
Claudiu Komartin |@ Alberto Groşescu
Claudiu Komartin trat mehrmals als eingeladener Autor vor einem deutschen Publikum auf und nahm an vielen literarischen Veranstaltungen und Residenzprogrammen im deutschsprachigen Raum teil. Seine Gedichte wurden in rund zwanzig Sprachen übersetzt und seine Lyrikbände sind bereits in Österreich, Serbien und in der Türkei erschienen.
"Europaweit vergeben Deutschland und Österreich die meisten Residenzstipendien an ausländische Kulturschaffende, weil sie als erste erkannt haben, was der kreative Zustrom und die produktive Gastfreundschaft auf Dauer bringen können."
Wie würdest du das beschreiben, was zurzeit im Bereich der „jungen” Lyrik aus Rumänien passiert? Im Laufe der Jahre hast du viele junge Schriftsteller in den Lese-Club des Blecher-Instituts zu Lesungen eingeladen und sie zum Dialog aufgefordert. Was sind die Bezugspunkte der jungen Autoren? Was erhoffen sich die Schriftsteller von ihrem eigenen Schreiben?
Ich glaube, wir leben gerade in einer Phase der Veränderungen, was die Rezeption und auch die Produktion von Literatur betrifft. Diese Veränderungen haben mit dem Wandel unserer Welt zu tun – der zuallererst technologischer Natur ist, aber eben nicht nur. Es gibt auch vieles im Sozialen oder Politischen, das eine Auswirkung auf die globalisierte Welt hat (an das wir uns, im Vergleich zu anderem, später gewöhnt und dem wir uns angenähert haben). Ich glaube tatsächlich, dass wir uns an der Schwelle zwischen zwei Welten befinden – ich zumindest bin immer noch mit einem Bein in Gutenbergs Welt und mit dem anderen in der digitalen Multimedia-Wirklichkeit. Diejenigen, die zehn bis fünfzehn Jahre jünger als ich sind, könnten diese Grenze schon überschritten haben, in Anbetracht der Tatsache, dass sie mit allen diesen technologischen Errungenschaften groß geworden sind. Noch fällt es mir ziemlich schwer, die Richtung zu erahnen, in die die Literatur gehen wird, so dass ich das tue, was ich schon immer getan habe: Ich folge meinen eigenen Interessen und den mich bedrückenden Themen, ohne mich dabei erpresst zu fühlen, im Einklang mit einem bestimmten Trend oder einer allgemeinen Bewegung schreiben zu müssen – für mein Schreiben ist es so am gesündesten, obwohl sich meine Einstellung unter gewissen Umständen als unrentabel erweisen könnte.
Sollen junge Lyriker, neben rumänischer Literatur, auch übersetzte Lyrik lesen? Oder wäre es die beste Option, mitten in der literarischen Gesellschaft eines anderen Landes zu leben, direkt mit Schriftstellern aus anderen Kulturen zu interagieren und sich somit eine Zeit lang der eigenen Wurzeln zu berauben?
Das hängt von der Persönlichkeit jedes Einzelnen ab, von seinen oder ihren Vorlieben und Obsessionen. Es gibt da kein allgemeingültiges Rezept oder eine Antwort, die generalisiert werden kann. Manchen hilft dieser direkte, frontale Kontakt mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Umfeldern, andere wiederum werden davon demoralisiert und verschließen sich dadurch in sich selbst, was allerdings sehr vorteilhaft für einen Schriftsteller sein kann, dessen erste Sorge nicht die „Zielgruppe” ist. Dessen erste Sorge eben nicht ist, denen zu schmeicheln, die auf ein mit sich selbst beschäftigtes Individuum und dessen widersprüchliche Arbeit mit Sprache aufmerksam werden könnten. Etwas sagt mir, dass es schon immer so gewesen ist und dass sich das unter dem Druck und der steigenden Beschleunigung der heutigen Zeiten nicht wirklich ändern wird.
Würdest du Rumänien für längere Zeit verlassen? Entweder als eine Art Übung für das eigene Schreiben, oder als eine Rekontextualisierungsübung von all dem, was dich bislang ausgemacht hat?
Nein, nur für eine kurze Zeitspanne, höchstens einen oder zwei Monate. Luftschnappen und nötige Umstrukturierung. Aber keine Immersion, die mich von der Sprache, in der ich schreibe entfernt und von all dem, was ich aus diesem Ort ziehe, den ich zu Hause nenne.
Du bist auch mit den poetischen Strömungen aus Ländern wie Österreich oder Deutschland, deren junger Literatur und der ziemlich unberechenbaren Dynamik des Publikums vertraut. Was sind die Eigenschaften des Publikums in diesen Ländern – so wie du das beobachten konntest – was wünscht sich das Publikum von den Autoren? Sollen sie international oder mit ihrem Herkunftsland verbunden sein?
Eine solche Analyse in einigen Zeilen zu verfassen ist schwer – der deutschsprachige Raum ist ein ganz eigener Kontinent, was Geistesleben, Tradition, Themenvielfalt und künstlerische Experimente der erwähnten Länder anbelangt. Zu behaupten, man würde in allen Einzelheiten wissen, was in diesem Sprachraum mit seinen Möglichkeiten passiert, wäre ein Akt der Selbstüberschätzung. (Ich muss trotzdem betonen, dass von den europäischen Ländern Deutschland und Österreich das breiteste Programm an Aufenthalts- und sonstigen Stipendien für ausländische Künstler anbieten. Denn beide haben verstanden, wie viel ihnen dieser Zuzug an Vitalität bringen kann, und wie sich diese Art produktiver Gastfreundschaft auf Dauer auswirkt. Das ist eine Win-win-Situation, die heute von den Engländern oder Franzosen – um einmal zwei andere große Staaten Westeuropas zu erwähnen – eher ignoriert wird.)
