„Ingrid wendet den Kopf, schaut den Bruder an. Sieht ihn im fahlen Morgenlicht und weiß, der hat nicht geschlafen. Der hat die ganze Nacht wach gelegen. Am Boden eines ausbetonierten Beckens, die Füße gegen die Wand gestemmt.“
(Zitat aus dem Kapitel Zwei des Romans „Alles ist jetzt. Roman“von Julia Wolf. Frankfurter Verlagsanstalt, 2015)
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Dana Berghes: Du hast viele Jahre an „Alles ist jetzt“ geschrieben. Kannst du den Schaffensprozess beschreiben?
Ich habe die Szene, in der die Katze in die Küche macht, geschrieben, als ich 16 war – beziehungsweise eine erste Fassung davon. Mit 20 war ich mit diesem Text zu einem Stipendium eingeladen. Im Rahmen dieses Stipendiums habe ich ein Manuskript für einen Roman geschrieben, das mir aber nicht sonderlich gefallen hat, es ist in einer Schublade verschwunden. Ende 20 fiel es mir bei einem Umzug dann wieder in die Hände, und ich habe es gelesen. Ich fand den Text nicht sonderlich gut, mochte aber die beiden Hauptfiguren, Ingrid und Gordan. Ich habe dann noch einmal von vorne begonnen zu schreiben, nur für mich. So ist dann „Alles ist jetzt“ entstanden.
Welche Beziehung hast du zu den Figuren aus deinem Roman? Wem bist du ähnlich, wen liebst du, wen nicht?
Lieb haben und Sympathie sind für mich seltsame Kategorien in der Literatur. Ich nehme alle meine Figuren sehr ernst, aber mir ist es nicht so wichtig sie sympathisch erscheinen zu lassen, viel mehr interessiere ich mich für ihre Brüche und Untiefen.
Wie tröstest du dich, wenn du selber einsam bist?
Indem ich mich an Momente erinnere, in denen ich mich anderen Menschen verbunden fühlte. Das reicht aber nicht immer, manchmal bin ich untröstlich.
Hast du LieblingsschriftstellerInnen – egal ob deutsch, international, jung, uralt – und warum sind sie deine bevorzugten AutorInnen? Gibt es darunter auch Vorbilder?
Je nachdem woran ich selbst gerade schreibe, sind unterschiedliche Texte wichtig. So habe ich für das Romanmanuskript, an dem ich momentan arbeite, nach inneren Dialogen gesucht, habe Schnitzler und Faulkner, aber auch Marlene Streeruwitz gelesen. Und dann gibt es natürlich die großen HeldInnen, zu denen ich immer wieder zurückkehre. Virginia Woolf, Franz Kafka, Herta Müller, um nur einige zu nennen.
Wie sieht ein normaler Tag bei dir aus?
Ich versuche, früh aufzustehen, was mir nicht immer gelingt. Ich kann morgens gut arbeiten. Wenn ich vernünftig bin, gehe ich dann am Nachmittag an die frische Luft und bewege mich, treffe Leute, denn nachmittags kann ich nicht wirklich arbeiten. Abends geht es dann wieder, eigentlich sogar am besten. Mit einer großen Kanne Kaffee kann ich dann bis in die Nacht hinein schreiben. Wenn’s gut läuft. Wenn es nicht gut läuft, starre ich eben die Wand an, recherchiere, schreibe Tagebuch. Oder ich lese.
Du hast von deinen Stipendien und Residenzen erzählt. Welche Erfahrung war am wichtigsten für dich und warum? Wie fühlst du dich, wenn du so lange von Zuhause weg bist?
Ich glaube, zwei Aspekte sind bei den Aufenthaltsstipendien wichtig für mich. Zum einen natürlich, dass ich mich völlig ungestört dem jeweiligen Projekt widmen kann. Ich brauche diese Freiheit, keine Termine und Verpflichtungen zu haben, zum Arbeiten. Und das andere ist dieses Gefühl des Fremdseins, das auch sehr gut sein kann fürs Schreiben. Selbst wenn der Ort, an dem ich mich gerade aufhalte, vielleicht gar keinen direkten Eingang in den Text findet – ich verlasse mein gewohntes Umfeld und mir scheint, als würde das meine Wahrnehmung meiner Selbst und auch meines Schreibens schärfen. In Berlin ist immer sehr viel los und mein Sozialleben nimmt viel Zeit ein. Ich bin froh, wenn ich mich dem eine Zeit lang entziehen kann, und dann bin ich aber auch ebenso froh, wenn ich wieder dahin zurückkehren kann.
Warum bist du nach Rumänien gekommen und wie waren die zwei Monate in Cetate für dich – persönlich, aber auch „beruflich“?
