futur drei ist das Manuskript für den neuen Gedichtband von Tim Holland. Darin wird die Gegenwart eine Schraubendrehung weiter gedacht. Entwicklungen, die heute bereits absehbar sind, haben sich vollzogen.
Die Prognosen sind eingetroffen. Bangladesch und die Malediven sind untergegangen. Im Wasser treiben hilflose Menschen. New York baut „wolkenkratzer als staudämme“. Die letzten verbliebenen Gletscher sind „proaktive drückeberger“ und Berlin ist durch die Flutung des Urstromtals eine freischwimmende Insel geworden. Das Klima hat sich endgültig und
entscheidend gewandelt. Die Sonne brennt gnadenlos auf die Erde. Wie die intensive Strahlung aufgehalten werden kann, das wird noch diskutiert.
Die Bewohner des immer blauer werdenden Planeten haben durch den Einsatz neuster Technologien die Möglichkeit ihre Körper zu erweitern und zu ergänzen. Damit werden auch die tradierten Geschlechterrollen und die „melancholie der körper“ aktiv überwunden. Sex findetauf der Hautoberfläche oder in eigens dafür reformierten Organen statt. Eine weitere Möglichkeit Befriedigung zu erlangen, ist einen der begehrten „glücksanzüge“ anzuziehen. Zwischenmenschliche Beziehungen werden auseinander dividiert, schließlich waren „die alten beziehungen barock, eine überforderung“. Man führt nun für jede Emotion eine eigenständige Beziehung. Und auch wenn „wut langsamer wurde“, sind Emotionen doch an der Macht.
Die Entscheidungen der global agierenden Künstlichen Intelligenz werden allein durch Erhebung und Verrechnung von Gefühlen herbeigeführt.
Aus den Weiten des Universums treten Aliens wie der
trotzige parasit und unbekannte Pflanzen- formen hinzu, die ebenfalls alternative Lebensentwürfe präsentieren.
Mit dem Verschieben der bekannten Lebenswelt in eine nahe, aber unbestimmte Zukunft ist es dem Text möglich, Fragen der Gegenwart unbeschwert zu begegenen.Gesellschaftliche Herausforderungen können im poetischen Raum durchgespielt werden und das Zukunfts-szenario ermöglicht neue Räume auszuhandeln und zu gestalten.
Was macht den Mensch zum Mensch, wenn der sichtbare Körper nicht mehr eindeutig als menschlich identifiziert werden kann? Wenn der Körper dank Bodyextensions sich erweitert oder mit einem anderen Wesen fusioniert, wie im
logbucheintrag eines phytophilen pflanzen-forschers beschrieben. Und was ist dann das Fremde, der Andere? Sind es Wesen wie
das verknotete, das kokonstituive, das hyphisierende dezentrale?
Das Wir, das in und von der neuen Welt spricht, ist Erinnerer und Visionär zugleich und kontert den alten Dualismus von „Wir“ und „die anderen“ aus. Nach und nach entpuppt sich jedoch: das Wir ist nicht stabil. Vielmehr verstecken sind hinter dem Wir immer andere, nimmt es verschiedene Sprecherpositionen ein. Schließlich organisieren sich verschiedene Formen des Wir in Kollektiven, das Wir wird sich uneinig und einzelne abtrünnig. Der Zyklus
intervision der verräter berichtet, wie sich ein einzelenes Subjekt wiederfindet: „ich hatte mich in mich verliebt. / ich flirtete, ich kriegte mich rum, es war mehr als gedacht.“
futur drei ist als Buchprojekt konzipiert und soll im Laufe des Jahres 2019 fertiggestellt werden.
