Lavinia Braniște: Ich denke, beides stimmt. Ich arbeite, ja, aber ich empfinde es nicht als Anstrengung, denn es macht mir Spaß zu schreiben. Ohne dass ich mir dessen bewusst werde, sammeln sich die Dinge an, lagern sich ab. Lange Zeit war das Schreiben für mich eine Freizeitbeschäftigung. Als junges Mädchen und als Jugendliche dachte ich nicht, dass ich Schriftstellerin werden würde. Dieser Wunsch kam erst mit dem Band
Escapada in mir auf. Ich bemerkte, dass die Welt mich ernst nahm und so begann auch ich mich selbst ernst zu nehmen. Jetzt bin ich mir sehr viel bewusster darüber, dass ich in dem Moment, in dem ich schreibe, auf ein Resultat hinarbeite, und ich begann vom Schreiben als „Arbeit“ zu sprechen.
B.C.: 2016 erschien Dein erster Roman
Interior zero, der von den Lesern, aber auch von der Mehrzahl der Kritiker, außerordentlich gut aufgenommen wurde. Das war zehn Jahre nach Deinem Debüt. Du hast mit immer größeren Verlagen zusammengearbeitet. Erst kannte Dich nur ein kleiner, auserwählter Kreis, nun ist Dein Name bekannt in der literarischen Welt Rumäniens. Die meisten Parameter (sogar die Auflagenzahlen Deiner Bücher) zeigen einen soliden, kohärenten Aufwärtstrend... Aber das ist nur die kühle Perspektive von außen. Wie siehst Du diesen Weg, wenn Du zurückblickst?
L.B.: Ich habe das Gefühl, noch immer am Anfang zu stehen, obwohl ich mir dessen bewusst bin, was ich alles angehäuft habe bisher. Ich meine Lesungen, Recherchen, viel Übung, viele verworfene Entwürfe. Aber das Gefühl des Anfangs bleibt, einerseits deshalb, weil ich immer noch unsicher bin und stets hinterfrage, was ich tue, andererseits, weil ich das (ich glaube gesunde) Gefühl habe, dass ein langer Weg vor mir liegt, der sich erst jetzt eröffnet.
B.C.:
In 5 minute pe zi (2011,
5 Minuten am Tag) gab es Prosastücke, die nur ein paar Zeilen lang waren, wie Experimente. Die habe ich in
Escapada (2014) nicht mehr gefunden. Es ist ein ausgereifteres Buch, würde ich sagen, es schwankt nicht so sehr von einer Geschichte zur nächsten. Es ist im klassischen Sinn nüchterner, es hat einen längeren Atem. Schreibst Du noch sehr kurze Prosa oder war das nur eine Etappe, der natürliche Übergang von der Poesie zur Prosa? (War das beabsichtigt? Dein Lyrikband trägt den Titel
Povești cu mine (
Geschichten mit mir).
L.B.: Es war ein Übergang von der Poesie, das ist klar. Ich bin ungefähr mit fünfundzwanzig Jahren von der Poesie zur Prosa übergegangen und fand es schade, als mir klar wurde, dass ich keine Lyrikerin sein werde. Lyrikerin zu sein erschien mir sehr sexy und ich glaube, dass ich dieses Gefühl auch jetzt noch manchmal habe, dass der Lyriker ein Auserwählter ist, etwas ganz Besonderes. Alle Verdichtungsarbeit geschieht im Kopf und dann setzt man nur die Essenz auf das Papier. Bei der Prosa kann man den Schweiß erkennen.
Auch ich habe vor kurzem in meinen ersten beiden Büchern geblättert, weil ich bald bei einer Veranstaltung über meine Anfänge als Schriftstellerin sprechen werde. Es sind Bücher, in denen ich mich nicht wiederfinde und es gibt Momente, in denen ich sie hasse oder sie mir peinlich sind. Aber als ich jetzt die Texte noch einmal las, empfand ich Zuneigung zu dem Menschen, der ich mit 23 oder 28 Jahren war. Ich sagte mir, versöhne dich mit diesen Büchern, denn sie sind ein Teil von dir, so warst du damals und sie sind Ausdruck dessen, was du damals im Stande warst zu schreiben. Ich möchte nicht, dass sie neu aufgelegt werden, in keinem Fall, aber es war wichtig, dass ich mich mit ihnen versöhne.
