Die Metrostation am Hauptbahnhof in Kairo heißt nicht mehr „Mubarak“, sondern „Shohadaa“ – Märtyrer. Auf Metroplänen ist der alte Name mal überklebt, mal grob überschrieben, mal zerkratzt, und manchmal steht es auch noch da: „Mubarak“.
Kurz vor dem Jahrestag des 25. Januar, dem Beginn der – bisher unvollendeten – ägyptischen Revolution ist ohnehin klar: Namensänderungen sind symbolische Akte, Kosmetik. Mit dem regierenden Militärrat sind nach dem Sturz Mubaraks weiterhin die Herren der alten Clique an der Macht. Prognosen darüber, was in den nächsten Wochen und Monaten, selbst Tagen passieren wird, wagt kaum jemand. „Wissen wir nicht“ ist von allen Seiten zu hören.
In diesem Klima der Ungewissheit, in einem müden Kairo, mit intensiven Begegnungen und tausend und einem Eindruck mache ich mich auf den Weg nach Alexandria, um ein paar Tage aufs offene Meer zu schauen.
Aus der Märtyrer-Mubarak-Station kommend gehe ich also in die glänzend renovierte Halle des Hauptbahnhofs und rolle meinen Koffer in Richtung Gleise, auf der Suche nach dem richtigen Zug. Ein älterer Mann will mir den Koffer aus der Hand nehmen, aber ich bin stur, so dass wir gemeinsam den Griff festhalten und über den Bahnsteig laufen. Ich wiederhole freundlich „Nein, danke“. Ein junger Mann kommt heran und spricht mit meinem Begleiter, der daraufhin den Griff loslässt. Ich bedanke mich.
Der Zug hat Verspätung, und der junge Mann, nach dessen Namen ich im Laufe unserer vierstündigen Begegnung nicht fragen werde, bietet mir in bestem Englisch an, mein Ticket für einen anderen Zug mit umzutauschen. „Vertrauen Sie mir, ich bin ein Offizier“ sagt er selbstbewusst lächelnd, und ich lächele zurück, antworte skeptisch „Ok“. Schließlich organisiert sich der Officer den Platz neben mir (in Ägypten fährt man mit Platzkarte), und als der Zug losfährt, holt er einen Stapel Zeitungen hervor. Ich realisiere, dass er zwar zivil gekleidet ist, aber eine Pistole an der rechten Seite trägt. Sie befindet sich zwischen uns.
Ich bin es nicht gewohnt, neben Menschen mit Waffen zu sitzen, und es macht mich nervös. Ist dieser Offizier immer so freundlich und zuvorkommend, oder würde er mit dieser Waffe auch auf Demonstranten schießen?
„Was denkst du über die Revolution?“ unterbricht er meine Gedanken. Er liest die Al Masry Al Youm, scanne ich schnell, keine der staatlichen Tageszeitungen, trotzdem sollte ich vorsichtig sein. „Das ist schwierig zu sagen. Ich weiß es nicht“ weiche ich aus und frage zurück.
Er zeigt sich froh über die Entwicklung und will ein starkes Ägypten. Er ist bei der Marine, in Hurghada stationiert, und manchmal in Alexandria im Einsatz. Im letzten Jahr habe er während der Revolution die Bibliotheca Alexandrina geschützt. In seiner Erzählung spiegelt sich der prominente Slogan aus dem vergangenen Jahr wider: „Das Volk und die Armee gehen Hand in Hand.“
„Wir lieben die Deutschen. Wegen Hitler.“ sagt er unvermittelt zu mir, und sein Gesichtsausdruck zeigt, dass er sich aufrichtig freut. Es ist nicht das erste Mal, dass mir gegenüber Zuneigung zu Hitler geäußert wird, doch während ich meistens ruhig bleibe, explodiere ich diesmal. Die Pistole des Offiziers und meine Unsicherheit mit der Situation haben mich derart unter Spannung gesetzt, dass ich ausrufe: „Du wärst der Nächste gewesen, glaub nicht, dass Hitler die Araber verschont hätte.“ Außerdem wäre der Staat Israel nicht in seiner jetzigen Form existent, wenn es Hitler und den zweiten Weltkrieg nicht gegeben hätte, und überhaupt: Hitler hat Millionen Menschen umgebracht, der Krieg insgesamt über 50 Millionen Opfer gefordert. Ob Juden weniger wert seien als andere Menschen? In Alexandria habe eine große jüdische Gemeinde gelebt, es gebe dort eine wunderschöne Synagoge, jüdische Bewohner seien ein Teil auch der ägyptischen Geschichte. Und schließlich: wenn er wirklich meint, Hitler sei „great“, dann sei unser Gespräch hiermit beendet.
