(...) bei dem man von Raum zu Raum schlendert
und im Vorübergehen die Meisterwerke betrachtet und auch bewundert und dann plötzlich vor einem Gemälde stehenbleibt, das einen unmittelbar anspricht und auf eine besondere Art fasziniert. Was denkst du, könnte es sein, dass du einer der größten Dichter der Welt bist?
Dan Sociu: Du hast vielleicht Nerven; die Leute werden bei so einer Frage das Gesicht verziehen. Was könnte ich eigentlich darauf antworten? Ich könnte ruhig „Ja“ sagen, es ist sowieso nicht etwas, das man beweisen könnte. Eines kann ich dir aber sagen: Für mich ist Lyrik eine von vielen Beschäftigungen und der Umstand allein, dass ich meine Texte in Bänder zusammengefasst habe, erweckt den Eindruck von Konstanz. Als würde ich den ganzen Tag nur dichten. In dieser Hinsicht nahm ich aber die Dinge nie wirklich ernst. Und den Kultursnobs ist das bewusst und sie wissen nicht genau, was sie darüber denken sollen. Ich kann nur hoffen, dass du und ähnliche Hellseher in Zukunft die Kulturszene dominieren werden, so dass ich mich auch weiterhin solcher Anerkennung erfreuen kann.
Bogdan Coșa: Gibt es einen Schriftsteller, der einen ähnlichen Effekt auf dich ausübt? In dessen Licht die restlichen Werke einfach verblassen?
D.S.: Ja, es gibt viele, doch sie aufzuzählen hat wenig Sinn.
B.C.: Was denkst du, was habt ihr gemeinsam?
D.S.: Was du gerade eben erwähnt hast.
B.C.: Du warst schon immer ein Autodidakt. Bist du auf Bücher gestoßen, welche dein Leben verändert haben?
D.S.: Lev Şestov hat einen bedeutenden Einfluss gehabt, Simone Weil und noch ein paar mehr. Mystiker, wie du siehst. Ich weiß aber nicht, ob sie mein Leben geändert haben.
B.C.: Ich erinnere mich an eine Szene: Wir wohnten zusammen, wir hatten keine Klimaanlage und unsere Wege kreuzten sich in einem Park. Du last im Schatten Madame Bovary. Gibt es in deiner Auffassung Pflichtlektüren?
D.S.: Für mich ist das Lesen ein Genuss, ein Zustand, der alles um mich herum und auch meine Gefühle während des Lesens miteinbezieht, so wie ich die warme Frühjahrsluft empfinde, wenn ich auf der Straße schöne Beine bewundere. Die Lektüre ist zuallererst sensoriell. Auf diese Weise erinnere ich mich an die Lektüren, weniger an den Inhalt und vielmehr an das Vergnügen. Ähnlich war es auch an jenem Tag im Park: Sonne, Kaffee, Zigaretten, etwas Fettiges zum Essen. Ich habe das Buch gar nicht zu Ende gelesen; nicht, weil es mir nicht gefallen hätte, doch ich hatte danach noch was zu tun. Das Lesen ist, eigentlich, eine visuelle Tätigkeit. Jedes Wort ist eine winzige Zeichnung. Und wenn ich lese, ist es, als ob sich ein Zeichentrickfilm abspult. Genauso las ich auch im Alter von 4 Jahren, als ich es gelernt habe. Ich entzifferte die kleinen Zeichnungen und deren Inhalt beschäftigte mich weniger. Nun verstehe ich selbstverständlich auch den Inhalt, doch wichtiger ist die Tätigkeit an sich und dass sie mich beruhigt. Aus diesem Grund bin ich imstande, praktisch jedes Zeug zu lesen. Klar gehört auch das Explorieren dazu. Ich mag es, wenn ich auf Intelligenz stoße.
B.C.: Als du ausgezogen bist, hast du mir, unter anderen Dingen, Goethes Werke, die BPT-Ausgabe, überlassen. Würde ich dich jetzt darum bitten, mir einen Weg aus der Gegenwart zu Goethes Werk aufzuzeichnen, welche deutschsprachigen Autoren sollte ich keineswegs verpassen? Was hast du ganz gerne gelesen?
D.S.: Stilvoll, wie du es so angenehm für die Gastgeber formulierst. Ich mag Martin Walser, insbesondere den Tod eines Kritikers, die romantischen Dichter, doch nur so, als Geschichte, denn anders habe ich sie nicht gelesen ...da ich die Sprache nicht beherrsche. Am meisten bin ich jedoch von der deutschen Theaterkunst angetan, also von der deutschen Schauspiel- und Regieschule. Ich habe so manche Filme und auch ein paar Theaterstücke gesehen und diese haben mich gefesselt.

