Gabriela Adameșteanu wird von Literaturkritikern häufig mit Hortensia Papadat-Bengescu oder mit Camil Petrescu verglichen, aber auch mit den Großen der Nachkriegszeit wie George Bălăiță, Alexandru Ivasiuc und weiteren zehn Autoren, die nicht an sie herankommen. Sie ist eine der bedeutendsten rumänischen SchriftstellerInnen aller Zeiten.
Ein Interview mit Bogdan Coșa
Gabriela Adameșteanus Prosa wurde in mehr als zehn Sprachen übersetzt, sie wurde in den besten Verlagen veröffentlicht, immer wieder neu aufgelegt und behauptet sich nicht nur seit vier Jahrzehnten in der Literaturkritik Rumäniens, sondern weltweit. Ihre Prosa ist präsent vom Mittelmeer bis nach Skandinavien und weiter bis über den Ozean.
Egal ob man über ihre Romane, Novellen oder Erzählungen spricht, die Handlungen, auch wenn es Nebenhandlungen sind, häusliche Szenen oder in einem saturnischen, zerstörerischen Register geschrieben, zeigen vor allem das mangelnde Interesse der Figuren an dem Spieltisch, an den sie gesetzt wurden. Ein Spieltisch, den jemand in einer Ecke aufbaut und auf dem sie beginnen auszurutschen und zum anderen Ende kullern, wo sie auf die Leser treffen, die verwundert sind und genauso schlittern auf dem gleichen schmalen Lichtstreifen. Voneinander getrennt sind sie nur durch Konventionen.

© Schöffling & Co
B.C.: Sie haben mehr als zwanzig Jahre in Verlagen gearbeitet. Danach widmeten Sie sich noch fast zwanzig Jahre dem Journalismus. Sie übersetzten auch aus dem Französischen. Was ist der beste Beruf für einen Schriftsteller?
G.A.: Ich habe neunzehn Jahre lang bei der Editura Enciclopedica gearbeitet, wo es für mich keinen beruflichen Ehrgeiz gab. Ich erstellte Listen und Standardartikel mit und über Schriftsteller. Ich langweilte mich unheimlich. Wenn ich davon absehe, dass ich einen Achtstundentag hatte, mit Stechuhr, muss ich sagen, dass das für mich die beste Arbeit war als Schriftstellerin. Von Zeit zu Zeit (im Glücksfall zweimal die Woche) arbeitete ich zuhause und organisierte meine Zeit so, dass ich auch für mich schreiben konnte.
Der schlechteste Beruf für einen Schriftsteller ist der des Redakteurs oder Lektors für rumänische Literatur. Ich arbeitete viereinhalb Stunden, ich vergiftete mich mit Literatur und zehn Jahre lang las und schrieb ich keine fiktionale Texte mehr.
Journalismus frisst dich auf (sagte mir Zigu Ornea), vor allem politischer Journalismus, denn man ist tagtäglich abhängig von schrecklichen Ereignissen und man hat den Kopf voll damit. Noch schlimmer für das Schreiben ist es, Pressemanagerin zu sein, wie es bei mir der Fall war. Aber für das Leben, vor allem wenn man sich vorher gelangweilt hat, ist der Journalismus eine große Chance. Ich glaube, man kann auch gut eigene Texte schreiben, wenn man nur für das Feuilleton arbeitet.
Ich habe keine große Erfahrung als Übersetzerin, nur zweieinhalb Bücher, aber ich übersetzte immer in Schreibpausen: gleichzeitig übersetzen und schreiben geht nicht, die Sprachen und Geschichten überlagern sich.
Ich glaube, für Dichter ist das anders.
B.C.: Sie schreiben in Anii romantici (Romantische Jahre), dass Schriftsteller aus dem Osten Themen und Obsessionen haben, die anders sind als die Erwartungen der westlichen Leser. Worüber schreiben wir Osteuropäer?
G.A.: Das Problem ist, dass sich der westliche Leser (noch) nicht sonderlich für Osteuropa interessiert. Wenn es ihn interessiert, dann als exotischer Raum, und er erwartet, dass die Literatur die Stereotypen, die er aus der Presse kennt, konkretisiert. Das gilt vor allem für Rumänien. Der Erfolg des jungen rumänischen Films sollte das nuancieren.
