
Tue, 6. September 2016
Migration und Flucht in der deutschsprachigen Literatur

In unserer Reihe „deutsche Schriftsteller mit Migrationshintergrund“ haben wir uns bereits mit den ausländischen Wurzeln der deutschsprachigen Literatur befasst. Die Erzählung der Herkunftsgeschichte ist selbst ein Ankommen, an einem neuen Ort, in einer neuen Sprache. Der Roman ist Integration, gerade indem er auf Individualität besteht. Jede dieser Geschichten ist besonders. Und jeder der Autor hat einen besonderen Bezug, eine besondere Haltung und Erfahrung zum Thema Migration und Flucht beizusteuern. In diesem Artikel möchten wir gerne einige herausragende Autoren und deren Bücher vorstellen. Bücher, die in Deutschland viel Diskussionsstoff gezündet haben und differenzierte Debatten ermöglichen, an denen sich die Autoren auch selbst rege beteiligen.

Anfang November 2009, meldet sich Aboud Saeed bei Facebook an und hinterlässt täglich Einträge. In seinem Land passierte viel über das es sich zu schreiben lohnte. Im Dezember 2010 leitete Tunesien den arabischen Frühling ein, der sich rasch auf weitere Länder ausweitet. Unter ihnen auch Syrien, dem Herkunftsland Aboud Saeeds. Doch in Syrien wird aus den Bürgerprotesten ein blutiger und grausamer Bürgerkrieg. Die täglichen Einträge Saeeds bekommen nun literarischen Charakter. 2013 veröffentlicht der kleine Berliner e-book-Verlag „Mikrotext“ eine Auswahl seiner Statusmeldungen unter dem Titel "Der klügste Mensch im Facebook". Berichtet wird darin von seiner Mutter, der Suche nach Melonenresten auf Müllhalden, einer Kindheit unter dem Baath-Regime.

In seinem vierten Roman „Ohrfeige“ schildert Abbas Khider die Situation von Asylbewerbern in Deutschland, die Hürden der deutschen Behörden und die ständige Angst einer plötzlichen Abschiebung. „Ich schreibe immer über bittere Wirklichkeiten. Ohne Leichtigkeit ist es nicht möglich, diese Wirklichkeiten zu ertragen. Diese Leichtigkeit hilft mir und dem Leser, sich in einem Text unbeschwert zu bewegen" (Abbas Khider)

Mit einer außergewöhnlichen Idee schafft es Senthuran Varatharajah die Ortlosigkeit oder vielmehr die Vielortigkeit von Migranten in die virtuelle Realität zu transportieren und auf eine anthropologische Ebene zu heben. Sein Roman "Von der Zunahme der Zeichen" besteht nämlich aus einem Facebookdialog zwischen zwei Studenten. Der eine aus Sri Lanka stammend, die andere mit kosovarischem Hintergrund. In den Dialogen wechseln die Orte und Zeiten ständig hin und her: die Virtualität des Netzwerks hilft dabei, die Migration auf ganz neue Weise zu erfahren und zu verstehen.

Stellen wir uns vor, irgendwo tief im europäischen Wald begegnet sich ein Haufen unterschiedlichster Menschen und kommt ins Gespräch. Darunter befinden sich Logistiker, Übersetzer, Staatsanwälte, Nachrichtensprecher oder Talkshowgäste. Was würde ein Logistiker einer Künstlerin über das „Glück“ erzählen können? Was bedeutet Heimat für den Grenzgänger? Welchen Musikgeschmack teilen sich eine Schmugglerin und ein Stahlarbeiter? Haben die Kontrolleurin und der Flüchtling dasselbe Gefühl, wenn sie über Heimat sprechen? Oder über Gerechtigkeit? Über den Staat, über den Tod?
Die junge Schweizerin Dorothee Elmiger hat einen Roman geschrieben, der die brisanten Fragen unserer Gegenwart ausleuchtet und dabei bewusst auf eine klassische Handlung verzichtet. Und dabei eine Sprache gefunden, wie sie zuvor in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur noch nicht zu lesen war.

Shida Bazyar wurde 1988 als Tochter iranischer Emigranten in Deutschland geboren. In ihrem Roman "Nachts ist es leise in Teheran" gelingt ihr eine aufrüttelnde Familiengeschichte zwischen Revolution, Flucht und deutscher Gegenwart. In vier großen Zeitschnitten erzählt sie vom Schicksal ihrer Familienmitglieder und spannt damit ein weites historisches Panorama auf.
Geschrieben von: Levin Christopher Stein

