Bogdan Coșa: Du hast vor kurzem bekannt gegeben, dass du deine Literaturkolumne aufgibst (die du Woche für Woche mehr als fünfzehn Jahre geschrieben hast – noch ein bisschen und du hättest die tausend Stück geknackt!). Wie bist du zu diesem Entschluss gekommen? Hast du ein Fadenende gegriffen, das du aufribbeln möchtest? Ist dir langweilig geworden? Oder ist es nun als anerkannter Lyriker und Prosaschriftsteller eine schwierige, ungünstige Position, über die Bücher deiner Kollegen zu schreiben?
Bogdan-Alexandru Stănescu: Es ist gar nicht eine so gravierende Entscheidung. Ich sagte einfach, was mir schon seit langer Zeit auf der Seele lag: ich verspüre die Dringlichkeit des kritischen Aktes zum Debüt nicht mehr. Faktisch hat sich nicht nur der Aufnahmebereich, sondern auch der kreative bedeutend gelegt, sodass eine Rezension, vor allem von mir kommend, mit einem Schrei in einer Höhle vergleichbar wäre, oder einem Affentheater im Spiegel, wenn man es so nennen will. Als ich mit der Literaturkolumne anfing, habe ich es, um ehrlich zu sein, als eine provisorische Tätigkeit gesehen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich herausstellen würde, was aus meinem Leben und eventuellem Talent sein wird. Dann kamen die 2000er Jahre, mit der schönen Generation (genauso sehe ich sie jetzt), die mit dem Bajonett gekämpft hat, und ich hatte das Gefühl, dass meine Rolle als begleitender und unterstützender Kolumnist (so wie die der Amerikaner, die sich in den europäischen Kriegen als Fahrer für Rettungswagen gemeldet hatten) immer wichtiger wird. Was ich damals tat, schien seine Wichtigkeit in diesem Guerillakampf zu haben. Aber jetzt, ich wiederhole es, hat sich viel verändert. Es gibt parallele Pfade, parallele, total selbstständige Zielgruppen, jeder spielt in seiner Liga. Was die zweiköpfige Beziehung Literatur/Kritik betrifft, wusste ich bereits 1999, als ich die erste Kolumne schrieb, dass ich ein Schriftsteller bin und dass diese Willkommenstexte das Markenzeichen eines Schriftstellers tragen, oder maximal die eines Essayisten. Ein Literaturkritiker war ich nie. Dafür haben mir der Ehrgeiz, sowie auch die Selbstgefälligkeit eines authentischen Kritikers gefehlt. Anderseits habe ich meine Aufmerksamkeit nie einem bestimmten Literaturkritiker geschenkt: ich habe zum Beispiel bevorzugt, anstelle irgendeines angesagten Kritikers, Nabokovs “Vorlesungen über Literatur” mit Leidenschaft erneut zu lesen. Die Kritiker habe ich dann trotzdem gelesen, selbst wenn es nur dafür war, um unterschiedliche, angespitzte Katana-Schwerter zur Verfügung zu haben.
BC: Und sonst? Gibst du die Publizistik auch noch auf? Das frage ich, weil zwei deiner Bücher das Ergebnis einiger sogenannter Episteln sind, die vorab in Literaturzeitschriften veröffentlich wurden.
BAS: Nein, auf keinen Fall. Für mich war die Publizistik sowohl ein Atelier, als auch eine Erinnerung an die Dringlichkeit einer Arbeit, die ich zu Ende bringen muss. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich unendlich lange auf einem Sofa gelegen, Bücher lesend und mir andere Bücher, die ich hätte schreiben können, vorstellend. Grundsätzlich bin ich ein sehr fauler Mensch. Ich muss gepeitscht werden, um loszulegen.

|@ Polirom Verlag; Art Verlag
Bogdan Coșa: Im Falle deines ersten Buches Ceea ce ne desparte (Polirom, 2010) existiert ein tatsächlicher Adressat, der dir auch antwortet. Ich habe sowohl deine Briefe, als auch Vasile Ernus Erwiderungen darauf, wie einen Ruf zur großen Literatur gelesen – unabhängig davon, wie viele Wendungen euer Briefwechsel eingenommen hat, wendete sich hinter Finessen oder Analysen, wie ein Schatten immer die gleiche Botschaft: liebe Leute, lest die Pflichtlektüre Gogol, Joyce, Tolstoi, Bulgakiv, Platonov, lest zumindest die … Was denkst du, ist euch zumindest zum Teil gelungen, was ihr euch vorgenommen habt?