Wir Osteuropäer haben unsere eigenen Erfahrungen, jede Generation ihre. Ich habe eine simple Erklärung außerhalb der Literatur für den Verkauf von Büchern (was vor allem heute das wichtigste Kriterium für Verleger ist): Der Schriftsteller verkauft sein Buch zusammen mit dem Bild, das das Land, in dem es übersetzt wurde, von seinem Land hat. 80 Prozent der übersetzten Bücher in Europa kommen aus dem angloamerikanischen Raum, der am meisten interessiert. Außerdem gibt es kulturelle Traditionen in jedem Raum.
B.C.: Ebenfalls in Ihrem Erinnerungsband schildern Sie die Episode bei den Festlichkeiten zur Übergabe der Preise des Schriftstellerverbandes 1975, als Sie den Preis für das beste Debüt bekamen für Drumul egal al fiecărei zile (Der gleiche Weg an jedem Tag – Übersetzung von Georg Aescht, Schöffling 2013). Der Dichter Nichita Stănescu ging zu George Bălăița, dem großen Gewinner in jenem Jahr, um ihn zu umarmen. Eine sehr großzügige Geste. Ist Ihnen in Ihrer Karriere jemals eine solche Reaktion eines anderen Schriftstellers zuteil geworden?
G.A.: Ich war lange Zeit den Schriftstellern sehr dankbar, die mir am Anfang meines literarischen Weges begegneten, aber auch den Kritikern, die mich sehr gut aufnahmen. Ich gehe in Anii Romantici auf einige von ihnen ein, aber die Liste ist viel länger. Vielleicht werde ich darüber in einem zweiten Erinnerungsband berichten, den ich schreiben will (
Meserie nerecomandată femeilor – Ein Beruf, der Frauen nicht zu empfehlen ist). Ich glaube, dass es paradoxerweise in der kommunistischen Zeit mehr Großzügigkeit gab, vielleicht weil eine Solidarität bestand für „gute“ Literatur im Vergleich zu propagandistischer Schreiberei. Mein Vorteil war, dass ich spät begann zu schreiben, mit großer zeitlicher Distanz, und ich war nicht versessen darauf, in den Kanon aufgenommen zu werden. Erst 1984, nur fünf Jahre vor der politischen Wende, wurde ich durch die Rezension von Manolescu und Monica Lovinescu in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt.

© Polirom
B.C.: Sie konnten Literaturzirkeln nie etwas abgewinnen. Auch nicht einer Gruppendynamik – die im literarischen Feld häufig hilft, Sichtbarkeit zu erkämpfen. Wenn Sie versuchen würden, sich eine für Sie ideale Gruppe vorzustellen, wie würde dieses dream team aussehen?
G.A.: Ich kann mir nicht vorstellen, Teil einer literarischen Gruppe zu sein. Ich hatte von Anfang an eine ausschließlich persönliche Beziehung zur Literatur. Mich ziehen weder der Wettbewerb noch die Strategie einer Gruppe an. Ich hätte bei keinem Lesezirkel dabei sein können, weil ich, obwohl viele sagen, ich hätte „ein gutes Ohr“, nicht lange vorgelesenen Texten folgen kann. In der Schule hörte ich dem Lehrer häufig nicht zu und entdeckte zuhause vollkommen neuen Schulstoff. Freundschaften zwischen Schriftstellern sind großzügig und helfen sehr. Niemand versteht dich besser als ein anderer Schriftsteller. Aber sie haben eine gewisse Zerbrechlichkeit, vor allem wenn Konkurrenzkampf auftritt (und das tut er meistens). Diesen Kampf sollte man nur mit sich ausmachen, mit dem, was man selbst tut, und nicht mit dem, was dein Kollege macht oder welches Lob er erhält. Ich hatte im Laufe der Zeit wichtige literarische Freundschaften, die mir beim Schreiben halfen, aber nur die mit Ioana Ieronim wurde nie auch nur durch eine Wolke verdunkelt. Ich kann mir nicht vorstellen zu schreiben, ohne dass sie meine Texte liest.