Tim Holland - futur drei
all die kleinen steine rollen längst.
bangladesch zieht sich zurück, die malediven.
da sind menschen unter wasser, die tauchen nicht.
in new york baut man wolkenkratzer als staudämme.
berlin ist auch nur auf sand gebaut. schaut zu,
wie ihr land gewinnt. wir häufen erde auf, klopfen salz ab,
kratzen die stadt zusammen, lösen berlin aus dem land.
jetzt plustert sich die stadt auf. blüht auf dem meer, trudelt.
wir sind eine insel, fern aller inseln. eine seerose entzieht sich
der kartographie. die alte wasserwaage horizont wiegt uns.
wind, ein entfernter cousin, kommt zurück, jetzt schlägertyp.
per gesetz werden grenzen subtiler.
berlin ist eine teilbare stadt. wir teilen,
das haben wir derweil gelernt.
wir modifizieren unser körperding. es trödelt.
wir sind eingeschweißt wie erdnüsse, frieren nicht, dulden,
fusionieren dann wie verrückt. oder haben glücksanzüge an.
die gebäude häuten sich mehrmals im jahr, die gärten wurden in
in die vertikale gestemmt. früchte daraus sind nur etwas müder.
neue wesen haben sich nebenan installiert.
die sonne tuts nach wie vor.
Tim Holland - futur drei
wir haben gletscher.
die sonne tuts nach wie vor.
bläuungsdämmerung, es flackern
die gletscher, proaktive drückeberger,
berge, die beständig kalben, merzvieh
trottet stumm durchs dorf.
die berge wandern uns, gehen in die hocke
als würden sie gleich einen riesigen satz machen,
machen ihn aber nicht.
die berge schürfen sich wund,
suchen hinter bergen deckung,
werden aber ständig angeknuspert.
die berge entbergen sich
wie mütter, die sich selbst bemuttern.
da erkennen wir ihr kindliches gemüt.
kinder bemanteln wir. wir weinen wie sie
und entlassen sie in die selbständigkeit
eines anderen aggregatzustandes.
Tim Holland - futur drei
wo keine wale sind, da ploppen felsen auf.
da buckeln die raus, rücken sich zurecht. moos
polstert sich auf, die niedergeschlagenen wolken.
baum, gras, baum, baum, gerade noch eis. beinahe wind.
nirgends obst. es folgt die rochade des weicheren steins.
schließlich auch gneis. der gletscher zieht die zunge ein.
geschiebe, geröll, all die kleinen steine rollen längst,
schreiben in den grund. bewegung und stillstand,
das ist immer reibung und verschleiß.
asterikse, die gelegentlich etwas anmerken, funkeln,
schmelzen. wir verlieren leicht die übersicht.
wir verlieren. es ist wie eine wunde, die nicht heilt,
einfach öffnung bleibt. welchem erhaltungssatz folgen ideen
auf eis? wünsche klaffen auf. unerfülltes belastet unsere bilanz.
wie im schlaf, beginnt landschaft noch einmal.
schleifspuren. gibt es da, wenn auch zögerlich,
möglichkeiten, sagen wir zweiter ordnung? schnapsidee:
südsee? oder einen anderen strand? zwergenatmosphäre.
wie im schlaf, beginnt landschaft noch einmal.
leergeregnet, nicht unfreundlich besonnen.
wo es knittert, war mal nähe.
Tim Holland - futur drei
wir haben gelernt zu unterscheiden, haben gelernt zu teilen.
ein ganzes gibt es nicht mehr. nicht in uns.
nicht ohne uns.
in kollektiven üben wir gefühle als übung für gefühle.
wir leben in einer gefühlsdemokratie. wünsche werden erfasst,
mehrheiten gebildet, entscheidungen errechnet.
unsere vernunft ist medium light.
unschuldig schlagen wir aus.
wunschlosigkeit ist unerwünscht.
SOZIALE INTELLIGENZ greift ein:
the mirror replaces the master.
wir sehen uns, einige werden besser.
andere spiegeln zurück,
mirror-mirroring-mirror-position:
auf dem boden liegend die zwei bis vier beine in die höhe gereckt
und durchgestreckt, mindestens sieben zehen ansehen, zur nase ziehen,
dass die fasern brennen. in den bauch atmen, bis die luft in den kopf fließt.
kopf schnell drehen, dass er gut schließt. das vakuum eines nicht zu öffnenden
marmeladenglas genießen.
wunschlosigkeit ist widerstand.
