
Portfolio Neele Bunjes | Foto (Ausschnitt): © Neele Bunjes
Die Zeichnerin Neele Bunjes lebt von Illustrationen und für ihre Graphic Novels. Ihr wichtigstes Werkzeug ist ein alltäglicher Gegenstand:
der Kugelschreiber.
Es sind poetische, düstere Zeichnungen, mit denen Neele Bunjes die Eurokrise illustrierte: Ein chaotisch gestapelter Turm aus vielen kleinen Anzugträgern, die riesige Münzen stemmen und jeden Moment umzukippen drohen. Und noch ein Anzugträger, er blickt melancholisch in die Ferne. Hinter ihm wehen einige Euroscheine über die Straße, wie altes Laub. Oder eine alte Münze, die zerbröckelt wie trockener Wüstenboden.
Die Arbeit fertigte Neele Bunjes 2011 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung an. Als Illustratorin arbeitet sie seit einigen Jahren für Zeitungen und Magazine, um sich „Raum zu garantieren“, wie sie es nennt. Raum für ihre Comics, dem Medium, in dem sie sich freier ausdrücken kann als in Auftragsarbeiten. Und wo sie die eigentlichen Geschichten ihres Lebens verhandelt.
Vielschichtiges Erzählen im Comic
Erzählen, das wollte Bunjes schon immer. In Wort oder Bild, und anfangs eigentlich für Kinder. Erst im sechsten Semester an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg entdeckte Bunjes den Comic: als vielschichtiges Medium, mit Möglichkeiten, Geschichten voller Zwischentöne zu erzählen.
Wie Nephentes, ihre noch unveröffentlichte, teils autobiografische Graphic Novel, Finalist des Comicbuchpreises der Berthold Leibinger Stiftung. In Nephentes, Name einer fleischfressenden Pflanze, gehen Bunjes' faserige Kugelschreiberlinien mal in den Raum hinein, mal bilden sie glatte Oberflächen ab.
Mit dem Kugelschreiber rückt Bunjes Details in den Vordergrund, lässt Zwischentöne lauter klingen oder riesige Fensterfronten in den Himmel wachsen. Der „Kulli“, wie Bunjes sagt, ist auch das einzige Werkzeug, mit dem die Zeichnerin das Papier bearbeitet. Dann schiebt sie die Bilder in den Scanner und koloriert am Computer nach.
Archivarbeit in Graphic Novel einfließen lassen
Nicht so im schwarz-weißen Nephentes. Der beengende Futurismus der Graphic Novel braucht keine Farbe. Man wüsste auch gar nicht wohin mit ihr, wenn Bunjes stockfinstere Aufzugschächte im Querschnitt zeigt. Oder die bedrückende Hochhauswelt, die einem aus dem Comic entgegenragt — eine kafkaeske Anordnung in vielen kleinen Parzellen, wie in Jacques Tatis Film Playtime.
In diese Welt zeichnet Bunjes „Bearbeitungen ihrer Erfahrungen“, so sagt sie das — etwa, wie sie neben dem Studium in einem Archiv jobbte, hier die Schuldakten einer Bank sortierte. „Ich habe versucht, die Eindrücke aus der Archivarbeit zu kanalisieren", erzählt Bunjes, die sich im Archiv fühlte „wie ein Mensch, der versucht, sich in eine Welt aus Akten einzufügen“.
Doch Bunjes muss nicht mehr im Archiv arbeiten, um zeichnen zu dürfen. Sie ist angekommen in der Selbstständigkeit, die es ihr erlaubt, vom Zeichnen zu leben. Und trotzdem ist da die Frage — „und die stellt sich, glaube ich, jeder schöpferische Mensch“, sagt Bunjes: „Gibt es Kunst ohne Leiden?“
Denn eines ist für sie klar: Man muss erstmal aus der eigenen Welt herausgucken und dann zurückblicken, um wieder gestalterisch tätig sein zu können. Das kann schon bedeuten, einfach für einen Moment aus dem eigenen kleinen Zeichnerkosmos auszubrechen. Und beispielsweise beim Jobben hinterm Bartresen Körper und Geist auf völlig andere Weise zu fordern.
Autor
Josa Mania-Schlegel
ist Student an der Deutschen Journalistenschule.
Copyright: Goethe-Institut e. V.,
Internet-Redaktion
Mai 2016