Ich hatte mein Debüt 1975, drei Jahre vor Mircea Nedelciu, aber die Art und Weise, wie ich den „Alltag“ sah und wie er ihn „schrieb“, ist vollkommen unterschiedlich. Meine Beziehung zu den Optzeciști (den Achtzigern – also den Schriftstellern der achtziger Jahre; Anm. JR) war kollegial, vor allem von 1985-1989 als ich beim Verlag Cartea Românească arbeitete und sie dort traf, entweder in den Büros über den Manuskripten oder im Untergeschoss bei Florin Iaru oder in Mircea Nedelcius Bibliothek, ihren „Clubs“. Mich in die siebziger Generation einzufügen (mit Mihai Sin und Radu Mareș, die ihr Debüt sieben, acht Jahre vor mir hatten), erschien mir nur als Versuch Laurențiu Ulicis, eine Zwischengruppe zu schaffen zwischen zweien, die Gruppenstrategien hatten (60er und 80er). Vor kurzem hat mich N. Manolescu in die sechziger Generation gesteckt – also fünfzehn Jahre vor mein Debüt. Über diesen Fehler von ihm habe ich mich gewundert. Literatur ist ein einsamer Weg. In Generație și creație (Generation und Kreation) schreibt Tudor Vianu, dass sich junge Schriftsteller zusammentun, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und um sich von den Vorgängern zu unterscheiden, teilweise mit aller Gewalt, aber am Ende werden sich diejenigen, die „bleiben“, absetzen und allein weiter gehen (der Weg Mircea Cărtărescus scheint mir ein gutes Beispiel dafür). Es würde mich interessieren, welche Ihre Gruppe ist.
B.C.: Sie erzählen an einer Stelle von Portretul lui M. (Das Porträt von M.), dem tollen Buch von Matei Călinescu, und darüber, wie sehr es Sie verändert hat. Gibt es auch andere Bücher, die so einen starken Einfluss auf Sie ausgeübt haben?
G.A.: Ich glaube, manche von uns sind aus Büchern erbaut (von Kindheit und Jugend an), und ich war es so sehr, dass ich mich im Verdacht habe, manchmal keinen richtigen Lebensinstinkt oder Realitätssinn zu haben. Portretul lui M aber erweiterte mein medizinisches Wissen (ich wollte Ärztin werden, vielleicht hatte ich ein paar Qualitäten, um diesen Beruf auszuüben), aber auch mein menschliches, soziales Wissen. Die rumänische Gesellschaft war und ist noch immer in gewisser Weise primitiv, wenn es um das Thema Behinderung geht, und auch ich hatte die gängigen Vorurteile.
B.C.: Und aus dem deutschsprachigen Raum?
G.A.: Ich war relativ jung, als ich den ersten Band von Goethes Faust bekam und ich verstand nicht richtig, was Margarete gemacht hatte (vielleicht hatte ich ein paar Zeilen übersprungen, vielleicht ist ihre Schuld nicht explizit beschrieben). Ich habe das Buch nicht wieder in die Hand genommen und es hinterließ bei mir einen bitteren Nachgeschmack. Im zweiten Band bin ich versunken, und Margarete ist noch jetzt in meiner Seele, wie eine Verletzung aus dieser Lektüre. Ich war begeistert, Goethe in Lotte in Weimar, dem Roman von Thomas Mann, wiederzufinden. Dessen Bücher habe ich eins nach dem anderen gelesen (Zauberberg, Doktor Faustus), und mein Lieblingsbuch unter den deutschsprachigen Klassikern sind Die Buddenbrooks. Während ich auf diese Frage antworte, fällt mir auf, dass diese Bücher deutscher Schriftsteller mich verstimmten wegen ihrer Höhe. Sie waren zu hoch für das Alter, in dem ich sie las. Manchmal hinterließen sie auch eine tiefe Melancholie in mir. Der Tod und das Leiden junger Geschöpfe in Die Buddenbrooks oder Mord in Venedig sind auch Teil meines Lebens.
B.C.: Wenn ich Sie bitten würde, einen Weg zu beschreiben aus der Gegenwart hin zu Goethe, bei welchen Autoren deutscher Sprache sollte ich Rast machen? Was haben Sie mit Freude gelesen?
G.A.: Mein Eindruck ist, dass es nicht genügend Übersetzungen zeitgenössischer deutscher Literatur gibt. Ich habe bereits Bücher und Autoren genannt, ich könnte noch Hermann Hesse, Schiller und Hertha Müller hinzufügen. Der aktuellste deutsche Autor, den ich mit Begeisterung lese, ist Jan Koneffke, von dem es leider auch nur zwei übersetzte Bücher gibt. Sie haben mir so gut gefallen, dass ich über sie geschrieben habe.