Bogdan-Alexandru STĂNESCU: Wenn ich mir die hundert Exemplare ansehe, die in meinem Büro liegen, glaube ich, dass wir nicht mal genug Leute dazu bewegt haben, dieses Buch zu lesen, aber ja, das ist unser Ziel gewesen, in ein Buch unsere Leidenschaft für Klassiker, die wir ansteckend fanden, einzubetten. Daraus ist ein schönes Buch entstanden, an das ich trotz seiner Ungeschicklichkeiten und Umgangssprachlichkeit noch glaube. Anderseits, wenn es da, außer der Literatur der modernen Klassiker, ein Bindemittel gibt, dann ist es die Freundschaft. Es ist ein Buch der Freundschaft: Mit Vasile habe ich monatelang (angehäufte Stunden) verbracht, um über Literatur zu sprechen. Er war viel reifer, ich leidenschaftlicher. Dabei bahnten sich Gespräche an, die sich bis spät in die Nacht verlängerten, an die ich mich aber bis heute noch sehr gern erinnere.
BC: Die obige Aufzählung, der von euch im Detail besprochenen Autoren, lässt mich anmerken, dass die Russen das Spiel gegen den Rest der Welt, wie man das so sagt, mit Abstand gewinnen (ob Nabokov, auf den ihr euch als Schiedsrichter beruft, daran Schuld ist?). Hat dich Vasile überzeugt oder hast du in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um gigantische Schriftsteller handelt, nachgelassen?
BAS: Wie ich bereits gesagt habe, war Vasile viel reifer. In dieser Konfrontation lenkte er das Gespräch, wie er wollte, und zwar nicht nur in Richtung der russischen Schriftsteller, sondern auch in die geschichtliche Anekdotik, ins Soziale oder Politische. Ich habe mich führen lassen, weil ich meine Leserrolle, die eines Auges, das den Text zerkaut, extrem ernst genommen habe. Wie in dem Witz mit dem Gynäkologen, habe ich den weiten Kontext ignoriert und mich den Texten angepasst, was Vasile die Mission wesentlich leichter gemacht hat.
BC: Interessanterweise geht es in deiner zweiten Briefsammlung
Enter Ghost (Art, 2013) um imaginäre, nicht versandte, also unbeantwortete Briefe, die erneut an einen russischen Schriftsteller, Osip Mandelștam, adressiert werden. Ist es eine natürliche Fortsetzung des ersten Briefwechsels, in dem Sinne, dass du
verdurstet direkt die Quelle angezapft hast, um die vorher eröffneten Kapitel zu vertiefen (mit Dostoievski in der Warteschlange) oder eher eine entgegengesetzte Reaktion: Da du in den vorherigen Briefen aufgrund des
reiferen Adressaten nicht dazu gekommen bist, Joyce und Flaubert zu besprechen, hast du entschieden, einem Menschen zu schreiben, dem es unmöglich ist, auch wenn du dir das wünschen würdest, auf dich loszugehen.
BAS: Sowohl als auch … Der ausschlaggebende Grund war natürlich, eine erschütternde, bildende Leidenschaft für Mandelștam (zum ersten Mal im Leben habe ich mein nicht vorhandenes Talent für Fremdsprachen bereut. Ich hätte ihn gern im Original gelesen): Viele Jahre sind vergangen, seitdem mich der Kontakt zu einem Schriftsteller in seiner Gesamtheit dermaßen aufgewühlt hatte. Interessanterweise habe ich ihn erst durch Brodskis Übersetzungen ins Englische und später durch die in Iaşi übersetzten Essays entdeckt. Dann bin ich zu seiner ins rumänisch übersetzte Lyrik gekehrt, bin zu der ins Englisch übersetzten Prosa übergegangen und bin an Nadja Mandelştams Memoiren gescheitert. Das ist ein einweihender Parcours, dem man nur komplett umgewandelt entkommen kann. Diese Metanoia erlaubte es mir, die Schriftsteller, über die ich vorher mit großer Leichtigkeit gesprochen hatte, auf eine andere Art zu lesen, das Close Reading mit biografischer und psychobiografischer Lektüre, sowie auch mit kontextueller Analyse zu kombinieren.
Enter Ghost ist ein sehr spezielles Buch in meiner Schriftstellerbiographie. Es ist Individuation und die Akzeptanz einer Schwachstelle, der ich bis dahin ausgewichen war.
