Gewitter jagen Hitzetagen nach wie wildgewordene Hunde. Grollen, bellen, Felsen-hoch. Schnappen nach Luft mit feuchten Nasen. Leise. Laut. Rasend zwischen Dächern und Bergen. Nachtschreck-finster, plötzlich, Mondzacken-hell, plötzlich, immer wieder.
Doch manche Horde Gewitterhunde wirkt... wie abgerichtet. Dressiert von den Hünen vielleicht, die den Sagen nach weit vor Rumänien in Siebenbürgen lebten, und sich mitunter noch erste Sachsensiedler in die Schürzentaschen steckten, und mit ihnen von Berg zu Berg sprangen in alter Zeit.
So gezähmte Hünenhöllenhunde wüten und bellen dann, wenn es etwas weniger stört. Ganz früh am Morgen, wenn alles noch schwarz, später grau, wenn der Stadtschlaf noch tief ist, zu tief, um Krach und Schreck, um Traum und Wach zu unterscheiden. Tage und Tage hintereinander: Gewitter jeweils zwischen Nacht und Sonne, 3, 4, 5 Uhr.
Die Riesen - vielleicht um aufzuräumen für kommende große Feiern? - sie müssen ihn noch einmal aufgesucht haben, den Wald. Haben den Himmel mit Sachsenfleiß gewaschen und gebügelt und gekämmt, haben die Tage behängt mit weißen, grünen, blauen Tüchern aus herrlichstem Sommer. (Nur selten auch mit Wolkenschleiern für die schüchternen unter den Bergen.) Und haben nachts, so spät, dass es schon wieder früh war, ausgiebig ihre Gewitterhünenhunde rennen lassen. Wer weiß, vielleicht, um ausgerissene Schäfchenwolken zu hüten.
Und das eine… oder andere...
Wolkenschaf
hat sich wohl fangen lassen,
in dieser Stadt der Kultur
unter den Bergen der Hirten.
(II) Er ist da! Ist er da? (22. Juni)
Ankündigungen? Gab es, ja. Es wird auch in diesem Land gewartet.
Sogar hervorragend gut.
Zum Beispiel auf Zetteln hinter vielen Schaufensterscheiben: Gewartet wird auf arbeitswillige Hände. Auf Kellner-Hände, Verkäufer-Hände, auf Busfahrer, Ingenieure, Büro-Personal.
Gewartet wird im Morgengrauen vor Passstellen und Ämtern.
Vor Gerichten wird ausgeharrt und vertagt.
Gewartet wird, dass lange Prozesse ein Ende; dass verrottende Häuser einen Besitzer, Sanierer, Retter finden, bevor höchstens noch der Teufel in ihnen wohnt.
Auf Entscheidungen wird gewartet, auf Lösungen. Auf die Zukunft.
Auf Ewigkeit wird gewartet. Auf Gott. Oder auf immerhin endlich einen Pfarrer für eine traditions-große Pfarrwohnung, eine sehr alte Kirche und Gemeinde.
Nicht selten wird gewartet auch auf das Wachsen guter Geschäftsbeziehungen.
Industrie- und Handelskammern helfen manchmal, eine Deutsch-Rumänische zum Beispiel.
Nicht in einer Kammer, nein, in einem hohen Hotel zwischen Schnellstraße und Berggrün hoffen so auf Erfolgszuwachs eines Tages etwa Sachsen aus Sachsen und Sachsen aus Siebenbürgen.
Nur auf das politische Haupt der Sachsen aus Sachsen wartet die Delegation diesmal umsonst. Der sächsische Ministerpräsident, religiös, sobre, Teil einer Minderheit, wie die Siebenbürger Sachsen auch, er ist in Bukarest geblieben. Gebannt von einer spannenden neuen Wendung im rumänischen Kampf zwischen Regierung und Regierung und Korruption.
Nach Bukarest also? Fährt auch die Stadtschreiberin einmal. Und wartet.
Auf der Straße, trotz Hundewetter, keine Straßenhunde. Was ist los, zu müde?
Dafür, trotz Regen, ein kleiner Marsch. Gestoppte Autos. Fahnen. Eine Demonstration.
