Name: Augustin Cupșa
Geburtsdatum: 10.01.1980
Geburtsort: Craiova
Derzeitiger Wohnort: București
Veröffentlichungen: : Perforatorii (2006, Cartea Românească); Profesorul Bumb și macii suedezi (2011, Cartea Românească); Marile bucurii și marile tristeți (2013, Trei)
Preise: HBO Preis für Kurzfilm-Drehbuch, 2006, TIFF (Trenul către București pleacă de la linia 3)
GROSSE FREUDE UND TIEFE TRAURIGKEIT *
Den größten Teil der Möbel haben wir bis zum Mittag zerlegt. Wir haben den Wohnzimmertisch, das Bett aus dem Hinterzimmer, das Bücherregal und die Schränke auseinandergenommen, dann haben wir sie zum Wagen getragen.
Robert hatte einen Kleintransporter für den Tag geliehen. Es war nicht was er sich gewünscht hatte und was wir eigentlich brauchten, wir hatten aber Glück mit diesem Kerl aus dem Warenhaus, der uns sein Auto zur Verfügung stellte, ohne etwas dafür zu verlangen. Wir konnten ihn ja nicht bezahlen, da wir beide ziemlich knapp bei Kasse waren, jedoch versprach ihm mein Bruder, ihm später etwas zu spendieren.
Das einzige Möbelstück, das noch aufrecht geblieben war, war die große Anrichte in der Küche. Ich blieb vor ihr stehen und betrachtete sie – ein drei Meter langes Ungeheuer, hoch bis zur Decke, aus massivem Nussbaum, so wie eigentlich alle anderen Möbelstücke meiner Großmutter – alte, herrschaftliche Möbel. Sicher wurde sie direkt im Haus montiert, da es durch die Türen nicht hereinpasste.
Als wir Kinder waren, kletterten wir auf die Theke und streckten die Hände zum höchsten Regal, wo wir uns vorstellten, dass unsere Großmutter allerlei Sachen versteckte. Nica versteckte jedoch nichts dort und sie kletterte auch nicht hoch um den alten Kram zu durchsuchen oder wegzuwerfen – wahrscheinlich hatte sie das seit Jahren nicht mehr getan.
Zu Mittag holten wir von dort Packungen mit verschimmeltem Mehl herunter, grüne Gläser voll mit Zacuscă oder Gemüse, die seit zehn oder fünfzehn Jahren dort standen, Dosen mit getrockneten Keksen, auf denen Ameisen wimmelten und verkohlte Lindenblätter, in Verbandmull eingepackt. Ich stand oben auf der Leiter und gab Robert diese Sachen, die er dann in große Säcke stopfte und dann draußen zur Mülltonne schleppte. Als ich die letzte Schublade öffnete, wurde ich von einem alten und ranzigen, jedoch vertrauten Geruch überwältigt. Ich blieb mit dem Glas in der Hand stehen. Ein dünner Lichtstrahl schien durch die ineinander verflochtenen Kronen der Akazien im Hof und drang in die Küche durch die fettgeschmierten Fenster ein.
„Was hast du denn da?“
Dies war ein seltsamer Fund – ein Ein-Liter-Glas, voll mit einer trüben Flüssigkeit, in der ein formloses Gebilde schwebte, von dem Robert meinte, dass es ein Stück Rübe oder ein Katzenohr sei. Ich wollte ihm nicht widersprechen, denn mir war es auch nicht klar, was es war. Nica konnte alles Mögliche im Haus haben. Ich guckte zum Fenster und zum Tisch darunter, auf dem mein Bruder zwei Tellertürme hochgestapelt hatte. Den kleineren Turm, aus dem ein paar Teller fehlten, war für mich bestimmt. Robert war verheiratet und seine Frau war schwanger mit ihrem zweiten Kind, also habe ich ihnen das gute Geschirr überlassen.
Als ich alleine in der Küche blieb, schaute ich mir die Teller genauer an – alle waren aus chinesischem Porzellan, manche mit Spitze am Rand – ich konnte mich an sie gut erinnern. Ich ging durch die Küche, wischte mit der Hand das Mehl weg, das vom oberen Regal gerieselt war, lehnte mich aus dem Fenster und zündete mir eine Zigarette an. Der Hinterhof war voll mit hohem Gras und die Birnen waren an den Ästen getrocknet oder von den Vögeln gepickt worden.