Beabsichtigt? Ich würde sagen, nein. Es passierte, ohne dass ich mir dessen bewusst war, aber vielleicht hatte ich schon immer eine Vorliebe für Erzählungen. Vielleicht begann ich mit Gedichten, weil die Form nicht so einschüchternd ist.
B.C.: Dazu hätte ich noch eine Frage. Wie hast Du Deine Erzählbände zusammengestellt? Hast Du geschrieben und die Erzählungen fanden sich zu einem gewissen Zeitpunkt zusammen, dann hast du sie geordnet und an den Verlag geschickt? Oder hast Du eine Auswahl getroffen? (Wenn ja, was waren Deine Kriterien?)
L.B.:
Cinci minute pe zi (
Fünf Minuten am Tag) war gar nicht zusammengestellt. Ich war ein junges Mädchen, das schrieb aus Freude am Schreiben. Ich gab den einen oder anderen Text zu
clubliterar (einer Internetseite zu zeitgenössischer rumänischer Literatur, die nicht mehr existiert; Anm. d.Übers.). Ich hatte einen Lyrikband, der in einer Auflage von hundert Exemplaren erschienen war, die alle bei mir zu Hause standen. Ich dachte nicht einen Augenblick darüber nach, wie der Band werden sollte. Und die Tatsache, dass ich diesen Druck nicht spürte, gab mir eine Freiheit, die ich mittlerweile lange verloren habe. Die Texte stellte ich zusammen, als ich bei einem Literaturworkshop einen jungen Verleger kennenlernte, der Autoren für eine Kurzgeschichtensammlung suchte, die in seinem neugegründeten Verlag erscheinen sollte. Er hatte meine Texte auf
clubliterar gelesen und fragte mich, ob ich an einer Zusammenarbeit interessiert sei. Das war der Moment, in dem ich die Texte auswählte. Ich erinnere mich an ungeordnete Ordner voller Texte, von denen viele nicht in den Band kamen. Nach diesem Band ist mir bewusst geworden, dass das, was ich schreibe, möglicherweise in einem Buch landet, so dass ich aufmerksamer und geordneter wurde. Auch bei
Escapada blieben Texte draußen, aber ich kann die Auswahlkriterien nicht nennen. Ich habe nach Gefühl ausgewählt.
B.C.: Was machst Du mit Texten, die nicht beim ersten Mal gelingen? Schreibst Du sie um oder verwirfst Du sie?
L.B.: Ich schreibe nicht um. Wenn sie nicht gelingen, dann ist das eben so. Es tut mir nicht leid um weggeworfene Entwürfe. Es sind nützliche Übungen – jede halbe geschriebene Seite, jede Figur, die zwei Tage oder einen Monat durch meinen Kopf kreist.

5 minute pe zi (5 Minuten am Tag) |© Casa de pariuri literare; Escapada (Eskapade) |© Verlag Polirom; Interior zero(Interieur null) |© Verlag Polirom
Bogdan Coșa: Deine Geschichten sind voller Humor, so düster die Perspektiven auch sind, mit denen Du arbeitest. Das weiß man bereits, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Mich interessiert etwas noch Spezifischeres. Viele Deiner Figuren funktionieren auf der Basis von Aberglauben, von dem man glauben möchte, dass nur alte Leute ihn noch verwenden – Du bist ein Stadtkind. Woher kennst Du diesen Aberglauben?
Lavinia Braniște: Ich komme aus einer Kleinstadt und meine Großeltern haben mich mit erzogen.