„Bist du Jüdin? Bist du aus Israel?“ fragt er ruhig.
“Nein. Ich bin aus Deutschland.”
„Christin?“
„Ja“, sage ich und frage mich, ob das jetzt die „Israeli Spionin Nummer“ wird. Die Propaganda, eine ominöse „dritte Kraft“ aus dem Ausland (bevorzugt Amerikaner oder Israelis) stifte in Ägypten Chaos, zeigt Wirkung – zumindest auf mich. Vielleicht habe ich zu heftig reagiert, denke ich. Nicht dass der Offizier auf die Idee kommt, mich „spaßeshalber“ befragen zu wollen. Ich rufe eine Freundin in Kairo an um mich zu beruhigen und bitte sie, sich später bei mir zu melden.
„Vielleicht lese ich nicht genügend Bücher“ meint der Offizier hingegen, nachdem ich ihn trotz seiner grünen Augen nicht als arisch habe durchgehen lassen.
In Alexandria steigen wir aus. Im letzten Moment erinnere ich mich, dass die Stadt zwei Bahnhöfe hat und ich bis zum nächsten fahren muss. Ich springe mit einem schnellem Gruß in den anfahrenden Zug, froh, die Begegnung auf diese Art beenden zu können.
Irritiert schaue ich auf die vorbeiziehende Stadt. War ich paranoid, misstrauisch, vorsichtig oder vernünftig? Klar ist, dass meine Intuition – stets meine verlässlichste Begleiterin – zur Zeit auf die Probe gestellt wird.
Dennoch vertraue ich ihr mehr als jedem Offizier dieser Welt.
Julia Tieke
ich wünsche Dir ganz viel Kraft, Vorsicht, Vertrauen und alles was Du sonst noch brauchen kannst.
Mit sonnigen Grüssen aus Zürich
Marianne
Die Konotation Hitler - SCAF finde ich zu einfach und unreflektiert. Ich habe auch zahlreiche Revolutionäre/Aktivisten getroffen die Hitler toll fanden.
Ich habe nicht geschrieben, dass es einen Zusammenhang zwischen der von dem jungen Mann geäußerten Bewunderung für Hitler und dem SCAF gibt.
Ich habe lediglich meine persönliche Begegnung mit einem Offizier dargestellt.
leider muss ich feststellen , dass dieses thema in arabischesraum und insbesondere in ägypten falsch versatanden wird, weil viele von uns finded, dass hitler ein held wäre, aber vorallem finde ich , dass es keine genügend illustration und erklärung über hiters geschichte gibt , besonders im arabischesraum , also , ich schläge vor , dass man viel bücher lesen muss , um diese falsche erfährung über hitler zu korrigieren
ich hoffe, sie können ein so interessanter artikel weiterhin schreiben
Ich finde es interessant, dass bei den Lesern offenbar "das Hitler-Thema" auf besonders großes Interesse stößt. Das war ja nur ein Aspekt meiner Begegnung.
Es ist natürlich ein wichtiges Thema, vor allem aber sehr komplex... Ich denke, man muss das von Grund auf anders angehen, in den Schulbüchern beispielsweise, oder indem man überhaupt Werte diskutiert.