„Ich hab Bier gekauft“, sagte Robert als er zurückkam, die Tür zuschlagend. Er reihte auf eine Tischecke sechs Bierflaschen, die sehr kalt zu sein schienen.
Am Morgen hatte uns eine Nachbarin hämmern gehört und hatte beharrlich an die Tür geklopft. Ich machte ihr auf.
„War es der Vermieter?“
„Nein, es war Frau Braun.“
Ich setzte mich wieder auf den Stuhl hin und wechselte den Kopf des Schraubendrehers. Robert bemühte sich kauernd eine Schranktür abzuschrauben.
„Ist die da besser?“
„Und was wollte sie denn?“
„Sie wollte eine Suppenschüssel zurückhaben, die sie Nica vor einiger Zeit geliehen hatte.“
„So was gibt’s doch gar nicht“, antwortete Robert und quälte sich weiter mit seiner Schranktür.
„Sie meinte, es sei eine weiße Suppenschüssel aus Porzellan, mit Mohn und Feldblumen. Sie bat uns, sie ihr zurückzugeben, falls wir sie finden können.“
„Vielleicht finde ich sie und lass sie erst mal aus meinen Händen fallen, bevor ich sie ihr zurückgebe.“
Robert erzählte, dass jedes Mal als er mit Großmutter im Winter gesprochen hatte, sie sich über ihre Nachbarn beklagt hatte. Keiner hätte sie besucht, niemand hätte ihr irgendwas gebracht. Braun rechtfertigte sich, dass sie wegen des Glatteises nicht einmal um sich ein Brot zu kaufen aus dem Haus raus konnte.
„Keiner ist aber verhungert“, meinte Robert. Er hatte es geschafft, das erste Scharnier zu lösen. „Verstehst du was ich meine?“
Meine Großmutter war jedoch gezwungen, eine Frau zu bezahlen – die Nichte eines Familienfreundes – die sie jeden Tag besuchte und allerlei Mist mitbrachte, der eigentlich gar nicht essbar war. Es war mir unmöglich gewesen, aus Bukarest wegzufahren, der Sprit war sehr teuer und bei uns konnte sie nicht wohnen, wir hatten keinen Platz. Robert wohnte mit seiner Frau und ihrem Kind bei ihren Eltern, in einem Haus im Bucureştii-Noi-Viertel und ich war gerade mit meiner Geliebten in eine Einzimmerwohnung im Stadtzentrum eingezogen.
Das Haus hatte niemals Großmutter gehört. Zuerst war es verstaatlicht worden, dann hatte der Hausbesitzer es ihr für einen Appel und ein Ei vermietet. Nica war hierher eingezogen, als ihr eigenes Haus abgerissen wurde. Sie hatte uns ihre Möbel hinterlassen, wir sollten sie unter uns teilen oder verkaufen.
Braun hatte Recht gehabt, ihre Schüssel mit Mohn und Feldblumen lag in Nicas Anrichte. Ich brachte sie ihr zurück, denn ich hatte Angst, dass Robert sein Versprechen halten und sie vor ihr aus seinen Händen fallen lassen würde. Frau Braun schnappte sie gleich, fing an zu weinen und ich hatte das Gefühl, dass sie mich sogar umarmen wollte.
Sie tat das aber nicht, wahrscheinlich wegen der Verhaltensregeln, die besagten, große Freude und tiefe Traurigkeit niemals in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sie begnügte sich damit, die Suppenschüssel auf allen Seiten zu untersuchen, als ob sie sich vergewissern wollte, dass es tatsächlich ihre Schüssel und vor allem unversehrt war. Sie vergaß nach meiner Gesundheit zu fragen, wie es mir oder meinem Bruder noch ging. Sie kannte uns seit wir Kinder waren. Unsere Mutter brachte uns beide nach Hermannstadt und ließ uns den ganzen Sommer da. Frau Braun hatte einen Neffen, Tobi, mit dem ich zusammen spielte und es passierte oft, dass wir uns prügelten. Robert, der sieben Jahre älter war als wir, verschwendete keine Zeit mit unserem Unsinn und ging mit den Jungen Fußball spielen oder Oltcit-Scheinwerferlampen klauen. Manchmal, als er bestraft wurde und nachmittags im Haus bleiben musste, bastelte er Flugzeuge aus Pappe für uns. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich wegen eines dieser Flugzeuge Tobi eine runter gehaut habe, dass er eine blutige Nase kriegte. Es hatte mir gleich leidgetan und ich hatte lange Zeit Angst, er würde mich verpetzen; jedoch ist nichts passiert.
