Bogdan-Alexandru Stănescu, Georg Aescht und Ernest Wichner versammelten in einer Sonderausgabe des Magazins „Die Horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik” aktuelle rumänische Prosa. Über die Wichtigkeit eines solchen Projekts und die Ansprüche des deutschen Buchmarkts spricht Bogdan-Alexandru Stănescu im Interview.
Im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2018 wird eine Sonderausgabe der Horen erscheinen, die der zeitgenössischen rumänischen Literatur gewidmet ist. Sie wird von Ihnen, Georg Aescht und Ernest Wichner kuratiert. Welche Namen tauchen in dem Band auf und wie wurde die Auswahl getroffen?
Die deutsche Zeitschrift Die Horen bringt Themenhefte, die jeweils einer „Nationalliteratur“ gewidmet sind. Es handelt sich dabei eigentlich um nahezu zweihundertseitige Sammelbände, deren Ziel es ist, ein möglichst genaues Bild eines literarischen nationalen Phänomens zu zeichnen. Das letzte Mal widmeten Die Horen Rumänien eine ihrer Ausgaben vor zwanzig Jahren. Die Verleger haben sich deshalb gewünscht, dass diese Sonderausgabe, die zeitgleich mit dem Auftritt Rumäniens als Ehrengast bei der Leipziger Buchmesse erscheint, die letzten zehn bis zwanzig Jahre rumänischer Prosa abdeckt. Meine Entscheidung war es, eine Auswahl an Kurzprosa zu erstellen, da sie mir im Allgemeinen eine wirklich symptomatische schöpferische Form der rumänischen Prosa zu sein scheint, eine Form, in der sich rumänische Schriftsteller wohlfühlen und in der sie öfter brillieren als in anderen Bereichen der Literatur. (Ungeachtet der Tatsache, dass sie diese von der Illusion des Erfolgs bedrängt, auf der Suche nach Verkäufen und sprechen wir es ruhig aus, auf der Suche nach Verlagen, sehr schnell mit dem viel populäreren Roman betrügen.) Gleichzeitig wollte ich, dass diese Kurzprosa so weit wie möglich den gesamten rumänischen geographisch-literarischen Raum abdeckt und auf Wunsch der deutschen Verleger, dass sie so viel wie möglich im „rumänischen Alltag“ verankert ist. Eine andere Bedingung der Horen-Verleger war, dass die ausgewählte Prosa Originalübersetzungen ins Deutsche sind, was auch der Grund dafür ist, dass in der Anthologie wichtige Namen wie Mircea Cărtărescu oder Norman Manea fehlen. Viel mehr gibt es nicht zu sagen, ich kann jetzt nur die komplette Liste der Autorinnen und Autoren in der Anthologie nennen: Dan Lungu, Lucian Dan Teodorovici, Florin Lăzărescu, Florin Iaru, Ana Maria Sandu, Alex Tocilescu, Sorin Stoica, Ionuț Chiva, Silviu Gherman, Alexandru Potcoavă, Bogdan Munteanu, Lavinia Braniște, Mihai Mateiu, Radu Pavel Gheo, T.O. Bobe, Veronica D. Niculescu, Marius Chivu, Răzvan Petrescu, Radu Paraschivescu, Bogdan Răileanu, Augustin Cupșa și Cezar Paul Bădescu.
Wodurch unterscheidet sich die Kurzprosa aus Rumänien von der aus Deutschland? Was glauben Sie, was wird die deutsche Leserschaft fesseln?
In Anbetracht der Tatsache, dass wir in Rumänien einen Buchmarkt haben, der sich dem deutschen Massenmarkt stark angepasst hat, möchte ich generell betonen, dass zu wenig Kurzprosa aus dem Rumänischen ins Deutsche übersetzt wird und umgekehrt. Hinzu kommt, dass sich die deutsche Literatur nicht in den drei Top-Positionen der Ausgangs-Literaturen für Übersetzungen befindet. Also kann ich, ohne mich dabei schlecht zu fühlen, sagen, dass ich nicht weiß, wie die deutsche Gegenwarts-Kurzprosa aussieht. Was die zweite Frage betrifft, so denke ich, dass hier die erste Antwort „die Vielfalt“ wäre: In dieser Liste befinden sich äußerst unterschiedliche Schriftsteller, die aus unterschiedlichen Literatenkreisen oder kreativen Gruppen stammen. Deshalb glaube ich, dass das Hauptziel dieser Anthologie erreicht ist, ein möglichst umfangreiches Bild rumänischer Prosa des letzten Jahrzehnts zur Verfügung zu stellen.
Du hast zahlreiche internationale Buchmessen besucht. Was ist die Besonderheit der Leipziger Buchmesse?
Der natürliche Vergleich ist der mit der am nächsten stehenden Messe dieser Art, also der Frankfurter Buchmesse. Der Unterschied sticht sofort heraus: während die Frankfurter Buchmesse eine Messe für Verlagsrechte ist, eine professionelle Messe, bei der die Autoren einfach nur als Ware präsent sind (und das meine ich nicht abwertend ich denke, dass über diese Ware täglich via E-Mails verhandelt wird), spielen in Leipzig die Autorinnen und Autoren die erste Geige. Das ist eine viel autoren- und leserfreundlichere Messe.