B.C.: Ein weiteres Detail: Ich würde nicht in Richtung Kapitalismuskritik oder das Individuum und die Zunft gehen. Aber „für mich ist das Essen keine Mühe wert“ ist eine Haltung, die Deine Bücher durchzieht. Als Leser bekommt man den Eindruck, Du würdest eine Nachricht
übermitteln wollen. Ein Paradigma.
L.B.: Das ist sehr lustig, was Du sagst. Ich muss wohl darauf achten, dass ich das in zukünftigen Büchern nicht mehr verwende! Vielleicht habe ich den Figuren manchmal zu viel von mir selbst verliehen. In der Regel esse ich allein, in Eile, und nur, weil ich Energie brauche, um zu funktionieren. Ich möchte keine Nachrichten übermitteln in meinen Büchern und, selbst wenn ich das wollte, die Leute betrachten die Dinge so verschieden (jeder verbindet sie mit seinen eigenen Erfahrungen und sieht sie durch die eigenen Raster), dass ich den Weg der Nachricht nicht kontrollieren und sicher sein könnte, dass sie so und nicht anders beim Leser ankommt.
B.C.: Was sind Dinge, für die sich Mühe definitiv lohnt?
L.B.: Das ist eine schwierige Frage. Es sind viele Variablen im Spiel für jede Entscheidung, die man fällen muss, und ich verlasse mich mittlerweile auf meine Wahrnehmung, auf die Intuition, weil ich in gewisser Weise überwältigt bin von der großen Willkür des Lebens. Es ist schwer zu wissen, was und wer es wert ist, was richtig und gut ist. Wichtig ist es, Ausgeglichenheit und konstruktive Ruhe zu finden. Für mich zählen vor allem die Menschen und ich würde mich immer um eine Beziehung, die mich seelisch bereichert, bemühen.

Lavinia Braniște |© foto Vlad Roman
Bogdan Coșa: Du hast Literaturwissenschaft in Cluj-Napoca studiert, ein Masterstudium für literarische Übersetzung in Bukarest abgeschlossen, Du hast ein zweites Studium angefangen, ein Doktoratsstudium ... Massage- und Zeichenkurse hast Du absolviert, verschiedene Fremdsprachen gelernt, Dich mit Photographie beschäftigt. Man hat den Eindruck, Du seist voller intellektueller Energie. Was suchst Du? Inwiefern nützen all diese Dinge dem Schreiben?
Lavinia Braniște: Die exotischste Sache in Deiner Aufzählung, den Massagekurs, habe ich gemacht, weil ich nach Deutschland auswandern wollte, wo eine Zeit lang ein Mann lebte, in den ich verliebt war. Mir war bewusst, dass dort niemand an meinen Fähigkeiten als Übersetzerin interessiert sein würde, deshalb wollte ich etwas mit den Händen machen können. Der Mann ist mittlerweile auf seinen Kontinent zurückgegangen und ich blieb an dem Massagekurs auf der Piața Muncii hängen, der ein Jahr lang dauerte. Ich habe fünf Massagediplome. Die Bezeichnungen all der Muskeln habe ich sofort wieder vergessen und die einzige Person, die von meinen neuen Fähigkeiten profitiert, ist meine Mutter, die ich einmal im Jahr sehe. Ich dachte darüber nach, Masseurin auf einem Kreuzfahrtschiff zu werden, den Kontinent auf den der Mann zurückgekehrt ist, zu umfahren und nie von Bord zu gehen, weißt Du, so wie in Romanen. Das hätte dem Schreiben mit Sicherheit genützt. Aber ich begann großes Vertrauen in meine Vorstellungskraft zu entwickeln. Ich kann schreiben, ohne drei Jahre lang das Haus zu verlassen, und ich kann mir eine Szene so gut vorstellen, dass mein Gehirn der Überzeugung ist, dass es wirklich geschehen ist.