„Was ist wohl aus Tobi geworden?“, fragte ich meinen Bruder.
„Er sitzt im Knast“, antwortete er und schlug mit der Hand den Deckel der Flasche auf, die er gegen die Kante der Anrichte gelegt hatte.
Der Deckel sprang und rollte klirrend auf den Boden.
„Na so was...“
Robert lehnte sich an die Anrichte und spülte das Bier mit großen Schlucken hinunter. Ich sah wie sich sein Adamsapfel rauf und runter in dem dicken und bärtigen Hals bewegte.
„Willst du denn kein Bier?“, fragte er mich, als er sah, dass ich ihn anstarrte.
Wir gingen in den Hof und setzten uns auf die Treppe. Die Akazien warfen ihre Schatten über die Treppe und auf eine Hälfte der Küchenwand. Es war eine gute Idee gewesen, unser Bier zu trinken, bevor wir mit der Anrichte anfingen, denn wir hatten keinen Kühlschrank und sonst wären sie warm geworden. Auch waren wir sehr durstig. Wir tranken schnell die erste Flasche und holten schon die Nächste.
„Er soll in Marseille sein“, sagte Robert.
Ich konnte mich nur schwer an das Gesicht des Jungen erinnern.
„Was hat er denn getan?“
„Mist gebaut.“
„Woher weißt du denn das?“
„Nica hat es mir erzählt.“
„Und woher hatte sie es denn erfahren?“
„Sie hat’s eben gewusst.“
Ich versuchte, das Gespräch fortzuführen, jedoch ohne großen Erfolg. Auf jede Frage bekam ich eine präzise und geschlossene Antwort. Mein Bruder schien sich kurz zu begeistern, dann zog er sich immer wieder in sich zurück, als ob er sich jedes Mal schuldig fühlte.
Als er mich am Morgen mit dem Transporter abholte, hatte ich ihn kaum erkannt. Sein Gesicht war geschwollen, er hatte sich einen Bart wachsen lassen und sah viel älter aus als ich ihn mir vorgestellt hatte, als ich auf ihn vor dem Wohnblock wartete. Wir hatten uns seit ein paar Jahren nicht mehr gesehen, obwohl wir praktisch in derselben Stadt lebten.
Ich weiß nicht mehr genau wie ich als Kind zum Schluss kam, dass ich ihm voll auf die Nerven ging, weil meine Mutter sich von seinem Vater scheiden gelassen hatte, um meinen Vater zu heiraten. All dies schien mir schon damals ein Blödsinn, besonders da ich nichts damit zu tun hatte, damals war ich noch gar nicht geboren. Nachdem Mutter sich auch von meinem Vater scheiden ließ und mit ihrem dritten Ehemann nach Montreal zog, schien mir die Situation ausgeglichener.
Manche Gedanken kann man aber nicht vergessen und jeder ist frei, das zu denken, was er will. Auf dem Weg nach Hermannstadt haben wir das Thema vermieden, sowie all das, was mit unserer Mutter zu tun hatte.
Wir haben über Geld gesprochen, über die Krise. Robert war bekümmert, die KFZ-Werkstatt, in dem er arbeitete, würde bankrottgehen. Viele Leute hatten ihre Autos an die Banken verloren oder, wenn sie sie noch hatten, dann hielten sie diese in der Garage und gaben kein Geld für Reparaturen aus. Seine Frau war mit dem zweiten Kind schwanger und das Muttergeld war keine große Hilfe. Er fragte mich, ohne großes Interesse, was mit mir los sei. Ich sagte ihm, dass ich an meiner Doktorarbeit arbeitete und nach zwei Jahren in einer Sackgasse steckte. Dies war jedoch nicht die einzige Sackgasse. Ich hatte das Gefühl, auf allen Ebenen festzustecken.