Auch: parisisch elegante Häuser. Und verrottende, sehr zahlreich. Wand-Bilder. Rattenbabys.
Und mitten in der wilden Wucherung von Stadt, ganz plötzlich, scheint der gefunden, auf den gewartet wurde.
Es steht am Briefkasten. Godot, in Apartment 1.
Aber ist er auch zuhause?
(III) Grasbart (12. Juli)
Vergesslich sind wir. Nicht nur bei allesschmelzender Hitze. Nicht nur, wenn wir alt sind oder dement, und amtlich schwächer werden dürfen. Nicht einmal nur, was die schlechten Nachrichten betrifft, die verbeulten, rostigen Nachrichten-Schnellzüge, die weiterrattern von Krawall zu Hunger, zu Feuer, zu Bombe, zu neuen Ministern, zu falschen Entschlüssen, weiter, weiter. Wir vergessen, was noch alles zu tun ist. Wir vergessen, wie oft wir uns schon gesagt haben, dass wir nicht vergessen sollten: zum Beispiel, wie schön es ist, wenn etwas funktioniert. Kopf, Beine, Krankenversicherung, Vater Staat. Immer wieder vergessen wir, dass wir nicht vergessen wollten, wie gut es uns geht.
Da ist neulich die Frau, die diese Püppchen herstellt und verkauft. Umlagert von Sonne und Zeltschatten, von Ohrringen und Ketten.
"Where do you come from?", fragt sie. "Oh, Germany?"
Deutschland, sagt sie, ach ja, da, wo alles seine Ordnung hat." Ein wenig müde klingt ihre Stimme, und so, als spräche sie von einer weit entfernten Welt.
Hinter ihr die Fransen der Stadt, und eine große, berggesäumte Weite. Burzen-Land: grüner, manchmal staubiger Teppich für Riesen. Vor ihr am Zeltstand das Spielzeug, der Schmuck, dicke Bündel, wie Zwiebeln und Knoblauch im Herbst. Und Bierzeltbänke. Musik. Und Mauern, majestätisch angeschrägt, hoch. Festungsmauern. Die alte Wächterzitadelle, Schlossbergfestung. Prominent über der Stadt. Und doch in städtischen Touristenblättern verschwiegen, als wäre sie nicht existent.
In älteren Schriften taucht sie auf. Bis vor ein paar Jahren beherbergten ihre Höfe noch touristen-`historisch´ ausstaffierte Restaurants. Und heute - bröckelnde Staffagen, für nichts und niemanden mehr. Geschlossen. Ein wahrer Schloss-Geist, ein Geisterschloss. Umwölkt von kalter und heißer Geschichte, blutigen Aufständen, Knast. Doch eigentlich vergessen, weggeschlossen hinter pseudostarken Burgtüren.
Diese Art Geister sind nicht selten im Land. Je genauer man hinsieht, desto häufiger findet man sie.
Wände mit Riss-Mündern, mit Grasbärten und Moosbrauen, statt mit Familienfotos. Häuser, die leerstehen seit Jahr und Jahr und Tag. Stuckverzierte genau wie nüchterne, Fabrikhallen genau wie Häuser von Politikern, Dichtern, Geschichtsbuchmenschen.
Viele dieser Gebäude sind MONUMENT ISTORIC, beschildert, gelistet auf für intensiven Denkmal-Schutz zu langen Listen.
Die Zeit schreitet fort, rast, radelt, holpert. Ist vielleicht hier in Siebenbürgen eine andere Zeit. "Zögernd nur schlagen die Uhren", schrieb vor 100 Jahren Adolf Meschendörfer,"zögernd bröckelt der Stein."
Und doch legt die Zeit nie ihre gefährlichen Waffen ab, ihre Zähne. Sie nagt an Fenstern, Wänden, Dächern. (Zusammen mit ihren Gehilfen, Wind, Wetter, Schrottdieben …
Und die Häuser? Halten aus. Warten. Warten, dass Richter und Anwälte arbeiten, dass schwierige Kämpfe zu Ende gefochten werden, zwischen Gesetz und Gesetz und so-so. Ein Gesetz erlaubt Mietern bald nach der Wende, ihre Wohnungen preiswert vom Staat zu kaufen. Ein anderes gibt den vorkommunistischen Besitzern Rückgaberecht. Und nun? Nichts passt zusammen. Doch, Prozesse passen dazu, Streit, langsame Mühlen der Justiz. Godot als Richter.