Ansonsten, bei den anderen, weiß ich nicht genau, was ich suchte. Es kam teilweise auch aus Trägheit. Ich war sowohl als Kind als auch als Heranwachsende und Jugendliche jemand, der keine anderen Prioritäten kannte als Schule (leider, würde ich heute sagen). Teils ist es meiner Neugier zuzuschreiben. Wenn ich nicht ständig etwas zu lernen habe, langweile ich mich.
Ich glaube, ich bin jetzt nicht mehr auf der Suche. Ich habe festgestellt, dass das Leben dir meist Antworten auf Fragen gibt, die du nie gestellt hast, von denen du nicht einmal gedacht hast, dass man sie formulieren könnte. Ich bin also offener für das, was mir entgegenkommt. Ich suche nicht mehr, ich nehme nur noch an.
B.C.: Du bist 34 Jahre alt und hast ungefähr genauso viele Bücher übersetzt. In letzter Zeit wirst Du immer öfter eingeladen, im Namen der rumänischen Übersetzer zu sprechen, vor allem, seit der Verband der Literaturübersetzer, ArtLit, gegründet wurde. Wofür kämpfst Du?
L.B.: Hier könnte ich Dich auf die Seite des Verbandes verweisen, auf der es eine lange Liste gibt mit Dingen, die am Status des Literaturübersetzers in Beziehung zu den Verlagen verbessert werden müssten. Was uns im Moment am meisten stört, ist das Durchschnittshonorar von drei Euro pro Seite, das geringste in der gesamten EU, sogar weit unter dem Niveau unserer Nachbarn Bulgarien oder Mazedonien. Man müsste wenigstens fünf Euro verdienen, um vom Übersetzen leben zu können. In letzter Zeit habe ich allerdings Fortschritte bemerkt. Mit kleinen Schritten, aber dennoch stetig entwickeln auch wir eine Verbandskultur. (Die Situation für den Übersetzerberuf ist katastrophal geworden, denn im Dschungel der Transformation gab es keine wirkliche Organisation, die sich für die Rechte der Übersetzer einsetzte, sodass extrem schlechte Honorarstandards für Übersetzer entstanden. Die meisten akzeptierten sie, weil sie keine Vergleichswerte hatten und sie wussten auch nicht, wie man verhandelt, kannten keine Kollegen, mit denen sie sich hätten austauschen können usw.) Es entwickelt sich auch eine Freiwilligenkultur, man bringt sich langfristig ein – alle im Verband arbeiten zum Beispiel auf freiwilliger Basis. Wir beginnen auch, uns dessen bewusst zu werden, dass es wichtig ist zusammenzuarbeiten, uns nicht feindlich gegenüberzustehen, denn wenn jeder nur an sich denkt, können wir nichts aufbauen. Das Bewusstsein, Teil einer Gemeinschaft zu sein, ist etwas Neues in Rumänien und das Vertrauen darin ist schwer aufzubauen. Menschen, die sich zusammenschließen und versuchen, Dinge zu verbessern, werden immer noch mit Argwohn betrachtet. Ich glaube, es ist jetzt wichtig, nicht den Mut zu verlieren, wenn sich die Dinge nicht über Nacht verändern, denn das können sie ja auch nicht.
B.C.: 2016 hast Du ein Kinderbuch veröffentlicht:
Rostogol merge acasă. (
Rostogol - Purzel geht nach Hause). Ich habe gehört, Du arbeitest an einer Fortsetzung und dass Du gern irgendwann selbst Deine Geschichten illustrieren würdest.
Welche literarischen Pläne hast Du sonst noch? Ist es Dir schon einmal passiert, dass Du Dir etwas in den Kopf gesetzt hast und es dann nicht erreicht hast?
L.B.: Ja, die Fortsetzung heißt
Rostogol păzește pepenii (
Rostogol bewacht die Melonen) und braucht noch ein bisschen, bis sie in den Druck geht. Ich habe noch ein paar Geschichten mit Rostogol dem Schweinchen im Kopf und wenn ich gesund bleibe und Zeit dafür finde, werde ich sie aufschreiben. Ich freue mich, dass ich für Rostogol einen Verlag gefunden habe, der offen ist sowohl, was die Geschichten als auch was die Illustrationen angeht, denn es ist kein klassisches Kinderbuch. Ich bin nicht der Auffassung, dass ein Kind ein Erwachsener ist, der noch nicht fertig entwickelt ist, mit dem man „in seiner Sprache“ sprechen muss, also einfach und mit einer Moral am Ende der Geschichte, als ob es von dem, was es liest, kaum etwas verstünde.