Mein Bruder verstand die Welt nicht, in der ich mich abquälte und deswegen fragte er auch nicht, wieso ich fühlte, ich würde feststeckten und ob dies etwas wirklich Schlechtes war oder nicht. Oder vielleicht kümmerte es ihn einfach nicht.
Bevor er sein zweites Bier austrank, zündete sich Robert eine Zigarette an. Ich saß neben ihm auf der Treppe und versuchte einen losen Faden aus meinen Schuhen zu reißen, so dass ich nicht bemerkte, dass er mich ansah.
„Bist du noch mit jenem Mädchen?“
Ich guckte ihn an.
„Welches Mädchen?“
„Das Mädchen mit dem ich dich das letzte Mal gesehen habe.“
„Das war vor langer Zeit, ich weiß nicht mehr, mit wem ich damals zusammen war.“
„Ein feines Mädchen, mit lockigem Haar.“
„Blond?“
„Dunkelblond.“
„Ach ja, sie ist es. Ja, ich bin noch mit ihr zusammen.“
„Wie heißt sie denn?“
„Mara.“
Es gefiel mir nicht, wie er mich anglotzte, als ob er mein Doktorvater sei, der mich gerade pöbeln möchte.
Ich stand auf, mich mit einer Hand an das Fensterbrett haltend, das direkt über den Treppen hing. Ich hob dann mein Bier vom Boden und stand vor ihm.
„Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir hier das Backblech mit Bratäpfeln umgekippt haben und ich mich verbrannt habe?“
Robert räusperte sich und spuckte. Ein kleiner Fleck glänzte auf dem Zement.
„Nein.“
„Weißt du noch, wie Nica ihre Backbleche hier zum Auskühlen legte?“
„Das weiß ich noch, ich kann mich aber nicht mehr daran erinnern, dass du dich verbrannt hast.“
Das Gespräch begeisterte ihn nicht besonders, jedoch fuhr ich fort, auch wenn ich riskierte, ihm auf die Nerven zu gehen.
„Sie hat mich ins Zimmer in der Mitte des Hauses gebracht, du weißt doch, dort auf dem Sofa, und mit dem Holzlöffel gehaut. Als sie aber sah, dass ich verbrannt und erschrocken war, hatte sie Mitleid mit mir und legte mir kalte Kompressen auf die Wunden. Dann hat sie ein neues Backblech in den Ofen geschoben und hat mir Taschentücher auf die Hände und Beine gelegt - ich hatte eins sogar auf dem Hals. Sie hatte sie mit Honig bestrichen und nass gemacht und ich war klebrig von Kopf bis Fuß, weißt du noch?
„Ich erinnere mich nicht. Vielleicht war ich nicht da.“
Robert stand auf und ging zum Tor. Ein paar Zigeuner in einem Pferdewagen waren erschienen und guckten sich das Auto interessiert an.
Ich setzte mich wieder auf die Treppe und lehnte meinen Kopf an die Wand. Die nasse Kühle der modrigen Wände und Treppen roch stechend.
Dieses Haus war niemals unser Haus gewesen und würde es niemals sein. Wir waren bloß Passanten – ich, mein Bruder und Nica. Sogar meine Mutter.
An den langen Sommern erinnerte ich mich am besten.
Wir pflegten, um den runden Tisch zu sitzen und zusammen zu essen. Meine Mutter rauchte und es gefiel mir, sie zu beobachten, so wie sie ihre dünne Hand auf dem Ellenbogen stützte. Auf ihrem Arm wuchs ein kupfriger feiner Flaum, der auf der Rückseite der Hand verschwand, dort wo ihre langen Finger begannen. Ich konnte noch ihren Silberring mit dem Bernstein vor meinen Augen sehen.
„Sonia, lass die Zigarette“, sagte Nica, das Geschirr neben der Spüle klirrend.
