
© Foto:Marius Dincă
Birgit Dankert rezensiert seit 30 Jahren Kinder-und Jugendliteratur in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Die Professorin lehrte bis zu ihrer Emeritierung Bibliotheks-und Informationswissenschaften an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Im Anschluss an die Veranstaltung, die Mitte Februar in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest stattfand, haben wir mit der ausgewiesenen Kinder-und Jugendbuchexpertin, unter anderem, über aktuelle Lesetrends im deutschsprachigen Raum und über lesenswerte Neuerscheinungen im Bereich der deutschen Kinder-und Jugendliteratur gesprochen."

Prof. Birgit Dankert © Foto:Marius Dincă / Goethe-Institut
Frau Dankert, was muss ein Buch haben, um Kinder zu begeistern?
Es muss eine Sprachform haben, die auch den Erwachsenen als korrekt erscheint, aber die Kinder auch aus ihrer persönlichen Erfahrung wiedererkennen können und damit spielen können, es muss eine Handlung haben, die eine Identifikation auf die eins zu eins Art oder auf eine etwas kompliziertere Art möglich macht, und ich stehe immer noch auf dem Standpunkt, dass selbst das lustigste Buch, der dickste Fantasy-Schinken oder das illustrationsreichste Bilderbuch eine gewisse über-sich-selbst-heraus weisende Botschaft haben muss:
Vertragt euch! Es ist nicht alles so wie man glaubt. oder
Guck mal nicht so drauf, ob einer Geld hat oder nicht! usw. - diese Botschaften, die will ich schon noch finden.
Wie hat die Liebe zum Lesen bei Ihnen angefangen?
Es ist ja schon länger her und es hört sich vielleicht wie eine sentimentale Geschichte, die ich so aus Aktualität aufgreife, aber es ist die Wahrheit. Auch ich bin ein Flüchtlingskind - nach dem II. Weltkrieg sind wir nach Westfallen in eine katholische ländliche Gegend gekommen und ich war das arme evangelische Flüchtlingskind. Die Literatur, das Lesen hat mir die Flucht in andere Welten ermöglicht, so dass ich die Wirklichkeit besser ertragen konnte. Das war der Beginn des Lesens.
Und welches war Ihr Lieblingsbuch als Kind?
Die Häschenschule (Albert Sixtus und Fritz Koch Gotha) habe ich immer gerne durchgeblättert, weil ich mich auch so vor dem Fuchs gefürchtet habe, aber dann doch immer gerne reingesehen habe.
Was wird heute so gern gelesen, was ist gefragt in Deutschland?
Fantasy, Krimis, tagebuchförmige Schulgeschichten und von den Mädchen immer wieder Internatgeschichten, Pferdebücher - die ganze Breite der trivialen Unterhaltungsliteratur. Und ab und zu - das finde ich dann doch sehr hoffnungsfroh - jedes zehnte Buch, das diese Jungen und Mädchen lesen, ist eines, wo das Herz angetroffen wird, zum Beispiel der Jugendroman
Das Schicksal ist ein mieser Verräter (John Green) oder
Im Jahr des Affen (Que Du Luu), ein Roman der von einem Mädchen aus China handelt, das sich in Deutschland zurechtfinden muss.
Sie haben gesagt, die Sachbücher erfahren zur Zeit eine Art Renaissance in Deutschland. Wie erklären Sie sich das?
Das ist umso erstaunlicher, je mehr man betrachtet, dass fast die gesamte Sachinformation in die digitalen Medien abgewandert ist. Es sind Qualitäten vorhanden in diesen Kinder-und Jugendsachbüchern, die überzeugend sind und die auch auf die Lebenswirklichkeit der Kinder aus sind. Ein Kind will nicht nur Einzelheiten erklärt wissen, sondern auch die großen Zusammenhänge verstehen und das ist im Internet etwas schwieriger als in einem wunderbar gestalteten Buch über eine Wandertaube, die es nicht mehr gibt. Und dann der Versuch, die Kinder abzuholen, sie aktiv werden zu lassen - Wenn du ans Wasser gehst, dann untersuch doch selber, wo die Strömung ist! - diese strenge Didaktik, die Sachkenntnisse und die künstlerische Gestaltung, das sind die Qualitäten, die sie haben müssen, wenn sie fortdauern sollen.
Als Kinderliteraturexpertin, welche Bücher würden Sie ins Rumänische übersetzen lassen?
Tamara Bach
Vierzehn - es handelt von einem vierzehnjährigen Mädchen, das nach langer Krankheit und Sommerferien zurück in die Schule kommt und glaubt, sie fände noch vor, was sie so an kindlichen Vorstellungen während der Krankheit entwickelt hat. Und dann merkt sie auf einmal, dass in ihrer Abwesenheit alle sich weiterentwickelt haben und sie ein Entwicklungssprung nehmen muss, um wieder in die Reihe zu kommen. Dieser erzählerische Twist, dass sozusagen durch Krankheit und Ferien eine Pause in der Entwicklungsgeschichte stattfindet, das finde ich sehr schön.
In den letzten Jahren sind wir konfrontiert worden mit Asylanten, mit Schutzsuchenden und mit anderen politischen Konflikten, denen wir uns einfach stellen müssen und ich fand es berührend - auch wenn nicht alle große literarische Leistungen sind - wie schnell die deutsche Literatur darauf geantwortet und geschrieben hat. Das Buch von Kirsten Boje
Bestimmt wird alles gut ist ein anmutendes, sehr schönes Bilderbuch, in dem erklärt wird, wie eine Familie flieht, wie sie neu ankommt und was für Integrationsschwierigkeiten sie hat. Das ist liebevoll und bescheiden und auf Trost ausgerichtet. Es ist keine politische Untersuchung, aber es hilft.
Dieser Paul und Frau Fischer, das Buch von der Schweizerin Brigitte Scher, mit sehr schönen Zeichnungen eines jungen Illustrators, Jens Rasmus. Das ist eine zurückhaltend phantastische Geschichte eines halbwüchsigen Mädchens, das noch einen Bruder kriegt, den sie sich immer erwartet hatte. Als es nun Wirklichkeit wird, wird es ihr doch ein bisschen mulmig und dann fängt sie an zu phantasieren, weil sie einfach nicht mit der Realität fertig wird, dass die Mutter schwanger ist und der Bruder kommen wird. Und das ist benutzt worden, um bestimmte psychologische Entwicklungen zu schildern. Es ist wunderbar gemacht und auch sprachlich zeichnet es sich durch eine brillante Einfachheit aus.