Ich habe viele Pläne, aber ich rede nicht gern über meine Projekte, außer sie nähern sich bereits dem Ende. Gerade weil die Gefahr besteht, dass ich es nicht schaffe, sie zu Ende zu führen oder ich schaffe es und dann werden sie vom Verlag nicht akzeptiert. Das ist mir auch schon ein paar Mal passiert, aber ich gebe nicht auf. Mir ist klar, dass nicht alle den gleichen Geschmack haben, dass mir auch einmal etwas nicht gelingt, wenn alles immer wie am Schnürchen laufen würde, wäre das ein bisschen verdächtig.

Rostogol merge acasă (Purzel geht nach Hause) |© Verlag Arthur
Bogdan Coșa: Du hast mir einmal gesagt, Du würdest Dir wünschen, dass die rumänischen Schriftsteller bessere Literatur schrieben. Kurz nach meinem Debüt sagtest Du auch zu mir, dass ich mich um meine Texte kümmern muss, dass ich an ihnen arbeiten soll, dass dies das wichtigste sei. Glaubst Du, in Rumänien wird schlechte Literatur geschrieben? Schreibt man nachlässig? Ist das auch ein Grund dafür, warum rumänische Literatur es so schwer hat auf dem ausländischen Buchmarkt?
Lavinia Braniște: Ich kann mich nicht genau an diese Diskussion erinnern, aber wahrscheinlich ging es mir darum, dass viel Potenzial verloren geht mit Büchern, die nachlässig geschrieben werden. Vielleicht war es der anspruchsvolle Leser in mir, der da sprach. Ich glaube das noch immer, aber mir ist mittlerweile bewusst geworden, wie viel ein Schriftsteller in ein Buch hineinsteckt und wie schwer es jetzt ist – zumindest in Rumänien – sich ein paar Monate Zeit zu nehmen um zu schreiben, um sich zu bemühen, das Beste zu geben. Wir haben keine Aufenthaltsstipendien, keine Förderungen, aber diese sind extrem wichtig für Schriftsteller, denn die Gewinnbeteiligung am Verkauf der Bücher ist vernachlässigungswürdig. Wenn man nachts schreibt oder aller zwei, drei Wochenenden, kann man sich nicht in den Text vertiefen, hundertprozentig drin sein und alles geben.
Aber ich würde in keinem Fall sagen, dass in Rumänien schlechte Literatur geschrieben wird. Und zum Glück beginnen auch die Verlage, den rumänischen Autoren gegenüber aufmerksamer zu sein und die Übersetzungsmanie abzuschütteln.
Die Diskussion um den ausländischen Markt ist eine andere als die über die Situation der rumänischen Schriftsteller. Wir sind einfach eine kleine Kultur, die nicht von großem Interesse ist, und wenige gehen das Risiko ein, Autoren aus dieser Region zu veröffentlichen. Ein Verlag ist am Ende ein Unternehmen und es ist einfacher und bequemer, etwas aus altbewährten Regionen zu wählen. Für einen rumänischen Schriftsteller ist es ein Lotteriespiel übersetzt zu werden, zu diesen ersten Übersetzungen zu gelangen, die den Schneeballeffekt auslösen. Ein sehr wichtiger Faktor wäre auch, dass sich die rumänischen Entscheidungsträger für die Verbreitung rumänischer Literatur im Ausland einsetzen. Die norwegische Literatur zum Beispiel ist international so gut repräsentiert, weil die NORLA sehr viel in die Verbreitung norwegischer Literatur investierte. Ich weiß nicht, welche Chancen auf Sichtbarkeit die erfolgreiche zeitgenössische norwegische Literatur gehabt hätte, wäre sie in einem kleinen armen Land des ehemaligen Ostblocks entstanden, egal wie literarisch wertvoll sie gewesen wäre. Das heißt, unabhängig vom Schriftsteller und seiner Arbeit gibt es viele Faktoren, viele Sterne, die günstig stehen müssen, und ich denke, es braucht auch Glück. Eigentlich bin ich jemand, der eher glaubt mit Arbeit etwas erreichen zu können als mit Glück, aber hier habe ich häufig den Eindruck, dass es sich wirklich um ein Lotteriespiel handelt.