Mutter stellte sich taub. Sie hielt einen Stoß Schallplatten auf dem Schoß und stöberte sie durch. Großmutter wollte sie nicht in Ruhe lassen, schnauzte sie an und dann stand Mutter auf und half ihr und ließ ihre Zigarette in dem Aschenbecher, wo sie dann vor sich hin schmorrte. Sie drehte sich und zwinkerte uns zu.
Spät am Abend spielten wir Karten in der Küche und hörten Luis Mariano am Plattenspieler. Ich dachte an meine Mutter und sagte mir, dass es gut wäre, wenn ich ein bisschen Geld hätte, um nach Kanada zu fliegen, obwohl ich nicht sicher war, was ich ihr sagen wollte.
„Sag mal, willst du uns diesen Kram nicht geben, der ist doch voll kaputt?“, hörte ich die Zigeuner auf der Straße rufen.
Robert schnauzte sie an, ich verstand aber nicht, was er ihnen sagte. Er blieb vor dem Tor stehen, um sich zu vergewissern, dass sie sich auf die Beine machten. Als er sah, dass sie an der Straßenecke verschwanden, kehrte Robert in den Hof zurück. Er hatte Angst, dass jemand uns etwas aus dem Auto stehlen könnte.
Die Straße war verlassen und die Fensterläden der meisten Häuser waren geschlossen. Wenn jemand etwas aus dem Auto geklaut hätte, hätte keiner was bemerkt. Ein paar Hunde auf dem Gehsteig bellten nur als der Pferdewagen an ihnen vorbeifuhr.
„Lass uns schneller fertig werden“, sagte mein Bruder und stieg die Treppen hinauf.
Er warf seine Zigarette ins hohe Gras. Dann machten wir uns an die Arbeit. Ich guckte mir die riesige Anrichte zum letzten Mal an, die ohne Türen und Schubladen wie ein totes Tier aussah, das dabei war, zerstückelt zu werden.
Robert erklärte mir, wo sich das Hauptstück befand, das alles zusammenhielt. Er schlug mit der Hand auf das zentrale Brett des Regals.
„Das ist an der Rückwand festgenagelt. Links und rechts kommen dann diese zwei Türme, die ihrerseits an ihm festgenagelt sind. An den zwei Türmen sind dann die Theke und die oberen und unteren Schubladen geschraubt.“
Ich hörte ihm zu, ohne zu verstehen, warum ihm das so wahnsinnig kompliziert schien.
„Wenn ich das hier losmache, wird der Körper in diese Richtung gehen. Ich befürchte, dass er hinfällt, denn die Beine sind ziemlich zerfallen. Der da ist sogar schon gebrochen. Du musst ihn also gut festhalten.“
„Und der andere Körper?“
„Der andere wird in die andere Richtung fallen. Den werde ich festhalten.“
Ich erkannte, wie schwer das Stück war, nach dem Knarren des Holzes, als Robert die Schrauben herauszog. Die Teile wurden unter dem eigenen Gewicht locker und ich musste aus der entgegengesetzten Richtung schieben, um sie aneinanderzuhalten. Sonst hätte mein Bruder den Schraubenzieher nicht mehr drehen können, so groß war die Spannung in diesen Verbindungen.
Nachdem er die letzte Schraube gelockert hatte, schien mir als ob ein unaufhaltbarer Felsbrocken über mich fallen würde. Die Nägel sprangen aus der Rückwand und ließen Splitter fliegen.
„Brrr!“, rief mein Bruder wie ein Bauer, der an den Zügeln seines Pferdewagens zieht, und versuchte sich, an ein Regal zu klammern. Es gelang ihm aber nicht, weil er seinen Möbelteil stützen musste.
Ich schaffte es, irgendwie das Stück zu stützen, indem ich mich gut auf den Beinen hielt. Ich sah meinen Bruder an, der den anderen Teil gegen die Wand lehnte.
„Lass ihn jetzt langsam fallen.“
Ich ging ein paar Schritte zurück. Ich hätte schwören können, dass seine Arme aufgeben werden. Die Kante, die ich festhielt, schnitt mir in die Handfläche und ein paar Regale, die wir beim Auseinandernehmen verpasst hatten, fielen laut auf den Boden.
