
© Jan Böttcher
Ein Spaziergang, ein Reisebericht
Im Herbst letzten Jahres kam Jan Böttcher auf Einladung des Goethe-Institus Bukarest für eine Woche nach Rumänien, um rumänische Autorinnen und Autoren sowie Kulturschaffende zu treffen. Seine Eindrücke hat er in kürzeren oder längeren tagebuchartigen Einträgen gesammelt, die Sie im Folgenden nachlesen können.
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Wir füllen die Tipografia. Das Bier fließt. Der Dude spricht. Oder ob ich Star Wars liebe? Zitate und Kopfschütteln und Zitate. Ihr kennt sogar meinen Lieblingsfilm „In the Soup“, den überhaupt niemals jemand gesehen haben kann außer mir. Wird die Welt jetzt kleiner dadurch oder größer? Du erzählst von der fantastischen Geschwindigkeit des Netzes in Rumänien bei gleichzeitiger Slowmotion in der Strafverfolgung. Also klaut man sich als armes Land online die Bücher zusammen, die man niemals besorgen oder bezahlen könnte. Wir nennen es soziale Gerechtigkeit, mitten in Europa. Und stoßen an. Aber wer ist denn nun die Lost Generation, die 2000er oder die 2010er? Die alten Trinker oder die jungen Netzverrückten? Ich sehe nicht mehr durch. Wir reden über deine Bindungsangst, draußen vor dem Pub, rauchend. Literatur ist Leben, verstehe schon, aber Leben ist eben nicht nur Literatur, auch Musik, Film, Tanz, Performance, Erotik. Ich schlafe auf dem Dachboden ein, neben einer Katze, die erst drei Monate alt ist, sie kann schon kratzen, aber keine Kratzer hinterlassen.
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Wir zuckeln am Nordrand der Karpaten entlang durch Siebenbürgen, kaum schneller als das Pferdegespann da oben am Waldrand, auf dem Vater und Sohn sitzen. Das Land ist schlammschwarz. Nach zweieinhalb Stunden, kurz vor Sighisoara, eine erste Tankstelle, sogar eine Industriehalle, nach dem Ort wieder bitterste Armut, unbefestigtes Wohnen im Trash. Hopfenstangensysteme, deren Mathematik nicht zu entschlüsseln ist. Hinter mir spielen Mädchen Stadt-Land-Fluss, mit jedem angezählten A geht die Landschaft draußen neu los und fällt wieder in sich zusammen. Russia, Roma, Rhin, Radu. Spania, Sibiu, Svetlana. Ich fixiere die vertrockneten Maisstengel, lauter kleine Quichottes, die zu einem Kampf bitten, den sie nicht gewinnen können. Bald wird der Schnee hereinfallen über das langsame Land. Als wir von der Ostwestroute abbiegen gen Norden, wird der Zug ein wenig rascher, und es gibt plötzlich Häuser, die etwas darstellen wollen, mintgrün, neonrot. Nach sechs Stunden begegnen wir einem fahrenden Zug. Nach acht Stunden verfehle ich dich.
Mit herzlichem Dank an Bogdan Cosa, Dan Sociu, Filip Florian, Mihai Duțescu, Lavinia Braniște, Gabriela Adameșteanu, Adrian Lăcătuș, Vlad Dragoi, Robert G. Elekes, Vlad Moldovan, Rareș Moldovan, Bogdan-Alexandru Stănescu, Andrei Dosa, Cosmina Moroșan, Ștefan Agopian.