BC: Mircea Martin schreibt auf dem hinteren Cover dieses Buches, dass die jeweiligen Essays das Auge eines Prosaschriftstellers aufweisen. Ich hatte darin eher den buchkundigen Lyriker Bogdan-Alexandru Stănescu gesehen, der auf eine authentische und verantwortungsvolle Art und Weise
uncool ist, einen einsamen Diskurs führt, wie der eines extrem intelligenten Kindes, das zu viel weiß und somit Gefahr läuft, total antipathisch für die gleichaltrigen Kinder zu werden (was auch der Grund dafür ist, dass er in einigen Spielen, die nur es selbst und noch ein paar andere Gelehrte kennen, Zuflucht findet).
BAS: So wird‘s wohl sein. Hier denke ich, dass dein Auge des Lyrikers scharfsinniger ist als das des Kritikers. Uncool war ich schon immer, vielleicht aus Ehrgeiz, vielleicht aus einem (unbestätigten) Wissen einer vermutlichen (eher sensorischen) Überlegenheit. Aber
Enter Ghost ist auch das Zeichen einer Ausgeschlossenheit, die ich mich bis zu dem Zeitpunkt nicht getraut habe, ans Licht zu bringen. Dieses Buch ist eine Art Pfau mit Panzer, ein groteskes Lebewesen, des phantastischen Manierismus, das sich entweder im Exoskelett versteckt, oder voller Stolz ins Licht tritt, um seine Federkrone zur Schau zu stellen.

|@ Cartea Românească Verlag
Bogdan Coșa: Sowohl nach dem Lesen des ersten Lyrikbandes,
Apoi, după bătălie, ne-am tras sufletul (Cartea Românească, 2012), sowie auch nach der ersten Lesung der
anaBASis (Cartea Românească, 2014) habe ich dir etwa dieselbe Sache gesagt: schwer durchzunehmen, aber nicht ohne einige hinreißende Momente. Man merkt, dass du dein Ding kennst – nicht in einem arroganten Ton, von einer überlegenen Position zu lesen. Beim wiederholten Lesen, nach einigen Jahren, war die Erfahrung dichter und ziemlich verändert: vor allem weniger unerreichbare Zonen. Ob deine Gedichte einem kultivierteren, aufmerksameren, bereitwilligen Leser zuzuschreiben sind? Wenn ja, was ist mit dem Rest der Welt zu machen?
Bogdan-Alexandru STĂNESCU: Nach einigen Jahren denke ich auch, dass die zwei Bände ein einziger hätten sein sollen, weil sie den gleichen textuellen Flow haben, literaturkundig und gleichzeitig radikal, geständnisvoll und zugleich verborgen. Da ist auch ein Delirium, was nicht zugänglich sein kann, das ich mir dementsprechend angemaßt habe, genau aus dem Grund, weil ich damals mit Leidenschaft eine Art innerliche Rebellion durchlebte. Aber selbstverständlich ist ein Leser mit einer gewissen Bereitschaft, so wie die wahre Poesie es abverlangt, notwendig. Ja, ein kultivierter Leser ist notwendig, weil ihm sonst der Zugang zu diesem Netz mit textuellen Andeutungen, das ich um das buchkundige
Epos bestehend, aus reinem Buchwissen spinne, versperrt bleibt. Und ja, ein aufmerksamer Leser ist notwendig, weil es um Lyrik geht, die von einem aufmerksamen Lyriker geschrieben wurde. Und wer hat behauptet, dass die Lyrik für den Rest der Welt ist? Der Rest der Welt hat auch was zu tun: es gibt Literatur für unterschiedliche Arten von Menschen. Wir müssen nicht alle universell sein, man braucht auch noch Regionalzüge.
BC: Hast du dein letztes Buch
Copilăria lui Kaspar Hauser (Polirom, 2017) so geplant, dass es den großen Haufen Menschen, die du bislang im Stich gelassen hast, auch noch abdeckt? Ein Versöhnungsakt? Ein Genrewechsel, was automatisch einige Einschränkungen mit sich bringt, erklärt auf keinen Fall die Kluft zwischen dem lyrischen Ich aus den vorherigen Bänden und Bobiță, dem Erzähler.