Letztendlich schaffte ich es, meinen Schrankteil auf den Boden zu lassen und half dann meinem Bruder, dasselbe zu tun. Die Theke war an seinem Teil hängengeblieben.
„Nun wird es einfach sein“, sagte er und schüttelte seine Hände. „Wir werden jetzt alles auseinandernehmen“.
Robert machte ein neues Bier auf und wir fingen dann an, Schrauben zu lockern und Nägel aus dem Holz herauszuziehen. Die Sonne lag nun unter der Krone der Bäume und das Licht fiel schräg in die Küche herein. Wir arbeiteten etwa eine Stunde lang, ohne ein Wort zu wechseln. Wenn sich mehrere Bretter, Regale und andere Holzstücke ansammelten, brachte sie Robert zum Auto. Plötzlich, als ich mich gerade mit einem Nagel quälte, fragte er:
„Wirst du denn dieses Mädchen heiraten?“
Ich hielt inne mit dem Hammer in der Hand, holte das Bier und guckte ihn an, um zu sehen, was er von mir wollte. Er schaute mich aber nicht an. Er hatte mir den Rücken gedreht und sammelte die Türgriffe in einer Kartonschachtel.
„Ich weiß nicht, ich hab noch Zeit.“
„Du bist fast dreiunddreißig, oder?“
„Ich wurde dreiunddreißig im April.“
„Na also? Worauf wartest du noch?“
„Dieses Ding da hat mich total blockiert, ich fühle mich nicht mehr als ganzer Mensch bis es nicht fertig ist und ich kann an nichts anderes denken.“
Robert stand auf. Ich musterte den Umriss seines vom Gegenlicht verwaschenen großen Körpers. In einer Hand hielt er eine verzierte Eisenstange, die als Griff für einen der Hängeschränke gedient hatte.
„Mathematik, sagst du?“
„Mathematische Analyse.“
Er kratzte sich am Kopf.
„Willst du dieses Mädchen?“
Ich stand auch auf und wischte mir die Hände an den Hosenboden. Dabei bemerkte ich die leere Flasche nicht, die er auf dem Boden gelassen hatte und warf sie um. Ich wusste auch nicht, wo seine Grenzen lagen.
„Was meinst du? Wie denn?“
„Ich meine so wie man eine Frau will, verstehst du?“
Wir gingen wieder auf die Treppen hinaus. Es war dunkel geworden und Grillen zirpten aus dem Blumenbeet. Ich machte mein Bier auf und teilte es mit ihm.
„Ich weiß nicht, was ich will.“
„Gibt es Vorteile, gibt es Nachteile, daran musst du denken“, sagte mein Bruder hastig.
Ich strich mir mit der Hand durch die Haare. Er war ein wenig besoffen und hatte Lust, mit mir zu reden. Ich hatte vor einiger Zeit gehört, dass er Alkoholprobleme hätte, jedoch wusste ich nicht, dass seine Obergrenze drei Biere waren. Zu allem Übel war mir auch ein wenig schwindlig. Ich schaute auf dem Etikett, um zu sehen wie viel Alkohol das Bier enthielt. Es war ein normales Bier.
„Ich mag sie.“
„Das muss sein, das ist kein Vorteil.“
„Sie hat dieselbe Hochschule besucht wie ich.“
„Das ist auch kaum ein Vorteil.“
„Jawohl“, gestand ich.
Dann wurde es wieder still. Ich guckte verstohlen meinen Bruder an, seine runden und kräftigen Hände, die er um die Bierflasche hielt. Abgearbeitete Hände, mit rissiger Haut und Schwielen an den Fingerknöcheln.
Ich hatte Angst, er würde mich fragen, ob wir gut ficken oder nicht, das tat er aber nicht.
„Hör mal“, sagte ich. „Ich hab keine Ahnung, wie viele Liebhaber sie schon gehabt hat, wie sie war, bevor sie mich kennen lernte, warum sie sich freute und wie sie sich freute. Wie viele Liebhaber hat deine Frau denn gehabt?“
Robert kehrte seinen großen und haarigen Kopf mit der Trägheit eines Büffels um. Es war als ob ich Unsinn geredet hätte. Seine blauen Augen schwammen in einer dünnen Wasserschicht. Tatsächlich wurde er von drei Bieren total besoffen.
