Ins Deutsche übersetzt von Julia Richter
Vlad Moldovan: Den Preis dafür bezahlt man jede Minute – mit dem Konto, mit dem Karma, mit glitches im Selbstbild – sowohl äußerlich wie auch innerlich. Exzess und Intensität formen das Poetenleben. Ich empfinde das, was daraus resultiert, als sehr verwoben mit meinem spirituellen Weg: Manchmal ist der Weg bereits durch Vorgänger einladend bereitet und manchmal muss das Unterholz mit der Machete geschlagen und die Schritte nach dem inneren Kompass neu ausgerichtet werden. Aber es gibt auch den Überfluss des gegenwärtigen Moments, den unmittelbaren Horizont, die Blindheit des Voranschreitens, die ich in vollen Zügen auskoste – die Überzeugung und die Gewissheit, dass Poesie (die Wahrheit besitzt, die wie neu und einzigartig unperfekt strahlt) sich demjenigen hingibt, der bereit ist und sich auf sie einlässt. Meine vorsichtigen Versuche, irgendetwas zu kontrollieren bei diesen Exkursionen, werden von der Monstrosität des Dschungels verschlungen.
B.C.: Die Mehrheit der Kollegen scheint sich untereinander zu ähneln in ihren Texten, Haltungen und Reaktionen – aber Dir ähneln sie eigentlich gar nicht so sehr. Man hat den Eindruck, Du seist kein Zeitgenosse der rumänischen Dichter Deiner biologischen Generation. Hängt das mit Deiner Ausbildung zusammen? Ich frage das, weil Du zehn Jahre Philosophiestudium hinter Dir hast und ich mir denke, dass darin eine Erklärung liegen könnte.
V.M.: Es sind nicht die Kollegen, die sich ähneln, sondern die psychologischen und stilistischen Plattformen auf denen sie agieren. Die Ausbildung hinterlässt natürlich Spuren. Ich glaube, sie bearbeitet Dich in gewisser Weise negativ und formt, perfektioniert und modelliert in dir Filter, durch die du die Quantenrealität wahrnimmst. Ich bin ein
Empath aber auch ein
Techie (Pech oder Glück, dass ich mich auch dichterisch ausdrücke – aber naja, es ist auch Platz für einen Schamanen, der ab und zu Gedichte schreibt), und vielleicht ist das die Kombination, aus der diese Aura des
Aliens resultiert, diese Distanz zu den Kollegen.
Eine philosophische Ausbildung halte ich für die Basis aller kreativen Aktivität. Auch in Rumänien war die Philosophie (also die Konzentration der Aufmerksamkeit auf philosophische Texte – diese visionäre Bildung, die man aus ihr erfährt) – für Kreative aus der Werbebranche bis hin zu Ion Mureșan, Adi Schiop oder politische Aktivisten – entscheidend für eine gewisse gewonnene Freiheit in unseren Leben und in unseren Werken. Wenn ich mich mit Studienkollegen treffe und wir über ehemalige Professoren, Psychoanalysten und jetzige Diplomaten sprechen, sprechen wir auch über Philosophie. Keiner von uns bestreitet ihre positive Wirkung auf das, was wir heute tun.
B.C.: An einer Stelle sagst Du auch:
So wenig/sehe ich im Gehen/etwas Großartiges/Ich weiß nichts/über literature/aber mein Bruder/der weiß/etwas. Du bist der Sohn des Dichters Ioan Moldovan und der Bruder des Schriftstellers und Übersetzers Rareș Moldovan. Hattest Du manchmal das Gefühl, Du müsstest die Fahne hochhalten oder hast Du diese Verbindungen immer als Privileg empfunden?
V.M.: Das ist die obligatorische Frage aller Interviews meines Lebens. Ich glaube, ich habe auf diese Frage immer und immer wieder geantwortet. Da Du sie mir nun stellst – lass sie mich ein wenig ausschmücken. Aber über die weibliche Linie. Ich bin Teil einer griechisch-katholischen Familie – Nachkomme und Technologie dieses Stamms. In Familien bringt sich jedes Mitglied ein so gut es kann und es ergibt sich eine Art Superhilfe: Meine Großmutter war Frau eines Priesters, geprägt von der Zwischenkriegszeit in der Atmosphäre der Secession des damaligen Oradea Mare (Groß-Oradea), aber dann wurde sie sowohl gequält als auch gestärkt durch einen Weltkrieg, durch die Zwangsnationalisierung, die konfessionelle Tragödie, die den Gläubigen von der Regierung auferlegt wurde – sie arbeitete für drei, um ihren drei Töchtern den Schulbesuch zu ermöglichen. Meine Mutter ihrerseits gab Grammatik- und Literaturunterricht, um für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen und für ihre Jungs. Jeder matriarchalische Kern unserer Familie hatte neben dem Haus auch einen Sänger: Mein Großvater sang göttlich im Chor der Theologen und danach im Kliros, und mein Vater hatte es mit der Poesie, Rareș und ich auch und so weiter. Und Privilegien halten sich auch durch Arbeit, Liebe und Glauben. Das sind Dinge, bei denen ich immer noch dazulerne.