In den letzten Jahren erschien sowohl rumänische Lyrik als auch Prosa in deutscher Übersetzung (neben deinen eigenen Texten solche von Dan Coman, Teodor Dună, Liliana Corobca, Daniel Bănulescu, Nora Iuga usw.). Es gab Zeiten, in denen man sagte, dass sich der deutsche Sprachraum wünsche, rumänische Autoren zu lesen, in deren Werken Bezüge zum Zeitalter des Kommunismus und zu dem des Übergangs zu finden sind. Was bringt denn darüber hinaus die Lyrik mit, vor allem die, die ontologisch nichts mit politischen Themen zu tun hat?
Ich möchte daran glauben, dass der Zeitpunkt, an dem man von uns Erzählungen oder einen bestimmten Typ Literatur erwartet hat – reich an Bezügen zum kommunistischen Zeitalter – überwunden ist. Eine Sache wollte ich unbedingt auch bei meiner letzten Lesung im Frühling in Wien betonen: Mittlerweile sind 27 Jahre seit dem Zusammenbruch dieser Welt vergangen – natürlich verspürt man deren Echo auch heute noch. Man kann aber nicht erwarten, dass dreißig- oder vierzigjährige Autoren unendlich lang über Erinnerungen an den Kalten Krieg schreiben. Es sind andere Dinge, die uns beschäftigen, andere bedrückende Themen und ich glaube, dass sich der Erwartungshorizont in Deutschland, Österreich und der Schweiz auch verändert hat. In gewisser Weise wären solche Erwartungen vergleichbar mit der Weiterführung einer Literatur um 1900, die auf dem glorreichen Zeitalter der Gründung der Nationalstaaten beruht. Die heute entstandene Literatur muss auf solche Herausforderungen Antworten liefern. Und ja, sie hat ganz oft einen stark geprägten politischen Charakter (oder ist in gewissem Sinne ganz persönlich und subjektiv engagiert). Und deswegen ist es eben nicht nur altmodisch, sondern auch ziemlich unseriös, weiter auf diese kommunistische Erbschaft zurückzugreifen wie Good Bye, Lenin! und andere ähnliche Obsessionen, die im vergangenen Vierteljahrundert in der Literatur, in den bildenden Künsten und im Film tatsächlich überstrapaziert wurden.
2012 erschien eine zweisprachige Ausgabe (rumänisch-deutsch) deines Gedichtbandes Und wir werden die Maschinen für uns weinen lassen/ Și vom lăsa mașinile să plângă în locul nostru, Edition Korrespondenzen, Wien, übersetzt von Georg Aescht. Sie enthält eine Auswahl von 60 Gedichten aus Păpușarul, Circul domestic, Un anotimp în Berceni und Cobalt. Zu der Zeit hattest du gesagt, dass du fast gar nichts über die Welt weißt, in der dein Buch erscheint, über „ein Publikum mit einem komplett unterschiedlichen emotionalen Hintergrund und ganz anderen Lebensumständen, ganz zu schweigen vom geschichtlichen oder kulturellen Background.” Welche angenehmen Überraschungen hattest du bei Lesungen oder dem Zusammentreffen mit Lesern?
Das ist schwer zu sagen. Ich begenete in Österreich, wo ich längere Zeit verbracht habe, unterschiedlichen Menschen, die an der poetischen Erfahrung, die ich anzubieten hatte, interessiert waren. Ich glaube, ich habe Leser durch Lesungen und die Teilnahme an Events gewonnen, bei denen ich mit einigen der lebhaftesten und interessantesten Persönlichkeiten der Gegenwart in Kontakt treten und aktuelle Tendenzen kennenlernen konnte. Ich bin ein wenig enttäuscht, bei keinem dieser Treffen auf klare Ablehnung gestoßen zu sein, auf unbarmherzige Kritik, die es erlaubt hätte, hitzige Debatten zu führen. Aber vielleicht waren es auch nicht der richtige Ort und die richtige Zeit dafür. Wahrscheinlich gibt es in den Ländern des deutschen Sprachraums einen anderen Begriff von Höflichkeit als in Rumänien. Das ist aber nicht alles. Solche Begegnungen funktionieren auf mehreren Ebenen. Und auf einige davon hat man nur Zugriff, wenn man die Visionen und Herausforderungen von Orten kennt, an denen ich, trotz meiner Reisen oder Übersetzungen in über 20 Sprachen, nicht mehr getan habe, als auf scheinbar freundlichen und felsenfesten Flächen eiszulaufen.
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Claudiu Komartin (geb. 1983 in Bukarest) debütierte mit dem Lyrikband
Păpușarul și alte insomnii (2003, 2007). Es folgten
Circul domestic (2005),
Un anotimp în Berceni (2009, 2010),
Cobalt (2013),
Dezmembrați (2015, unter dem Heteronym Adriana Carrasco) und eine Anthologie, die auch bis dato unveröffentlichte Gedichte enthält,
Maeștrii unei arte muribunde.
Poeme alese 2010-2017 (2017). Komartin ist zudem Teil eines Autorenkollektivs, das Texte für montierte Theaterstücke schrieb (2008, 2010) und zusammen mit Radu Vancu Co-Autor von drei Anthologien zeitgenössischer Lyrik (2011, 2012, 2013). Komartin arbeitet außerdem als Herausgeber und Übersetzer vom Französischen ins Englische. Seine Bücher erschienen als Übersetzungen in Österreich(2012), Serbien (2015) und der Türkei (2015). Seit 2010 ist er Cheflektor des Verlagshauses Casa de Editură Max Blecher und Redakteur der Literaturzeitschrift
Poesis internațional.