BAS: Ich habe diese Veränderung nicht geplant. Wie ich dir bereits sagte, unterwerfe ich mich den Erfordernissen des Textes. Bis zu dem Moment der Nachbearbeitung bin ich irrational, abergläubisch und der Launenhaftigkeit einer labilen Psyche ausgeliefert. Die Kluft zwischen dem lyrischen Ich und dem Ich-Erzähler liegt zwischen den zwei unterschiedlichen Persönlichkeiten, die mich beherrschen – ich bin ein Sklave der Zwillinge, zum Glück mit Stier-Aszendent, was mir Gleichgewicht und Beharrlichkeit verschafft. Nun ist es so, dass sich jeder Schriftsteller Leser wünscht, und wenn er die erhalten kann, ohne allzu große Zugeständnisse zu machen, sehe ich nichts Falsches darin, “populär” zu sein (siehe Carvers Lesung in Iowa, als er nach einigen Nächten des Trinkens und Rauchen heiser war, was auch der Grund dafür war, dass man vom Mikro nichts mehr gehört hat, das Publikum ihm aber trotzdem eine Stunde lang in vollständiger Ruhe zugehört hat, um ihm am Ende zuzujubeln).

|@ Polirom Verlag
Bogdan Coșa: Wenn ich bis zum Ende ehrlich sein soll, muss ich dir sagen: Ich denke, dass dir als Schriftsteller in der Öffentlichkeit die Tatsache, dass deine Erzählung nicht nur spektakulär und sorgsam verarbeitet, sondern diesmal genauso zugänglich ist, einen großen Gefallen tut. Zumindest erst mal. Es bringt dich aus einer obskuren Ecke, der Antiquitäten würde ich fast wagen zu sagen, direkt ins Rampenlicht; der extrem clevere Junge hat merkwürdigerweise einen großer Teil seiner ultra-anspruchsvollen Spiele zur Seite gelassen, zum Ball gegriffen, fast über das ganze Feld gedribbelt und aus dem richtigen Winkel geworfen. Die Schriftstellerbranche hat, wie du es selbst gesehen hast, den Kopf aus den Biergläsern erhoben und sich gefragt
was hat BAS getan?
Bogdan-Alexandru STĂNESCU: Er hat nichts anderes getan, als von den fünf Minuten, die ihm der Trainer bei der Weltmeisterschaft kurz vor dem Spielende gab, weil sich der Star verletzt hatte, zu profitieren. Ein bisschen spät, so wie bei Salvatore Schilacci, aber wenn davon ein paar schöne Tore für den Hintergrund und vielleicht ein Sieg kommen, ist es trotzdem gut.
BC: Was ist
Kaspar Hauser letztendlich hinter den Kulissen des Marketings: eine Sammlung von Geschichten oder ein Roman?
BAS: Es fing als eine Sammlung von Geschichten an. Ich hatte einige Erzählkerne, einige Bilder, einige Gedichte, die ich ausbauen wollte, aber in meinem Kopf wollte ich sie in unterschiedlichen Tonlagen angehen. Ich wollte gern mit den Personen, den Zeiten, dem Stil und den Einflüssen jonglieren. Als ich aber mit dem Schreiben anfing, habe ich mich so gut in die Tonlage dieses Erzählers versetzt und mich dabei ertappt, dass ich an einer Evolution (Involution) dieser Stimme im Prozess des Erwachsenwerdens arbeite. Somit ist mir bewusst geworden, dass ich an einem “Erzählungs-Roman” (wie ihn Rareş Moldovan genannt hat) arbeite. Alles verknüpfte sich auf eine natürliche Art und Weise, einige Fäden durchzogen das Buch manchmal in der Tiefe, manchmal an der Oberfläche, sodass ich sie nicht mehr verleugnen konnte. Ursprünglich wollte ich als Untertitel “Poem” haben, aber der Redakteur drohte mir mit einem Herzinfarkt. Ich kann nicht abstreiten, dass es hier um Erzählungen geht, aber auch nicht, dass es sich um einen Roman handelt, ohne irgendwelche Verordnungen der Marketingabteilung zu berücksichtigen. Ein großer britischer Kritiker und Schriftsteller, V.S. Pritchett, der jetzt in Vergessenheit geraten ist, pflegte Folgendes über Kurzprosa zu sagen: Es ist das, was man in Eile aus dem Augenwinkel mitbekommt. Bei mir gibt es viele solche Sachen, aber auch viel Meditation, Anamnese, mühsame, aufgebaute Konstruktionen, die eher der Romanrichtung zuzuordnen sind.
BC: Was folgt?