Glitsch | @ Editura Charmides
Bogdan Coșa: Nach
Blank (2008) und
Dispars (2012) erschien jetzt Dein neuer Gedichtband
Glitch bei Charmides. Ich habe schon eine megapositive Kritik gelesen – im Allgemeinen ist man sich im Internet bereits einig, dass es der Hit des Frühlings wird. Worum ging es Dir diesmal?
Vlad Moldovan: Jeder Band hat seine Seele, sein unabhängiges Wesen und löst entsprechende Reaktionen aus.
Everything in its right place. Alle Dichter empfinden das, glaube ich, in gewisser Weise. Die Bücher haben ihr Eigenleben. Ihr Schicksal liegt in ihrem Charakter. Ich habe ein paar Gedichte geschrieben und irgendwann taten sie sich zusammen, gaben sich einen Namen, wählten sich ein Cover, wollten auf Papier gedruckt werden. Ich bin froh, dass ich dieses Buch herausgebracht habe – dass es jetzt außerhalb von mir existiert, bevor es sich in den Knittern meines Seelenlebens auflöst. Es ist ein Gefühl der Befreiung und des Austreibens von etwas, das in mir gewachsen ist. Jetzt ist es selbständig und frei jeden zu glitchen, den es will.
B.C.: Als ich
Glitch las, hatte ich das Gefühl, es sei das Ende von etwas, der dritte Teil einer Triologie.
V.M.: Ja, das war es für mich auch und auch Rareș empfand es so – und andere Dichter wie Ștefan Manasia oder Ovio Olaru. Es ist mit Sicherheit das Buch einer Wendung, die die Triologie einer Poetik beendet. Es ist narzistisch, lässt das Projekt zurück und rundet es aber auch ab. Aber andererseits, auf post-ironische Art und Weise, schreibe ich weiter Gedichte, die immer einfacher, abwegiger und seltsamer werden, vielleicht schamanischer.
Oder ich dichte plötzlich mit anderen Dichtern, setze Akzente und kristallisiere Bilder heraus, auch bei anderen – remixe und bringe mich, wenn man mich lässt, in die Gedichte naher Kollegen ein.
B.C.: Du wurdest oft gefragt, was die Titel Deiner Bücher bedeuten. Sie sind ja, richtig verstanden, ein guter Lektüreschlüssel. Deshalb die Frage auch von mir: Was bedeutet
glitch?
V.M.:
Glitch ist die simondonian‘sche Transduktion, der Fehler, der den Sprung auf eine neue Gestaltebene der Matrix erlaubt, oder die Lichtdurchflutung, die die Landschaft für eine Sekunde erhellt und ihre Tiefe aufzeigt. Erst suchte ich nach einem Solarisationseffekt im Vintagestil der Nostalgie der neunziger Jahre. Die
Glitchs der Videokassetten verzauberten mich, diese Verformungen, die aus der analogen Epoche stammen. Ich suchte nach Äquivalenten in der elektronischen Musik – wie zum Beispiel bei
Caruso von Stump Valley. Ich übertrug den Effekt auf das dichterische Niveau, aber nur für die Zustände und Ereignisse, bei denen dieser Effekt bereits existiert. Später scheint es, als würde der
Glitch, der notwendige Fehler, zur Analogie der Wandlung.
B.C.: Ich war vor kurzem Zeuge einer Diskussion über Deine Gedichte und irgendwann sagte jemand, dass er leider Deinen Gedichten nicht folgen kann. Hattest Du schon einmal Angst, dass der Leser, obwohl er es gerne möchte, Deinen Diskurs nicht versteht? Dass man sagt, VM gefällt mir, bloß weil das gerade in ist, oder weil man sich schämt zuzugeben, dass man absolut nichts versteht, von dem, was Du da machst?