B.C.: Nächstes Jahr wird Rumänien Gastland auf der Leipziger Buchmesse sein. Außer denen, die bereits ins Deutsche übersetzt worden sind, auf wen würdest Du setzen, wenn Du diese Entscheidungen treffen könntest? Welche zeitgenössischen rumänischen Stimmen glaubst Du, sollten Gehör bekommen?
L.B.: Ich nenne Dir ein paar Frauen, die mir gefallen: Ioana Bradea, Elena Vlădăreanu, Alexandra Rusu, Ana Rotea.
B.C.: Und wenn Du eingeladen würdest, welche deutschen Autoren würdest Du gern hören?
L.B.: Juli Zeh und Julia Wolf.
B.C.: Ich habe gehört, dass Du neben Englisch, Französisch und Spanisch auch ein bisschen Deutsch kannst? Wenn Du zurück zu Goethe gehen solltest, welchen Parcours in der deutschsprachigen Literatur würdest Du von heute zum 18. Jahrhundert vorschlagen? Welche deutschsprachigen Autoren hast Du gern gelesen oder welche Autoren hast Du verpasst und würdest sie jetzt gern im Original nachholen?
L.B.: Ich kann keinen historischen Parcours vorschlagen, weil ich keinen Gesamtüberblick über die deutsche Literatur habe. Ich würde gern Literatur im Original lesen, aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Mir gefällt Juli Zeh sehr gut. Sie war vor einiger Zeit bei einem Literaturfestival in Bukarest. Zwei ihrer Bücher wurden ins Rumänische übersetzt:
Adler und Engel (
Vultur și înger) erschien bei Niculescu und
Schilf (
Schilf) bei Polirom.
Schilf habe ich zuerst gelesen und ich hatte das Gefühl, das ist eine Autorin, für die es sich lohnen würde, Deutsch zu lernen, um sie im Original lesen zu können (schon ein etwas ehrgeiziger Gedanke). Ich habe noch eines ihrer Bücher auf Französisch gelesen
La fille sans qualités (
Spieltrieb). Um vollständig auf die Frage zu antworten, würde ich sagen, mir gefallen auch die Romane von Julia Wolf, die letztes Jahr eine Lesung am Goethe-Institut hatte. Mir gefiel die Passage aus
Alles ist jetzt, die sie gelesen hat und ich warte noch immer auf die Übersetzung ins Rumänische, von der ich nicht weiß, wann sie kommen wird. Als ich im Internet sah, dass jetzt
Walter Nowak bleibt liegen erschienen ist, fand ich es wieder schade, dass ich das Buch nicht gleich im Original lesen kann.
B.C.: Zum Schluss würde ich mich freuen, wenn Du einen Rat für junge Schriftsteller formulieren könntest. Was hätte Dir am Anfang geholfen, was hättest Du gern schon damals gewusst?
L.B.: Geholfen hätten mir mehr Ermutigung von Menschen, die mir nahe stehen und von meinen Rumänischlehrern. Aber daran konnte ich nichts ändern und es war mir damals nicht bewusst. Der Rat ist einfach, man muss so viel lesen und schreiben wie möglich, man braucht Geduld und Ausdauer. Man muss seine Grenzen kennen und akzeptieren und nichts erzwingen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.
Übersetzung ins Deutsche: Julia Richter