Tim Holland - futur drei
über nacht ist der mond in stücke gegangen.
am morgen fällt im schatten schnee.
flugsamen vergeht auf dem grund. wurzeln scheint zwecklos.
nur müde knollen sind aus der erde zu sammeln.
nichts wächst in diesen tagen wie der farn.
mit einem letzten blinken verabschieden sich die satelliten.
sie sind aufgeflogen. wir verlieren jedes bild voneinander.
antennen graben noch in den himmel. unter den sternen wird es still.
wo liegt im dunkeln die nacht?
wir wachen. wir schlafen auf raten. rattenschlaf.
das auge zoomt beständig. details lauern, umzingeln.
kakteenhaar, stechen, zart, widerhaken brechen subkutan.
wenn du davor abblendest, gibt es noch die möglichkeit,
dass du dich verlierst.
das zwinkern ist der verrat der zoomenden rechten linse.
sichtbar ist das mit sicherheit zu benennende: eine motte
angezogen von der wärme des zu erwartenden vorgangs,
setzt sich auf die zarte faust eines farnes. bei raffung
der darstellung kann man das entrollen der finger sehen,
das taube greifen.
die motte: fort
Tim Holland - futur drei
es bitzelt. friendly fire der diamantenstaubkanonen?
dass der diamantenstaub verkehrt herum klimpert.
es staubt als wäre wind alt.
wir haben einen film vor augen, den wir nicht
selbst geschnitten haben. augenwischer helfen kaum,
baum, gras, baum, baum,
tränen, tränen, tränen. wie ist da im blick des anderen
zu wohnen? masken auf! ich hab die nase voll.
schleim wird andächtig abgesaugt. nasale choräle
am weitverbreiteten ort. denken auslöschendes röcheln.
vom hören ganz zu schweigen. sind das wieder die trash
island terroristen? plastik liegen in der luft.
in der ferne fängt landschaft an, lokal betäubt.
mal äugen. ich evolutioniere um. es glitzert.
ich taste dich. das ist gefährlich. ich weiß nicht,
ob haut dein sexualorgan ist. durchs bitzeln
stupst mich dein brustscreen. vitaldaten explodieren.
wie kann man keine schutzhaut tragen?
da reagiert auch der farn. die umgebung übernimmt
keine verantwortung. nichts übernimmt verantwortung,
multiples vertrauen. du steckst dich bei mir an.
Tim Holland - futur drei
wir modifizieren unser körperding, lassen prothesen
sprießen, schwenken die bodyextensions wie weiße fahnen,
bis wir uns verkeilen, knallen, dann tauschen wir
glücksgefühle über temporäre oberflächen.
die glätte des parketts blinzelt uns zu. farn pocht
ans fenster. eine galaxis weiter schwirren sterne
so aufgeregt um ihr schwarzes loch,
dass man nicht von motten sprechen kann.
wir bilden gemeinsam ein vakuum, saugen einfach
die puste zwischen uns ab und sind plötzlich auf armlänge
eins, während erst ein, dann zwei meteoriten, drei, vier
in einem feuerwerk das bestehen von atmosphären feiern.
mit dem letzten upgrade wird die zunge ein sexualorgan.
heißer scheiß. huckepackende knäueleinheit. hinzu kommt
die öffnung des fingergedächtnisses, reaktivierte realität.
nachts ist immer universum.
wir zippeln aneinander herum, trauen einander, dass jeder
nur für sich mit dem anderen körpert; dass die körper
die melancholie der körper überwinden. wir glauben,
dass begehren eine frage des zeitpunkts ist. keine andere.
Tim Holland - futur drei
auf die berge warten wir, aus den bergen kommt das feuer.
wälder, die im klimatischen wandel hin und her rückten,
brennen. die hoffnung kommt aus dem offenen himmel,
an dem wir ständig operieren. der farn ist verwirrt.
der ganze schöne stoffwechsel explodiert und da
splittern auch wir: haben ebenso viele emotionen
wie personen. das feuer geht auf die straße, fordert
ein recht ein, dass nie sein recht war. touché.
manche weinen, aber taschentücher sind schneller
als die idee, trauer als möglichkeit zu löschen zu denken.
wir suchen nach den scharnierstellen, diese landschaft
aus den angeln zu heben. präpariertes laub fällt.
wie die wellen randen das land, schon lange züngeln
an strand und stein. die brandung hat nun auch die küste
entflammt. das ist das gegenfeuer. wir bilden neue strände,
warten.