V.M.: Es gibt keinen Grund, sich zu schämen.
They should come out lightly. Was für eine Ironie, dass du von „in“ sprichst. Bisher hielt ich mich für den Erhalter einer Subkultur des Alternativen. Meine Gebilde und Modelle waren Kreaturen aus dem Untergeschoss – dort, wo man schwitzt und sich liebt bis sechs Uhr morgens bei Drum-n-Base, Dub und Trance.
Wenn es strikt um Gedichte geht, versteht man doch immer etwas, und das ist ein Gewinn. Man muss nur mit dem generalisierten ADHS kämpfen, man braucht ein bisschen Konzentration. Ich habe bloß etwas geschrieben – das mache ich manchmal – die Problematik und das Durchschauen meiner sprachlichen Verknüpfungen – das alles geht mich nichts mehr an.

Vlad Moldovan | @ foto din arhiva autorului
Bogdan Coșa: Und Du selbst? Hast Du Dich schon einmal ohnmächtig gefühlt im Angesicht eines Autors?
Vlad Moldovan: Es gab ein Buch, dass mich in die Hölle brachte in einer Zeit, in der eine Depression böse über meine Schultern hereinbrach. Ich glaube, ich habe es nicht einmal zu Ende gelesen. Ich las es nur fragmentarisch und am Ende musste ich es weglegen, weil mein Leben sich zu Wort meldete und beschützt werden wollte. Es handelte sich sich um
Der Tod des Vergil von Hermann Broch. Wenn ich mich nicht täusche, habe ich daraus auch ein Fragment verwendet in
Dispars. Hier ist es: „şi tot astfel viața lui/ crescutã din hățişul/ creaturilor/ cãțãrându-se/ în nenumãrate încolăciri/ agățându-se/ ici şi acolo/ de lucruri necurate/ şi curate/ trecătoare şi netrecătoare/ de obiecte/ de posesiune/ de oameni şi/ iarăşi de oameni/ de cuvinte şi de/ peisaje/ aceastã viațã mereu disprețuitã/ şi mereu/ trăită din nou”.

Vlad Moldovan | @ foto din arhiva autorului
Bogdan Coșa: Wenn ich Dich darum bitten würde, mir einen Weg aufzuzeigen aus der Gegenwart hin zu Goethes Büchern, bei welchem deutschsprachigen Schriftsteller sollte ich Halt machen? Was hast Du gern gelesen?
Vlad Moldovan: Sloterdjik – Grass – Broch – Musil – Benn – Nietzsche – Heinrich Heine – Novalis – Hölderlin.
B.C.: 2018 wird Rumänien Gastland bei der Leipziger Buchmesse sein. Welche zeitgenössischen rumänischen Autoren würdest Du den Deutschen empfehlen?
V.M.: Es würde mir gefallen, am rumänischen Stand ein Quintett aus Lyrik-Unterdogs zu sehen: Sebastian Big – George State – Bogdan Lipcanu – Petru M. Haș – Vlad Drăgoi.

Vlad Moldovan | @ foto din arhiva autorului
Bogdan Coșa: Deine Texte sind voller Musik. Du selbst hast vorsichtig begonnen Platten aufzulegen in der Stadt. Was kommt da noch?
Vlad Moldovan: Ich möchte elektronische Musik machen in einer kleinen Hütte im Apuseni-Gebirge. Zusammen mit einer Gruppe aus Dichter- und Musikerfreunden – in einem Ökodorf voller Leuten auf Droge, die an den Wochenenden in Berlin oder Cluj für Eingeweihte auflegen.
B.C.: Und literarisch? Was kommt nach
Glitch?
V.M.: Gerade habe ich eine Lebensentscheidung getroffen, ein
Downshifting. Ich verzichte auf einen Job in der Stadt, um mehr Zeit zum Lesen und Meditieren zu haben. In ein paar Jahren möchte ich ein Buch über die Philosophie der Technologie veröffentlichen. Das muss sein, um mich vorzubereiten auf das, was einmal kommen wird mit diesen Wellen technologischer Shifts, in denen wir ertrinken.
Post-Scriptum
B.C.: Ein Rat an junge Schriftsteller und Anfänger –
V.M.: Da muss ich Mike D von den Beastie Boys zitieren aus
Pass the mic –
BE TRUE TO YOURSELF AND YOU WILL NEVER FALL.