„Ich hab keine Ahnung.“
„Ich denke manchmal an solche Sachen. Wie viele Liebhaber glaubst du dass Mutter hatte?“
Mein Bruder spuckte wieder. Die Spucke klebte an der Treppe.
„Zwei kennen wir schon ein bisschen.“
Ich lachte und stimmte ihm zu.
„Manchmal liege ich nachts im Bett, sie schläft und mir geht allerlei albernes Zeug durch den Kopf. Weißt du, woran ich am meisten denke?“
Robert schüttelte den Kopf.
„Ich frage mich, ob ich Glück habe, ob ich mein Glück gefunden habe, verstehst du was ich meine?“
Mein Bruder winkte mit der Hand und klopfte mir auf die Knie.
„Du musst nicht daran denken. Glück und Ärger finden dich selbst. Du musst dich um deine eigenen Sachen kümmern. Sag mir besser, was für Vorteile hat das Zusammenleben mit diesem Mädchen?“
Ich legte mich auf dem Boden hin, die Hände unter den Kopf. Marias Gesicht, ihre Sachen, ihre Gesten wimmelten in meinem Kopf herum wie Jonglierbälle und ich wusste nicht, welchen Ball ich wählen soll. Robert stand auf und ging in den Hinterhof pinkeln.
Ich folgte ihm durch das hohe Gras. Er stand mit dem Rücken zu mir und ich hörte den Urinstrahl auf dem Holzzaun fallen.
„Kennst du Cyd Charise aus „Vorhang auf“?
Robert leerte seine Harnblase im gleichen kräftigen Rhythmus.
„Es ist ein Film.“
„Ich glaube nicht, dass ich ihn gesehen habe.“
„Na ja, da singt und tanzt sie mit Fred Astaire, sie hebt ihren weißen kurzen Rock mit den Händen und lächelt.“
Ich zeigte ihm wie sie das tat.
„Tja.“
„So macht auch sie manchmal.“
Er drehte sich und guckte mich an, während er sich das Hemd in die Hosen steckte. Er zog mühsam an den Reißverschluss.
„Meinst du, wie sie so lächelt?“
„Ja, genau, sie lächelt genauso, ohne einen bestimmten Grund, und dann kriegt sie zwei Grübchen hier in den Wangen.“
Mein Bruder dachte nach, diskret auf seinen Beinen taumelnd. Eine Hälfte seines Gesichtes war vom gelben Licht einer Straßenlampe durchflutet. Sein großes und knochiges Gesicht, das meinem überhaupt nicht ähnlich war.
„Ja“, antwortete er. „Das ist eine gute Sache.“
Später legten wir uns im Haus schlafen, auf die Matratze, direkt auf den Boden im Hinterzimmer, genauso wie wir als Kinder zu tun pflegten. Robert war zu besoffen, um nach Hause zu fahren, und es war sowieso dunkel geworden und unser linker Scheinwerfer war kaputt.
Ich habe dann bis spät in die Nacht die hohe Decke betrachtet, mit ihren Rissen, die ich ganz vergessen hatte und fragte mich, ob ich Glück hatte oder nicht.
Dann schlief ich ein. Ich hatte die Fenster offen gelassen und gegen Morgen wurde es kalt im Zimmer und ich fing an zu zittern. Ich klammerte mich an meinen Bruder, fühlte die Wärme, die aus seinem breiten Rücken strahlte und dann ging es mir besser.
Als ich ihn aber in Bukarest auf der Straße nach einigen Wochen sah, rief ich nicht nach ihm. Er ging langsam, ohne jede Eile, auf die andere Straßenseite. Ich verfolgte ihn mit dem Blick, bis er an der Kreuzung unter den anderen Leuten verschwand.
*Das Prosastück ist Teil des Bandes „Marile bucurii și marile tristeți” (Große Freude und tiefe Traurigkeit), Trei Verlag, Bukarest, 2013

© Editura Trei
Übersetzung: Irene Cristescu