Dan Sociu Chiva | © Ciprian Hord
Bogdan Coșa: Deine Interessenbereiche sind sehr spezifisch und bekannt dafür, sich fortlaufend zu ändern. Wenn ich mich recht daran erinnere, haben dich neulich die Arten von Persönlichkeiten (MBTI, Socionics) und Cromagnon versus Neanderthal beschäftigt. Was interessiert dich zurzeit?
Dan Sociu: Wahrlich, und alle haben einen gewissen Zusammenhang, ich beschäftige mich nicht nur als Zeitvertreib damit. Ich suche nach dem Sinn meines Lebens, der eine Ansammlung von Augenblicken und Geschichten ist, ich suche nach einem größeren Pattern-System.
B.C.: Du hast ziemlich viel Literatur übersetzt (Seamus Heaney, Charles Bukowski, e e cummings, Alexandar Hemon, Philip K. Dick, um nur einige Namen zu nennen). Magst du das oder tust du es nur fürs Geld? Wie schaffst du es, allgemein, als Freiberufler?
D.S.: Es ist ein ziemlich guter Job. Wenn mich jemand abends fragt, wie mein Arbeitstag so war, da kann ich darauf antworten, dass Sam Spade endlich kapiert hat, dass die Braut ihn belügt, doch Angst hat er nicht, es scheint ihn sogar zu provozieren. Oder – Peter Freuchen ist seit ‘nem halben Jahr am Pol isoliert, umkreist von Wölfen, die ihm alle Hunde aufgefressen haben. Wer trifft denn auf solche Storys bei seinem Job?
B.C.: Neulich hast du mal gesagt, dass dich Stipendien und literarische Residenzprogramme überhaupt nicht interessieren. Eine ziemlich untypische Einstellung für einen rumänischen Schriftsteller, meinst du nicht?
D.S.: Es ist nur meine Auffassung allein, zu einem gewissen Zeitpunkt. Es ist also keine Stellungnahme oder Einstellung.
B.C.: Du hast auch einen bedeutenden Literaturpreis abgelehnt, welcher dir für dein letztes Gedichtband vino cu mine știu exact unde mergem (Komm mit, ich weiß genau wohin wir gehen) verliehen wurde. Eine prestigeträchtige Jury hatte es zum Gedichtband des Jahres 2013 ernannt. Das war im Januar 2014 – damals, genauso wie jetzt, gab es massive Proteste und eine politische Ausnahmssituation. Würdest du heute den Preis annehmen?
D.S.: Nein.
B.C.: Hat der Dichter überhaupt etwas zu sagen aus sozialer Sicht? Obliegt ihm eine Pflicht der Gesellschaft gegenüber?
D.S.: Überhaupt keine, warum sollte ihm eine obliegen? Er kann sich aber über irgendetwas aufregen und dann dürfte sein Talent einen gewissen Einfluss haben. Das kann jedoch nicht passieren, wenn er programmatisch vorgeht, seine Bescheidenheit verliert und sich jederzeit öffentlich affektiert zeigt. Wie sollte er dann noch glaubwürdig sein? Als Journalist habe ich viel mehr bewirkt. Die Website, für die ich fünf Jahre lang gearbeitet habe, totb.ro, hatte ein paar bedeutende Momente: der Coca-Cola-Skandal, über die Freiheit der Presse und die Beziehung zu den Sponsoren, der Druck bei der Verabschiedung von Gesetzen, beispielsweise zum Schutz der Urwälder, Roșia Montană und andere.
B.C.: Aber der Literatur gegenüber? Wirfst du dir jemals etwas vor, auf literarischem Gebiet, meine ich?
D.S.: Gott bewahre, warum sollte ich!?

© Verlag Tractus Arte
Bogdan Coșa: Persönlich kann ich mich nicht zwischen deinem letzten Band und den Sonetten in Alexandrini entscheiden. Ich bin ganz neugierig, ob du unter den veröffentlichten Büchern oder Gedichtsammlungen einen persönlichen Favoriten hast.
Dan Sociu: „Vino cu mine” („Komm mit mir“), das Gedicht, nicht der Sammelband, denn es hat etwas Besonderes. So schrieb ich in einer gewissen Phase meiner Jugend. Für mich wird es etwas Besonderes bleiben, obwohl viele zugaben, es überhaupt nicht zu verstehen.
B.C.: Arbeitest du derzeit an einem neuen Werk?
D.S.: An einem Kurzfilm über die rumänische Psychiatrie.
B.C.: Solltest du mir nun einen einzigen Rat geben, so, von einem erfahrenen Schriftsteller an einen Einsteiger, wie würde dieser lauten?
D.S.: Du könntest deiner Geliebten hin und wieder mal ein Liebesgedicht widmen.
Übersetzung: Astrid Stroe