Anlässlich dieser Buchmesse wurden zahlreiche rumänische Autorinnen und Autoren ins Deutsche übersetzt. Wie wichtig ist es für einen Schriftsteller, präsent zu sein, an Veranstaltungen in Rahmen dieser Messe teilzunehmen, bei der Rumänien als Ehrengast auftritt?
Ich glaube, dass es essentiell für eine Autorin, einen Autor ist, bei solchen Buchmessen anwesend zu sein, vor allem als Demutsübung. Erst wenn man in einer enormen Halle aufwacht, in der gleichzeitig dutzende von Lesungen mit Schriftstellern aus unterschiedlichen Ländern stattfinden, versteht man, wie klein und widersprüchlich man ist und gleichzeitig, wie wichtig das eigene Schreiben ist. Diese Art Weiterentwicklung dient den rumänischen Schriftstellern (denjenigen die sehen und verstehen können) – losgelöst von der nationalen Übung der Selbstbewunderung, können sie zu einer tieferen Beziehung mit dem eigenen Schreiben zurückkehren.
Gibt es genug Übersetzerinnen und Übersetzer aus dem Rumänischen ins Deutsche? Wie sehen Sie den Werdegang eines Übersetzers? Welche Eigenschaften und Erfahrungen sind dafür notwendig?
Es gibt niemals zu viele Übersetzer. Auf diese Tatsache machte als erste die Leitung des Rumänischen Kulturinstituts ICR in der Patapievici-Zeit aufmerksam, woher auch die Aufenthaltsstipendien für neue fremdsprachige Übersetzer während dieses Mandats stammen. Wir beschweren uns, dass die Verlage aus dem Ausland kein Interesse für unsere Literatur bekunden, aber wenn wir Prosa-Auszüge übersetzen sollen, wissen wir nicht, auf wen wir zurückgreifen können. Und „die deutsche Lage“ ist noch eine glückliche, weil wir über eine beachtliche Menge professioneller Übersetzer verfügen, die von der rumänischen Literatur begeistert sind.
Diese Übersetzer spielen auch die Rolle wahrer Literaturagenten, so dass ihre Präsenz im deutschsprachigen Kulturraum eine entscheidende Rolle bei der Auswahl neuer Übersetzungen spielt.
Überlegen Sie aber mal, was im Vergleich dazu, im Bereich der Literatur aus dem angelsächsischen Raum passiert! Welche englischen Muttersprachler, die rumänische Literatur übersetzen können, außer Alistair Ian Blyth und Philip Ó Ceallaigh kennen wir?
Im Polirom Verlag verlegen Sie internationale Literatur. Ist es schon mal vorgekommen, dass Sie sich sehr gewünscht haben, dass ein Autor, den Sie sehr schätzen, veröffentlicht wird, das aber nicht geschieht?
Selbstverständlich! Sogar mehrmals im Jahr! Meistens geht es dabei um Autorinnen und Autoren, die die kommerzielle Zensur nicht überstehen (das bedauere ich am meisten). Dann gibt es andere, die von anderen Verlagen veröffentlicht werden. Aber ich sehe Neid (man lese Bewunderung) wie einen Motor der Arbeit im Verlagswesen. Manchmal, sehr selten, passiert es allerdings, dass der Autor, den man jahrelang (wenn nicht sogar jahrzehntelang) bei anderen Verlagen gelesen hat, in das eigene Portfolio gelangt und dann begreift man, dass es in diesem Beruf auch Erfüllung gibt.
Was würdest du Bogdan-Alexandru Stănescu sagen, wenn du einer der Autoren wärst, die von dir veröffentlicht wurden?
Das er mit dem Quatsch aufhören und mehr schreiben soll.
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Bogdan-Alexandru Stănescu (geb. 1979) ist Schriftsteller, Essayist, Übersetzer, Verleger und Leiter des Bukarester Internationalen Literaturfestivals este (FILB). Er debütierte mit Literaturkolumnen in der Zeitschrift Luceafărul (1999), als er noch Junior-Redakteur der Zeitschrift Ziarului de Duminică war. Seine Kurzprosa wurde in zahlreichen „Prima mea…”-Anthologien des Editura ART Verlags veröffentlicht. 2010 publizierte er zusammen mit Vasile Ernu
Ceea ce ne desparte.
Epistolarul de la Hanul lui Manuc (Polirom Verlag) und debütierte 2012 als Lyriker mit dem Band
Apoi, după bătălie, ne-am tras sufletul (Cartea Românească Verlag), der für den Preis der Zeitschrift Observator cultural und für den Radio-România-Cultural-Preis nominiert wurde. Im Jahr 2013 wurde beim Editura ART Verlag seine Essaysammlung
Enter Ghost publiziert, imaginäre Briefe an Osip Mandelştam. Im Jahr 2014 kam der zweite Gedichtband,
anaBASis (Cartea Românească Verlag), der ebenfalls mit dem Radio-România-Cultural-Preis nominiert wurde. Im Jahr 2017 erschien sein Roman
Copilăria lui Kaspar Hauser (Prosapreis des Leseclubs „Nepotu lui Thoreau”). 2012 wurde Stănescu mit der Arbeit Emil Botta: Ars moriendi in Literaturwissenschaft promoviert. Er übersetzte Alberto Manguel, James Joyce, Tennessee Williams, William Faulkner, Sandra Newman, Edward Hirsch, Paul Auster und Daniel Mendelsohn ins Rumänische.
Übersetzung: Manuela Klenke