wohl kein Bandscheibenvorfall und auch kein Riss, nach einer Weile konnte er sich wieder hochrappeln. Nach dem Duschen war es fast wieder gut (ein kleiner Restschmerz blieb noch einige Tage). Aber die Locken sehen im Spiegel schon wieder sehr durcheinander aus, besonders, wenn sie dann trocken sind. Sie sind rot und fangen schon an, blasser und schütterer zu werden. Als ich jünger war, trug ich sie bis zu den Schultern. Man nannte mich: Dornröschen. Er lächelte.
Ein Milchkaffee mit gezuckerter Kondensmilch und ein Schokoladencroissant zum Frühstück, dann hinunter in den ersten Stock, um das schwule Pärchen aus Zimmer 1 zu verabschieden.
Did you enjoy your stay?
Sie standen mit den Koffern im Flur und tauschten freundliche Nichtigkeiten aus, vielleicht zwei auf jeder Seite, als schon die Tür der Heroinschlampe aufging.
Don't be so loud!
Sie stand in Unterwäsche im Türspalt, aber das konnte nur Mario ein wenig sehen, die Schwulen nur eine Strähne ihres langen, braun und orange gestreiften Haars, das aus dem Türspalt hing.
Sorry, sagten Mario und die Schwulen.
Das Haar verschwand wieder, die Tür ging zu. Sie macht einen Sommerjob in einer Bar, arbeitet in der Nacht und schläft am Tage, erst in ihrem Zimmer, dann auf der Sonnenliege im Garten. Sie ist von Kopf bis Fuß braun wie Schokolade und dürr wie eine Mumie. An der Innenseite ihrer Knöchel sieht man Einstiche. Ob sie wirklich Heroin nimmt, ist nicht verbürgt, aber irgendwas wird es sein, so neben sich, wie sie immer ist. Den Rest der Verabschiedung absolvierten Mario und die Schwulen flüsternd. Gute Heimreise und empfehlen Sie uns Ihren Freunden.
Als sie weg waren, horchte er in die Wohnung hinein. Es schien keiner weiter da zu sein. Das englische Pärchen war wohl schon unterwegs, das ältere dänische Paar auf alle Fälle, der österreichische Lehrer auch, obwohl er gestern lange aus war. Seit kurzem Rentner und seitdem ununterbrochen im Energieflow. Mario merkte, dass er die Luft anhielt, nur um nicht zuviel Geräusche vor der Tür der Heroinschlampe zu machen. Das ist aber wirklich zu viel des Guten. Er atmete mit Schwung aus und ging ins Zimmer der Schwulen.
Das Zimmer mit der Nummer 1 ist das dunkelste, aber auch das größte, mit zwei Doppelbetten, das er gleichgeschlechtlichen Reisenden immer anbietet, und voilà, nur eins der Betten war benutzt. Der Abdruck ihrer Köpfe auf den bestickten Kissenbezügen. Diese bestickte Leinenbettwäsche hat noch meine Mutter gesammelt. Laut Monogramm hat sie einst A.J. gehört. Die Betten selbst wiederum sind Neorenaissance: reich beschnitzte Eiche. Bei dem einen sind es neben floralen Elementen Putten und Puttenköpfe, beim anderen sieht man wiederum den Kopf eines recht grimmig dreinblickenden älteren Mannes in der Mitte des Bettendes. Wenn die Gäste offen dafür waren (sprich: so aussahen, als hätten sie ein Minimum an Humor), machte Mario sie auf den Unterschied aufmerksam, und dann soll jeder nach Gutdünken sein Bett wählen. Natürlich haben die Schwulen sie die Putten gewählt. Die Liebe der beiden muss groß oder frisch sein, oder sie sind beide anspruchslose Schläfer, denn die Betten sind alt und so ist auch ihr Format: sowohl kurz als auch schmal. Als die Menschen noch kleiner waren.