Besitz-Ungeklärte Häuser derweil auf dem Abstellgleis geparkt. Manche bewohnt, viele leer, und keiner, auch nicht der Staat, hat Lust, mehr als hie und da einen winzigen Pinsel in die Hand zu nehmen.
So in der Stadt… und so viel mehr noch auf dem Dorf.
Zum Beispiel… eine gewesene deutsche Dorf-Volksschule:
Zeilen in Museen getragen.
Zeilen verwittert, abgeweicht, übertüncht.
Jahrzehnt-, Jahrhundertalte Wörterschatten. Wände dahinter reißen, bröckeln, stauben.
Platzwundenlidschatten um stockfeuchte Augen.
Mal rinnt Ruß aus Kaminklappen wie Greisenspucke lange nach dem Abendbrot.
Mal malen vergessne Tapetenschichten Gemälde.
Sonst ist da nichts mehr. Oder?
Regt sich etwas, irgendwo?
Nimmermehr. Doch. Leicht, schnell.
Zeit? Geisterhaar?
Schreck, und auch -
ein Pferdeschweif. Pferdebein. Schnauben.
Und nahbei unbesorgte Wäsche überm Zaun, die zeigt, dass auch der Heuschaufler, der Reiter irgendwo hier wohnt.
Tausende Häuser warten so, in Siebenbürgen und im ganzen Land. Am dichtesten gedrängt naturgemäß in der millionenstarken Hauptstadt. "Sad, empty buildings", sagt dort Stadtführerin Alina, leise.
Lieber zeigt sie "lucky houses": die, die genau das sein dürfen: Häuser. Keine vergessenen, einsamen Gespenster, keine windlöchrigen Ziegelhaufen. Häuser mit dichten Dächern und Wänden, für Menschen, die nicht unbehaust sind.
Ja, erinnern wir uns, wie glücklich so ein Haus.
(IV) Bitte, Kreuzung, bleib gesund (9. Juni)
"Wann gibste mir mein Pösi zurück?", plapperten schon vor Jahrzehnten Berliner Unterstufenkinder. Und fragten damit nach dem "Poesiealbum" mit erst noch leeren Seiten, das Mitschülern geliehen wurde, auf dass sie sich verewigen sollten. Durch Passbilder, krakelige Unterschriften, ungelenke Zeichnungen; manchmal auch durch begehrte Westaufkleber, die Abdrücke ins Papier glotzten mit zu dicken Wackelaugen.
Gedichtstrophen schafften es schon damals selten in so ein Album. Häufiger dafür die immer gleichen knappen Sprüche, wie abgeschrieben vom Banknachbarn:
"Blaue Augen / roter Mund / liebe Paula / bleib gesund."
Oder, layout-ausgefuchst auf die Winkel des Blattes verteilt: "In allen / vier Ecken / soll Liebe / drin stecken."
(Solche Zeilen vom leise angeschwärmten Gregor oder Kai... oft genug gemurmelt, wurde daraus manchmal, wer weiß, vielleicht doch Poesie.)
Alle vier Ecken aber - sind in der Tat unwägbar genug. Sind eng, sind Falle, Kiste, Verlies.
Und können sich doch wandeln, sich strecken: zu Pfeilen, zu Richtungen, zu Wegen.
Keiner weiß, wie weit, so ein Weg. Keiner weiß, wer wartet da, und keiner weiß, was wird passieren.
Zum Schwindligwerden.
Viel Raum für Aberglauben an jedem Kreuzweg, schon immer. In alle Richtungen offener Raum, dem nicht zu trauen ist. Treffpunkt für böse Geister.
Und endlos traurig, für Christen zumal. Via Dolorosa, Tränen, Fehler, Schmerzen.
Also: Ein Schutzsymbol, zur Sicherheit.
Schon die Römer: Weihesteine für ihre Wegegöttinnen. Feuer und Opfergaben bis ins Mittelalter, zum Verdruss der christlichen Bekehrer.
