
© Jan Böttcher
Ein Spaziergang, ein Reisebericht
Im Herbst letzten Jahres kam Jan Böttcher auf Einladung des Goethe-Institus Bukarest für eine Woche nach Rumänien, um rumänische Autorinnen und Autoren sowie Kulturschaffende zu treffen. Seine Eindrücke hat er in kürzeren oder längeren tagebuchartigen Einträgen gesammelt, die Sie im Folgenden nachlesen können.
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Wir blicken vom Hof vor dem Café Legere auf die Piaza Rosetti, du rauchst selbstgedrehte Zigarillos. Du hast dich im Ausland aufgeladen mit Glück. Zwei Monate Stipendium in der Schweiz, so produktiv, dass du den Scheitelpunkt eines neuen Romans erreicht hast, eine Art Schweizer Alpengipfel, von dem der Blick nun ins hintere Tal des Buches fällt. Sonne, Schatten, Horizont. Ich nehme dir das Glück ab, obwohl du danach jeden Weg suchst, um von dir abzulenken. Lieber über Freunde und gute Bücher reden, über eine schwere Kopfverletzung (was macht ihr nur alle?), oder auf dem Handy Bilder zeigen, die dein Sohn gemalt hat, inspiriert von Peter Doig, bei dem er unbedingt studieren wollte, der aber kurz zuvor die Kunsthochschule verlassen hat, wie es sich für ein Idol gehört. Peter Doig. Die Karibik. Seine Farben. Ich habe den einsamen Polizisten vor mir, wie er nachts am Seeufer steht und hinausruft, uns etwas entgegen ruft, als seien wir Bildbetrachter seine Vermissten. Sind wir längst ertrunken, die wir an die Kunst glauben? Dann bliebe tatsächlich nur die Täterperspektive, die du für deinen neuen Roman gewählt hast. Ein Offizier, der wunderbare Lebensmomente genießt und dann mitverantwortlich ist für das Massaker von Odessa, als im Oktober 1941 bis zu 40.000 Juden von rumänischen Truppen umgebracht wurden. Wir schweigen. Umhüllt von historischem Bewusstsein und einem literarischen Gewissen, ich trage auch dazu bei, erkennen mich wieder. Man erschrickt manchmal davor, wenn der Moralismus in der eigenen Fiktion aufleuchtet – und dreht sich dann rigoros ab, bis der Gegenpol (die Enthemmung) in Sicht kommt und ein neues Erschrecken auch davor einsetzt. Das Pendeln ist die Herausforderung.
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Zum Mittagsbufett gehen wir ins Hotel Capitol. Ich habe dich an der Uni abgeholt, wo du Kurse gibst. Dein Büro hast du kürzlich aufgegeben, aber es ist kein Schreibbüro gewesen, du arbeitest als Architekt. Man hat dich für deine Ideen und Entwürfe ausgezahlt und dir im selben Atemzug den Auftrag entzogen, das passiert immer wieder mal. Dein
daily business-Schulterzucken. Du hast dem Machtspiel Architektur deine aktuelle Fiktion gewidmet, beschreibst darin den Ausbau eines real existierenden Quartiers in Bukarest. Wir essen. Du weißt nicht, warum du noch da bist. Drei Kinder sind drei Gründe. Aber eher drei Gründe dagegen, sagst du, und beschreibst die Lage in den Krankenhäusern. Nur als Beispiel. Dein kleinstes Kind musste mit einem Magen-Darm-Infekt notversorgt werden. Im staatlichen Hospital krümmte sich deine Frau im Sammelzimmer mit ins Kinderbett, es gab über Nacht keinen Platz in der Herberge. Ein rumänischer Allgemeinplatz, dass man kranker aus diesen Krankenhäusern zurückkehrt, als man hineingegangen ist. Also seid ihr ausgewichen auf eine private Klinik, die für achthundert Euro an zwei Tagen keine guten Fachärzte bietet, aber ausreichend Raum zur Quarantäne.
Mit herzlichem Dank an Bogdan Cosa, Dan Sociu, Filip Florian, Mihai Duțescu, Lavinia Braniște, Gabriela Adameșteanu, Adrian Lăcătuș, Vlad Dragoi, Robert G. Elekes, Vlad Moldovan, Rareș Moldovan, Bogdan-Alexandru Stănescu, Andrei Dosa, Cosmina Moroșan, Ștefan Agopian.