Der klügste Mensch im Facebook | © Mikrotext, Foto: Aboud Saeed, September 2014, Sandrahetzl - Wikipedia
Der klügste Mensch im Facebook | © Mikrotext, Foto: Aboud Saeed, September 2014, Sandrahetzl - Wikipedia
Aboud Saeed: "Der klügste Mensch im Facebook"
Anfang November 2009, meldet sich Aboud Saeed bei Facebook an und hinterlässt täglich Einträge. In seinem Land passierte viel über das es sich zu schreiben lohnte. Im Dezember 2010 leitete Tunesien den arabischen Frühling ein, der sich rasch auf weitere Länder ausweitet. Unter ihnen auch Syrien, dem Herkunftsland Aboud Saeeds. Doch in Syrien wird aus den Bürgerprotesten ein blutiger und grausamer Bürgerkrieg. Die täglichen Einträge Saeeds bekommen nun literarischen Charakter. 2013 veröffentlicht der kleine Berliner e-book-Verlag „Mikrotext“ eine Auswahl seiner Statusmeldungen unter dem Titel "Der klügste Mensch im Facebook". Berichtet wird darin von seiner Mutter, der Suche nach Melonenresten auf Müllhalden, einer Kindheit unter dem Baath-Regime.
Saeed wohnt in Berlin und schreibt seit Längerem für die „taz“. Die Artikel seiner regelmäßig erscheinenden Kolumne „Warum so ernst?“ finden Sie hier: http://www.taz.de/Kolumne-Warum-so-ernst%3F/!5272123/

Abbas Khide:Ohrfeige | © Hanser, Foto: Abbas Khider at Leipzig Book Fair 2016 © Heike Huslage-Koch, Wikipedia
Abbas Khide:Ohrfeige | © Hanser, Foto: Abbas Khider at Leipzig Book Fair 2016 © Heike Huslage-Koch, Wikipedia
Abbas Khider:„Ohrfeige“
In seinem vierten Roman „Ohrfeige“ schildert Abbas Khider die Situation von Asylbewerbern in Deutschland, die Hürden der deutschen Behörden und die ständige Angst einer plötzlichen Abschiebung. „Ich schreibe immer über bittere Wirklichkeiten. Ohne Leichtigkeit ist es nicht möglich, diese Wirklichkeiten zu ertragen. Diese Leichtigkeit hilft mir und dem Leser, sich in einem Text unbeschwert zu bewegen" (Abbas Khider)

ASenthuran Varatharajah: | © S.Fischer, Foto: Foto: Elif Kücük, bachmannpreis.at
Senthuran Varatharajah: | © S.Fischer, Foto: Foto: Elif Kücük, bachmannpreis.at
Senthuran Varatharajah: "Von der Zunahme der Zeichen"
Mit einer außergewöhnlichen Idee schafft es Senthuran Varatharajah die Ortlosigkeit oder vielmehr die Vielortigkeit von Migranten in die virtuelle Realität zu transportieren und auf eine anthropologische Ebene zu heben. Sein Roman "Von der Zunahme der Zeichen" besteht nämlich aus einem Facebookdialog zwischen zwei Studenten. Der eine aus Sri Lanka stammend, die andere mit kosovarischem Hintergrund. In den Dialogen wechseln die Orte und Zeiten ständig hin und her: die Virtualität des Netzwerks hilft dabei, die Migration auf ganz neue Weise zu erfahren und zu verstehen.

Dorothee Elmiger: Schlafgänger| © Dumont, Foto: © Dorothee Elmiger auf der Frankfurter Buchmesse 2014, Ordercrazy, Wikipedia
Dorothee Elmiger: Schlafgänger| © Dumont, Foto: © Dorothee Elmiger auf der Frankfurter Buchmesse 2014, Ordercrazy, Wikipedia
Dorothee Elmiger: „Schlafgänger“
Stellen wir uns vor, irgendwo tief im europäischen Wald begegnet sich ein Haufen unterschiedlichster Menschen und kommt ins Gespräch. Darunter befinden sich Logistiker, Übersetzer, Staatsanwälte, Nachrichtensprecher oder Talkshowgäste. Was würde ein Logistiker einer Künstlerin über das „Glück“ erzählen können? Was bedeutet Heimat für den Grenzgänger? Welchen Musikgeschmack teilen sich eine Schmugglerin und ein Stahlarbeiter? Haben die Kontrolleurin und der Flüchtling dasselbe Gefühl, wenn sie über Heimat sprechen? Oder über Gerechtigkeit? Über den Staat, über den Tod?
Die junge Schweizerin Dorothee Elmiger hat einen Roman geschrieben, der die brisanten Fragen unserer Gegenwart ausleuchtet und dabei bewusst auf eine klassische Handlung verzichtet. Und dabei eine Sprache gefunden, wie sie zuvor in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur noch nicht zu lesen war.

Shida Bayzar: Nachts ist es leise in Teheran| © KiWi, Foto: Foto: © Amrei-Marie, Wikipedia
Shida Bayzar: Nachts ist es leise in Teheran| © KiWi, Foto: Foto: © Amrei-Marie, Wikipedia
Shida Bayzar: "Nachts ist es leise in Teheran"
Shida Bazyar wurde 1988 als Tochter iranischer Emigranten in Deutschland geboren. In ihrem Roman "Nachts ist es leise in Teheran" gelingt ihr eine aufrüttelnde Familiengeschichte zwischen Revolution, Flucht und deutscher Gegenwart. In vier großen Zeitschnitten erzählt sie vom Schicksal ihrer Familienmitglieder und spannt damit ein weites historisches Panorama auf.
Geschrieben von: Levin Christopher Stein
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