B.C.: Kommen wir zur rumänischen Literatur zurück – welcher der jüngeren Autoren gefällt Ihnen besonders gut?
G.A.: Ich habe seit 2005 sieben Jahre lang die Kulturbeilage Bucureștiul Cultural der Zeitschrift Revista 22 geleitet, wo es ein paar Jahre lang ein Stipendium für junge Schriftsteller gab, das ich zusammen mit Paul Cernat eingeführt habe. Kritiker aus verschiedenen Regionen und Generationen wurden befragt und meine Kollegen in der Redaktion werteten die Ergebnisse aus. Es war ein Spiel, aber auf den ersten Plätzen waren Schriftsteller, die heute mit Sicherheit zu den besten rumänischen Schriftstellern zählen: Florina Ilis, Dan Lungu, Lucian Dan Teodorovici, Dan Sociu, Komartin usw.
Es ist sehr wichtig, junge Schriftsteller zu fördern. Sie sind eine gute Investition und DebütantInnen, auch wenn sie sehr gut sind, sind meist zerbrechlich, sie brauchen innere Motivation und Glück, neben dem Talent, damit sie den Erfolg bei jedem Buch wiederholen können. Was unter der Bezeichnung „junger Schriftsteller“ zu verstehen ist, ist unklar (bis 30, 35 oder 40), wichtig ist, wann sie begonnen haben zu schreiben, wann ihr Debüt war. Das verortet dich in einer literarischen Strömung und beeinflusst dich, ob du willst oder nicht. Auf der anderen Seite enthält es eine leicht pejorative Note, oder zumindest eine gewisse Herablassung, du bist erst am Anfang, dein Lebenswerk liegt noch vor dir. Aber Literatur ist kein Kaderbüro, wo das Alter dir einen Aufstieg in der Hierarchie sichert. Dein Debüt kann hervorragend sein, dein bestes Buch, vielleicht wirst du nie wieder schreiben oder reihst dich, wie Rimbaud, in jungen Jahren ins Pantheon ein. Ich war 37 und beim zweiten Buch schlug Lucian Raicu vor, mich nicht mehr als jungen Schriftsteller zu führen. Aber ich war noch ein paar Jahre auf diesen Listen, bis das literarische Umfeld mich plötzlich zu den Alten zählte, dem Alter der Figuren in Dimineața pierdută (Verlorener Morgen) folgend.
Es gibt auch noch die Theorie von Ștefan Agopian: Meisterwerke werden mit 35-36 Jahren geschrieben. Ich glaube, er hat es jetzt verlängert bis 40. Das sollte das Verantwortungsgefühl der jungen Schriftsteller erhöhen, aber wer schreibt unter Zeitdruck?
Ich bin so weit ausgeschweift, weil es mich stresst, Kollegen Noten zu verteilen, obwohl ich solche Listen mache seit ich 23 bin, schon beim Verlag Editura Enciclopedică.
Erst vor kurzem schickte ich eine solche Liste der Jury, die den Matei-Brâncoveanu-Preis vergibt. Meine Liste war die längste und die Zeitung Cotidianul veröffentlichte sie vor der Juryentscheidung. Ich hatte meine Leseeindrücke mit den Meinungen der Kritiker verglichen, in die ich Vertrauen habe. Und ich freute mich, dass eine derjenigen, deren Name auf meiner Liste gestanden hatte, nämlich Ștefania Mihalache, den Preis erhielt. Aber ich verfolge nicht die Schicksale von Schriftstellern, sondern die von Büchern.
Weil Sie mir die Frage gestellt haben, werde ich dennoch zwei Namen nennen. Radu Pavel Gheo, der aus meiner Sicht einer der wichtigen Schriftsteller im Moment ist und den ich mit sehr großem Vergnügen lese (Mircea Iorgulescu, ein zu Unrecht vergessener Kritiker, sagte ihm schon vor zehn Jahren eine Karriere voraus) und M. Duțescu, der Autor eines korporativen Romans (Uranus Park), der eine sehr interessante Figur schafft und meines Erachtens am ehesten für eine Übersetzung geeignet ist.
B.C.: Schreiben Sie momentan an etwas?