In den Vertiefungen der Schnitzereien ist das Holz dunkler, es sei denn, es sammelt sich hellgrauer Staub dort, wenn man zum Beispiel nicht gründlich genug putzt. Die Mieterin ist eine miserable Putzfrau. Das Waschen und Mangeln bekommt sie hin, aber Putzen ist nicht ihr Ding. Sie sagt, sie mache es so gründlich, wie bei sich zu Hause auch. Diese alten Möbel seien einfach eine Zumutung. Mario hat ihr unter anderem einen Möbelreinigungspinsel gekauft. Der liegt jetzt bei ihr. Sie sagt es nicht, aber sie wird mit sich überein gekommen sein, dass sie einen Teufel tun wird und Stunden lang mit dem Pinsel die Verzierungen seiner überkandidelten Möbel säubern. Er nahm eines der benutzten Handtücher der Schwulen und wischte den Staub so gut es geht aus den Schnitzereien. Anschließend zog er die Bettwäsche ab, auch vom unbenutzt erscheinenden Bett, man kann nie wissen.
Die Mieterin wohnt im zweiten Stock, er schleppte die Bettwäsche und die Handtücher zu ihr hoch. Sie war nicht da. Er stellte den Wäschesack auf ihre Schwelle. Muss daran denken, ihr einen Zettel zu schreiben: Bitte heute nicht aufhängen. Und außerdem die Sache mit dem Pinsel. Doch lieber persönlich mit ihr sprechen.
Wenn er schon einmal auf der Etage war, horchte er auch nach den beiden Chinesen, angeblich Kollegen, die die kleinere Wohnung gegenüber mieteten. Nichts zu hören. Wann wurden sie das letzte Mal gesehen? Ein Hauch von Sorge um die Chinesen flog ihn an. Die Grundlage dafür bildete vor allen Dingen die eigene Phantasie. Dass sie nur sagen, dass sie Kollegen sind. In Wahrheit sind sie Liebende und wohnen hier zusammen, weil sie es dort, wo sie herkommen, nicht tun können. Deswegen blicken sie auch immer so traurig drein. Oder blickten, bis vor drei Wochen, als sie zum letzten Mal gesehen worden sind. Entweder das, oder sie machen Urlaub. Gemeinsam. Wie auch immer. Geht dich nichts an. Hauptsache, sie zahlen die Miete. (Und wenn sie auf ewig verschwunden bleiben, aber auch für ewig die Miete zahlen? Wie oft kommt das schon vor. Du träumst schon wieder.)
Weiter, an der eigenen Wohnung vorbei, auf den Dachboden. Die eine Hälfte ist der Trockenboden, die andere der Lagerraum für die Möbel. Das erste Mal durfte ich hier oben alleine spielen, als ich fünf war. (Mein Vater war da schon 50. Erst heute weiß ich, was das bedeutet.) Im Sommer hier oben im Luftzug zwischen wunderbar riechender Wäsche stehen: das ist unverderblich. Wie sie hin und her schaukeln auf der Leine und bei großer Hitze innerhalb von 2 Stunden trocken sind. Im August wurde die Bettwäsche jeden Tag gewechselt. Heute, bei Gästen, die länger bleiben, zweimal die Woche.
Die Mutter hatte Hauswäsche gesammelt, der Vater Möbel. Er hatte sich auf die Neorenaissance festgelegt. Große, reich mit Schnitzereien verzierte Möbel aus Eiche und manche aus Nussbaum. Eine Anrichte im Flur mit Löwenköpfen, Drachen und Putten, die in Jagdhörner stoßen. Davor sitzen, eine lange Zeit, und mit den Putten auf Löwen- und Drachenjagd gehen. Das andere Stück, vor dem er gerne saß, war das kleinste und zugleich wertvollste der Sammlung: ein Nachtschränkchen, vollständig ebonisiert und mit Elfenbeinintarsien versehen. Das Schaubild in der Mitte der Tür zeigte Venus, Mars und Amor. Die Eltern sagten immer: Armor. Lange Jahre wollte er glauben, dass sie es zu ihrer Zeit vielleicht so gelernt hatten in der Schule, aber kürzlich musste er doch vor sich zugeben, dass sie es einfach falsch sagten. Sie waren feine und nette Menschen, aber sie hatten keine Ahnung, dass es Amor heißt.