BAS: Ich glaube, es folgt eine Essaysammlung, die ich schon lange plane. Die Betrachtung einiger Schriftsteller, für die ich töten würde, angefangen mit Emil Botta, weitergehend zu Pasolini, Knausgaard oder Ferrante. Dann Paul Georgescus Monographie, an der ich auch schon seit zwei Jahren arbeite. Ein Band mit Erzählungen und einer mit Lyrik. Ein Roman. Die Übersetzung von Paul Auster. Das wären die kurzfristigen Ziele.
BC: Neulich habe ich die von dir übersetzte Anthologie des Lyrikers Edward Hirsch gelesen. Erschienen ist sie auch in diesem Jahr beim Polirom-Verlag – hervorragend. Es würde mir gefallen, wenn zumindest ein solches Buch pro Saison erscheinen würde, aber ich vermute, dass genau dies das Problem der Wunder ist: Man kann sie nicht berichten.
BAS: Im Bereich der Übersetzungen nehme ich an, was mir angeboten wird, aber ich werde nicht mehr lange die Übersetzung von Delmore Schwartz, von der ich schon so lange träume, aufschieben (schließlich haben auch die Verantwortungen ihren Ursprung im Traum, oder?).

|@ Bogdan-Alexandru Stănescu
Bogdan Coșa: Geplant war, dieses Interview dem Schriftsteller Bogdan-Alexandru Stănescu komplett vorzuenthalten, allerdings gehen mir seit einiger Zeit auch noch andere Fragen durch den Kopf. Entschuldige mich also bitte, dass ich übers Ziel hinausschieße und die Chance ergreife, dich als Verleger direkt zu fragen: warum gibt es bei uns so wenige Übersetzungen aus der deutschen Sprache?
Bogdan-Alexandru STĂNESCU: Das hat mit der Tyrannei der angelsächsischen Literatur und dem geringen Marktanteil der Deutschen zu tun.
BC: Die Frage kommt daher, weil wir im November 2016 eine Rubrik eingeführt haben, in der ich monatlich einen aus der deutschen Sprache übersetzten Schriftsteller empfehlen wollte. Obwohl diese Zeitspanne ziemlich kurz ist, waren es trotzdem einige Monate, in denen man in diesem Marktbereich keine Neuigkeiten vorgefunden hat. Somit sah ich mich gezwungen zurückzublicken; diesen Monat habe ich zum Beispiel über Jan Koneffke, in 2007 und 2013 veröffentlicht, geschrieben. Wenn das so weitergeht, bin ich in fünfzehn Jahren bei Goethe. Also, winke ich zur Kamera und frage dich: Welche wären, wenn du diesen Weg aus der Gegenwart in das XVIII. Jahrhundert zurücklegen müsstest, deine Lieblingsautoren der deutschen Literatur? Was hast du verpasst und was würdest du bei dieser Gelegenheit nachholen?
BAS: Oooooh, was du mir für eine Vorlage gibst! Bis vor einigen (ungefähr drei) Jahren habe ich Humboldts Vermächtnis gelesen, bis ich rausgefunden habe, dass diese Karikatur des Saul Bellow abgeblasst erscheint, wenn man sie dem Original, dem unfassbaren Delmore Schwartz entgegen hält. Die Bellow Obsession bin ich losgeworden, habe sie aber mit einer anderen ersetzt: ich lese und lese immer wieder Hermann Broch, vor allem
Der Tod des Vergil, ein gigantischer, zerstörerischer, bildender, vulkanischer, lyrischer, magischer, fantastischer, historischer, trister Gedicht-Roman … Ich lese Remarque zum Sterben gern, Döblin, Kafka muss periodisch wiedergelesen werden, genauso wie Celan. Alle paar Jahre lese ich wieder einen der “großen” Romane des Thomas Mann (den Nabokov nicht ertragen konnte) …
Post-Scriptum
Bogdan Coșa: Eine Frage, die ich allen Befragten gestellt habe; die Antwort interessiert vor allem mich persönlich. Wenn du eine einzige Sache den jungen, unerfahrenen Schriftstellern empfehlen müsstest, welche wäre das? Was hättest du gern von Anfang an gewusst?
Bogdan-Alexandru STĂNESCU: Dem literarischen Gewusel nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist unwichtig. Sie sollen großzügig sein und keine Angst haben, Fehler zu begehen. Es ist gut, Fehler zu machen.
Übersetzung von Manuela Klenke