Und hier: etliche Kreuzwegkreuze besitzen sogar ein eigenes Häuschen. Nah an den Karpatenfelsen. Ein eigenes Häuschen!
Als Regenschutz für böse Kreuzweggeister? Gott bewahre.
Als Käfig, sie einzusperren wie Hühner?
Nein! Drinnen wohnt das Kruzifix, schlechte Geister halten Abstand.
Und die Gebetshäuschen, als seien sie nicht poetisch genug, haben noch eine geheimnisvolle Kraft: Sie laden hie und da zum Tanz.
Flinke, schwindelfreie Tänzer, glitzernde Kostüme, Musik. Und sogar, so hört man, Beschützer hoch zu Ross... .
(V) Riesen-Wartesaal, Poch, Still. (12. August)
Der Himmel wird hell, der Himmel wird dunkel. Hoch ist er. Nur manchmal senkt er sich, weit genug, um selbst niedrige Vorhutberge grau zuzudecken.
Schickt er Boten? Möglich.
An nicht vielen Orten Europas ist der Himmel so groß. Geräumig sein, das muss er auch, muss er über ganz Rumänien. Schon weil, neben mehr als 80 Prozent Christlicher Orthodoxie, anderthalb Dutzend weiterer Religionen traditionell existieren, im sekulären Staat Rumänien.
Zweiundzwanzig Millionen Himmelsstürmer auf verschiedenen Bahnen. Strenge, weniger strenge... . Nichtgläubige fast gar keine, so glauben es die Zahlen.
Besonders viel Platz aber hat der Himmel genau hier: im Rendezvousgebiet von Süd- und Ostkarpaten, in Siebenbürgen, dem Burzenland-Teppich, in Kronstadt. Auf eine einzelne, vergessene Industrieschornstein-Nadel kann er sich stützen, auf gemäßigt hohe Häuser. Sonst ist dieser Himmel frei. Schüttelt einen seltenen Hubschrauber ab wie eine lästige Hummel. Und ist nicht, wie anderswo, umkreist, umschnürt, zerkratzt von Luftverkehr.
Zumal Kronstadts länger versprochener Flughafen so auf sich warten lässt. Eine Landebahn bekam er schließlich, nach Jahren, in denen neue, erwartungsfrohe Straßenzüge und goldene, orthodoxe Kuppeln nah aus dem Staub stiegen wie Sonnen.
Und weiter? Ging es, geht es mit dem Flugplatz erstmal nicht. Oder? Doch. Nein. Oder?
Ach...
Bestimmt wird er an die Landstraße gebaut von: Godot.
Genau wie der Flughafen in einer anderen irgendwie armen, irgendwie nicht armen, lässigen Stadt mit `B´. Einer nördlicheren, bergfernen, in einem eigentlich durchorganisierten, anderen Land. Nicht BÄR soll der Flughafenname dorten dann sein, wie es hier, an den Bärenwäldern, wie auch dort, an der Wappenbärenstadt, passen würde. Nein, BER soll er heißen, der Flughafen-Irgendwann, dort, bei Berlin.
Mondkalt glänzen da im Norden ganze Hallenlandschaften, im Grunde lange fertig. Zu klein zwar jetzt schon, sagen manche, für die geplante millionenfache Nutzung. Aber rein hallen-räumlich doch enorm, wie für Riesen. (Für die sagenhaften Hünen aus dem Kronstädter Land...?)
Und täte Godot die unfertig wartenden Flughäfen beider `B´-Städte zusammenpacken, wer weiß, würde sicher der beste aller Flughäfen draus.
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Paula Schneider, 1976 in Leipzig geboren, hat ihre Kindheit in Berlin verbracht und 2003 ihr Diplom am Deutschen Literaturinstitut Leipzig erworben. Sie erhielt verschiedene Stipendien (u. a. im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf und das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste). Seit 2007 schreibt sie regelmäßig Radiofeatures und Hörspiele. Mehrfach wurden diese Arbeiten ausgezeichnet (u. a. mit dem Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung). Einer ihrer thematischen Schwerpunkte ist das östliche Europa.
Beitrag von Andra Rotaru