G.A.: Natürlich schreibe ich, auch wenn ich mit Publikationen sparsam bin. Ich hoffe aber, dass ich dieses Jahr den Roman „Fontana di Trevi” veröffentlichen werde. Bereits seit 2006 ist er in Fragmenten in Zeitschriften erschienen. Als ich ihn schrieb, ist mir bewusst geworden, dass ich, ohne es zu wollen, eine Trilogie geschaffen hatte: „Drumul egal al fiecărei zile” (1975, Der gleiche Weg an jedem Tag), „Provizorat” (2010, Provisorium) und „Fontana di Trevi”, hoffentlich 2017. Ich hatte das zu Beginn nicht vor und auch nicht währenddessen, aber die Bücher gehen aufeinander ein. Die italienische Schriftstellerin Elena Ferrante, die sich gerade großer Beliebtheit erfreut, schuf eine ähnliche Triologie. Vor kurzem fielen mir ihre Texte in die Hände und ich erkannte einige Gemeinsamkeiten, obwohl ich solche Kategorisierungen eigentlich nicht mag. Natürlich arbeite ich auch am letzten Erinnerungsband, den ich bereits erwähnte. Und ich glaube, danach werde ich wahrscheinlich wie immer einen Band mit Novellen veröffentlichen.
B.C.: Sie vergaßen einmal eines ihrer Arbeitshefte in einem Wiener Kaffeehaus. Was stand in diesem Heft? Sind Geschichten, die geschrieben wurden und verloren gingen, wirklich geschrieben und verloren?
G.A.: Über diesen Verlust bin ich wirklich sehr unglücklich. Ich weiß nicht, was darin stand, das ist das traurigste daran. Es waren Notizen, die ich zum größten Teil unterwegs gemacht hatte, nicht im Sinn von Reisenotizen, sondern für Prosa, wie ich es immer mache. In den Heften mache ich nur Notizen und viele davon werde ich vielleicht gar nicht verwenden. Es sind Fragmente noch nicht erdachter Geschichten, wenn man so will.
B.C.: Wenn Schriftsteller sterben, verlieren sie in der Regel den Krieg mit dem Gedächtnis. Ist das nicht auch eines der Ziele von Tagebüchern, Erinnerungsbüchern, dass man selbst das sagt, von dem man nicht will, dass es Andere nach vielen Jahren herausfinden?
G.A.: Vor allem in dieser voyeuristischen Zeit, in der die Geheimdienste im Vordergrund stehen, findet man über jeden (fast) alles heraus. Und nicht einmal bei der Beichte sagen die Menschen alles. Mit uns Schriftstellern, den exhibitionistischen Wesen, räumen meines Erachtens nach unserem Tod Literaturhistoriker, Masteranden, Doktoranden etc. auf, aber nur falls unser literarisches Werk Bestand hat. Wenn unsere Bücher der Zeit nicht standhalten, können wir uns damit trösten, dass niemand mehr unsere Leben durchwühlen wird.

Gabriela Adameșteanu | © privat
Post-Scriptum
B.C.: Sie sagen, Ihre Generation sei die der Versuchskaninchen der Demokratie. Und was sind wir, die wir 1989 geboren wurden?
G.A.: Sie haben das Copyright auf Versuchskaninchen der Demokratie.
Mein Text ist präziser: Im Januar 1990, erwachten die Osteuropäer, die ein halbes Jahrhundert zuvor vom Kapitalismus in den Kommunismus gezwungen worden waren, unvorbereitet auf dem entgegengesetzten Weg – vom Kommunismus zum Kapitalismus. Ein Jahrzehnt lang habe ich gebraucht, um mir bewusst zu werden, dass ich Versuchskaninchen in einem weiteren politischen Experiment war.
Die Eltern meiner Generation und die Großeltern waren vom Kapitalismus in den Kommunismus gezwungen worden. Meine Generation ist im Kommunismus groß geworden. Die Formulierung Versuchskaninchen der Demokratie scheint mir korrekt zu sein.
Die 1989 und später Geborenen (aber auch diejenigen, die 1989 zwanzig Jahre alt waren) kann man als Versuchskaninchen des Kapitalismus bezeichnen.
Wir sprechen natürlich über Demokratie und Kapitalismus, wie sie in Rumänien sind – so wie sie hier sind und soweit sie hier sind.
Übersetzung aus dem Rumänischen: Julia Richter