Ich hatte von dem Port Cultural in Cetate gehört und wollte unbedingt mal dorthin, es klang, als sei das ein perfekter Ort zum Schreiben. Deswegen habe ich mich beworben. Als ich dort ankam, konnte ich kaum fassen, wie schön es ist. Die Donau, die Wälder, die fantastischen Sonnenuntergänge. Es ist auch sehr abgelegen, so dass es wirklich keinerlei Ablenkung von der Arbeit gibt. Ich habe in den zwei Monaten dort mein Manuskript ein gutes Stück voranbringen können. Ich war auch sehr alleine, aber das halte ich die meiste Zeit gut aus. Außerdem gab es dort ein großes Rudel Hunde, das mich aufgenommen hat. Kein Scherz, sobald ich das Haus verlassen habe, waren sie zur Stelle. Das waren wirklich ganz besondere Tiere, so freundlich, so, ja, liebevoll. Auch wenn das jetzt vielleicht komisch klingt. Die Begegnung mit den Hunden in Cetate war für mich etwas ganz besonderes.
Was unterscheidet Iași und Chișinău von Bukarest? Würdest du gerne wieder nach Rumänien kommen?
Ich reise sehr langsam, ich brauche lange, um mich an neue Orte zu gewöhnen. Oft kann ich mich erst richtig auf einen Ort einlassen, wenn ich schon bald wieder nach Hause muss, oder wenn ich zum zweiten Mal dort hinkomme. Das hat nichts mit dem Ort zu tun, so bin ich einfach. Und je öfter ich an einen Ort komme, desto wohler fühle ich mich, desto mehr gibt es zu entdecken für mich. Von daher hoffe ich, dass ich noch oft nach Bukarest und Cetate zurückkomme, auch nach Iași und Chișinău würde ich sehr gerne noch einmal. Auf den ersten Blick fällt natürlich auf, dass beide Orte kleiner sind als Bukarest und es andere kulturelle Einflüsse gibt. Aber wie gesagt, ich brauche immer etwas länger, um ein Gefühl für Orte zu bekommen.
Wohin möchtest du noch reisen?
Die Frage, wohin möchtest du nicht reisen, wäre einfacher zu beantworten. Ich reise generell sehr gerne, allerdings bin ich nicht gerne bloß Touristin. Ich mag es lieber, wenn ich vor Ort etwas zu tun habe, Leute kenne, etc.
Was antwortest du, wenn jemand dein Buch „Alles oder jetzt“ als ein Symbol für die gegenwärtige junge Generation betrachtet?
Dazu kann ich nur sagen, dass ich nicht den Anspruch habe, für eine Generation zu sprechen.
Welchen Eindruck hat die rumänische kulturelle Szene auf dich gemacht? Was weisst du über andere junge SchriftstellerInnen in Rumänien?
Ich war sehr froh, in Bogdan Coșa so einen tollen Gesprächspartner gefunden zu haben. Das meiste, was ich über die literarische Szene in Rumänien weiß, hat er mir erzählt, und mir scheint, als sei sie sehr vielfältig und als gebe es dort noch viel zu entdecken für mich. Ich kann nur sagen, dass hoffentlich noch mehr junge rumänische AutorInnen ins Deutsche und Englische übersetzt werden, damit ich ihre Texte lesen kann.
Die Arbeit als Schriftstellerin erfordert Disziplin, wie schaffst du das ? Erinnerst du dich daran, wann du dich entschlossen hast Schriftstellerin zu sein?
Die Entscheidung habe ich mit Ende 20, nach dem Studium getroffen. Ich hatte eigentlich immer schon geschrieben, aber erst als ich dann nach dem Studium begann, mich für verschiedene Jobs zu bewerben, merkte ich, ich will das eigentlich alles gar nicht. Ich will schreiben. Und ich habe dann beschlossen, mir Jobs zu suchen, die das Schreiben ermöglichen. Das war nicht immer einfach. Ich habe auch akzeptiert, dass ich fürs Erste keine Sicherheit habe, was die Zukunft angeht. Vielleicht ändert sich das irgendwann, aber momentan ist mir einfach wichtiger, dass ich das machen kann, was ich liebe. Ich habe aber lange gebraucht, länger als andere SchriftstellerInnen in meinem Umfeld, um mir das ein- und zuzugestehen. Ich habe relativ lange gedacht, ich müsste einen „anständigen“ Job machen. Aber eigentlich bin ich sehr froh, dass irgendwann ein gewisser Fatalismus einsetzte, so nach dem Motto: Ich mach das jetzt, weil es mir wichtig ist, und über alles andere denke ich später nach. An diesem Punkt bin ich gerade. Und klar, Disziplin gehört dazu, und ich trete nicht jeden Tag jauchzend an meinen Schreibtisch, es gibt sehr uninspirierte Tage und die sind quälend, aber so ist das eben. Der Wunsch, zu schreiben, mit Sprache zu arbeiten und Geschichten zu erzählen, und das Glück darüber, in einer Position zu sein, dies auch tun zu können, überwiegen.
„Alles ist jetzt“ von Julia Wolf gibt es in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest zum Ausleihen.
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