
|© Adrian Notz
Im Cabaret Voltaire in Zürich wurde 1916 die Kunstrichtung DADA geboren. An den avantgardistischen Veranstaltungen nahmen u.a. Tristan Tzara, Hugo Ball und Hans Arp teil. Welche Rolle spielt das Cabaret Voltaire heute? Ein Interview mit dem Leiter Adrian Notz.
Seit seiner Gründung im Jahre 1916 wurde hier eine unvergleichliche Geschichte geschrieben. Was bedeutet das Cabaret Voltaire heute?
Es ist natürlich immer eine Frage der Perspektive, die ich als Direktor des Cabaret Voltaire nur schlecht beantworten kann, da ich ja auch täglich vieles ins Cabaret Voltaire projiziere. So würde ich sagen, das Cabaret Voltaire ist ein Gesamtkunstwerk. Meine Vision ist, dass man mit Dada und dem Cabaret Voltaire ein Bild für das Ganze schaffen kann, dass man den Menschen Werte geben kann, mit denen sie angesichts dieser haltlosen Zeit Haltung bewahren können. Idealerweise wird man dann zu einem/r Trickster/in und Dandy. Ein/e kulturinteressierte/r Besucher/in würde sagen: Es ist ein Monument und Denkmal. Unbewusst ist es für viele sogar ein Pilger- oder Wallfahrtsort. Es ist das Denkmal für die Geburt von Dada. Es ist ein Monument, das uns ständig daran erinnert, welche Revolution Dada wollte. Für viele junge Zürcher ist es auch einfach eine Bar. Und für die lokale Kunstszene und internationale Künstler/innen ist es auch ein non-profit Kunst- und Performance Ort.
Was wollten Sie neu gestalten, als Sie hier angefangen haben?
Als ich 2012 Direktor des Cabaret Voltaire wurde, war die Erneuerung, die ich brachte eine konzeptionelle. Das Profil des Cabaret Voltaire setzt sich nun aus fünf Begriffen zusammen: «Ort», «Institution», «Dadálogie», «Academia» und «Kunst».
Als Geburtsort von Dada ist das Cabaret Voltaire identitätsstiftend für diese globale Kunstbewegung. Es ist der Ort, an dem die größte künstlerische Revolution des 20sten Jahrhunderts begann und gleichzeitig ein wichtiger Ort in der Geschichte der Performance.
Als solches verschreibt sich das Cabaret Voltaire, anlehnend an die «Dada Soiréen», dem Versuch, ein Ereignis aus dem Bereich des Unmöglichen in den Bereich des Möglichen hereinbrechen zu lassen. Außerdem werden hier die Methoden und Denkweisen, die in der «Dadalogie» zu Tage gefördert wurden, zeitgenössisch in der Philosophie und Theorie überprüft, verhandelt, ausformuliert und mit aktuellen Diskursen in Verbindung gebracht. Dadurch werden die Entdeckungen der «Dadalogie» durch zeitgenössische, gesellschaftliche und künstlerische Fragen ergänzt und kontextualisiert.
Wir räumen der Kunst, die wir nicht in Sparten unterteilen, den grössten Platz ein, weil wir damit aktiv Kultur und Gesellschaft mitgestalten und unsere Zeit formen können.
Bis zum 100jährigen Jubiläum von Dada habe ich den Fokus auf «Academia» gesetzt, so dass wir nun viele akademische Partner haben. Nun widmen wir uns mit «Fun & Fury!« der Performance, also der Kunst, und damit den nächsten 100 Jahren.
Kann man von einer Wiederbelebung des DADA- Geistes sprechen?
Ja, unbedingt. Dada ist ja grundsätzlich noch nicht seit langer Zeit in breiten Kreisen bekannt, aber vor allem in den letzten 5 - 10 Jahren widmeten sich nicht nur mehr Spezialist/innen, Akademiker/innen und Künstler/innen Dada, sondern auch Schulen und Jugendliche setzen sich vermehrt und intensiver mit Dada auseinander. Es sind zudem in jüngster Zeit sehr viele neue Untersuchungen publiziert und Ausstellungen organisert worden. Die hohen Besucherzahlen aktueller Dada-Ausstellungen zeigt das rege Interesse in unserer heutigen Gesellschaft.
Welche Projekte haben Sie seit der Neueröffnung hier beherbergt, welche Künstler haben Sie im Cabaret Voltaire empfangen?
Wir haben seit der Eröffnung 2004 rund 221 Künstler/innen, Philsoph/innen, Kurator/innen, Theoretiker/innen, Architekt/innen und Aktivist/innen im Cabaret Voltaire empfangen, die hier Kunstwerke ausgestellt, Performances / Aktionen gemacht haben, Vorträge gehalten und vieles mehr. Besonders hervorheben möchte ich in diesem Kontext z.B die Ausstellung «Dada East - The Romanians of Cabaret Voltaire» mit einigen zeitgenössischen rumänischen Künstler/innen, die auch auf eine europäische Tour ging (2006), die Ausstellung «Dada Art & Anti-Art» mit Lia Perjovschi (2010), die performative Ausstellung «Obsession Dada» (2016) die ich mit Una Szeemann kuratiert habe, in der wie das Archiv ihres Vaters Harald Szeemann auf «Dada» und «Obsession» untersucht haben und wöchentliche Perfomances organisiert haben, unter anderem mit Thomas Hirschhorn, Nedko Solakov, Pilar Albarracin, Gianni Motti, Shana Lutker oder Lily Reynaud Dewar und letzten Herbst das Performance Programm «Fun& Fury!» zu dem wir jeden Dienst-Tag Performer/innen eingeladen haben, darunter Cally Spooner, Christodolous Panayiotou, Christian Falsnaes, Jacques Rancière, James Massiah oder Adriana Lara.
Wenn wir einen Schweizer fragen würden, warum er ins Cabaret Voltaire kommt, wäre die Antwort....
Jeden Dienstag wegen der tollen Performances, montags und mittwochs wegen der akademischen Diskussionen und Vorträgen und sonst wegen Dada-Stadtführungen und wegen Absinthe und «Dada Sour», die es da zu trinken gibt.
Welche sind die größten Herausforderungen und Risiken für die Zukunft dieses Ortes?
Wie immer und überall, sogar in Zürich: Das Geld. Das Cabaret Voltaire hat keine fixe finanzielle Subvention für Betrieb und Programm. Das Haus gehört nun der Stadt Zürich, so dass wir weiterhin keine Miete bezahlen müssen. Mit der Bar können wir zwar einen Beitrag an künstlerisches Personal und Programm leisten, aber das reicht leider noch nicht ganz aus.