
Donnerstag, 21. Juni 2018
Wenn das Feuer um sich greift

Im Roman werden zwei Zeitstränge verfolgt, die in ihrer Gegenüberstellung und Bedingtheit ihre gesamte Eindrücklichkeit entfalten. Es gibt eine „Zeit vor Har.“ und eine „Zeit nach Har.“. Diese Einteilung des Narratives, ergibt sich aus der textimmanenten Lebensbetrachtung der Figuren. Dieser Aufbau trägt elementar zu dem dichten Charaktergefüge bei, das den Text so lesenswert macht.
Papa, Mama, Kind
Die „Zeit vor Har.“ besteht im Wesentlichen in der Schilderung der nahezu perfekten Kindheit des Ich-Erzählers. Sein Vater ist Unternehmer und ermöglicht der Familie ein sorgenfreies Leben. Er kauft teure und vor allem schnelle Autos, und dem Sohn so viele Sammelbilder für sein Fußballheft, bis wirklich jeder Spieler der Saison in diesem vertreten ist. Die Mutter muss nicht arbeiten, und kann sich voll und ganz der Familie und dem Haushalt widmen. Der gute Braten am Abend wird zum Symbol dieser vermeintlichen Familienidylle.
In seiner kindlichen Position hinterfragt der Erzähler diese Konstellation nicht. Ljubic bleibt dem jeweiligen Status und dem damit verbundenen Blickwickel des Erzählers, seines berichtenden Protagonisten, treu. Für das Kind sind die Eltern keine Personen mit eigenen Wünschen oder Bedürfnissen, es sieht lediglich Mama und Papa in ihnen. Die Leserin kann sich diesem einnehmenden Blick nur schwer entziehen.
In dieser konsequenten Erzählweise entsteht ein dichtes und vor allem authentisches Narrativ, das die Leserin direkt in das Geschehen involviert. Wir sitzen mit der Familie am Küchentisch, durchblättern das beschriebene Sammelhaft und erleben den Geschwindigkeitsrausch des Vaters mit. Man wird Teil der Familie – und der Tragödie, die diese ereilen soll.
So manche Andeutung, die das Schicksal bereits auf den ersten Seiten unumgänglich werden lässt, hätte es dazu allerdings nicht gebraucht.
Zwischen Idealismus und Ignoranz
Im Haus dieser vermeintlich glücklichen Familie gibt es eine Einliegerwohnung, die – da man doch selbst genug hat – dann und wann kostengünstig an Studenten untervermietet wird. Im Laufe der Erzählung zieht der Aktivist Hartmut Gründler in diese Wohnung und damit auch in das Leben der Familie ein. Langsam, aber sicher setzt damit der zweite Zeitstrang, die Zeit nach und vorerst mit Hartmut, ein.
Hartmut engagiert sich gegen Atomkraft, ernährt sich vegetarisch und setzt sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Mit seinen Ideen, seinem Idealismus und insbesondere seiner Konsequenz imponiert er der Mutter des Ich-Erzählers. Und mit der zunehmenden Annäherung der Mutter an Hartmut setzt die Distanzierung zur Familie ein.
Insbesondere der Vater bekommt diese zu spüren, der jedoch den Schweinebraten nicht missen will und die Atomkraft weiterhin befürwortet. Der Vater wird zum Kontrastbild, zum Gegenteil Hartmuts und damit zum eigentlichen Feindbild. Er versucht weder Verständnis zu entwickeln noch die Ansichten seiner Frau zu verstehen. Das Unverständnis provoziert, die Fronten verhärten. Viel Raum scheint es hier zwischen Idealismus und Ignoranz nicht mehr zu geben.
In der Familienkonstellation des Ich-Erzählers treffen damit zwei Kräfte aufeinander, die in ihrer jeweiligen Konsequenz eine destruktive Kraft entwickeln.
Schließlich stehen also alle auftretenden Personen in Flammen. Die Mutter verlässt den Vater, welcher kurz danach auf ungeklärte Weise – war es ein Unfall, oder doch Suizid? – stirbt. Hartmut zündet sich an und erleidet tödliche Verletzungen. Dieses Erbe zu bewahren, wird zum alleinigen Lebensinhalt der Mutter. Und der Ich-Erzähler steht irgendwo dazwischen, im Kampf nicht auch zu verbrennen.
Wofür es sich zu kämpfen lohnt
„Ein Mensch brennt“ ist ein Buch über den uneingeschränkten Einsatz für eine Idee entgegen aller Lebensumstände. Die Radikalität, mit der Hartmut seine Ziele verfolgt – egal, ob durch einen Hungerstreik oder die Präsenz auf Demonstrationen –, und das Feuer, mit welchem er für diese brennt, gehen Stück für Stück auch auf die Mutter über. Diese findet neuen Lebenssinn außerhalb der heimischen Küche. Ihre Selbstermächtigung, ihre Emanzipation werden so untrennbar an Hartmuts Engagement geknüpft.
Aber „Ein Mensch brennt“ ist auch ein Buch über das Vergessen – das Vergessen des Lebens und der Menschen, die uns in diesem begleiten – sowie über die Ziele, die wir verfolgen. Und schließlich gleichermaßen über die Unmöglichkeit des Vergessens. Denn für den Ich-Erzähler wird Hartmut in seiner biographischen Relevanz zur dominieren Lebensmatrix. Er versucht diese zu verlassen, sucht Abstand und sucht am Ende doch wieder nur Antworten. Einige erhält er noch kurz vor dem Tod seiner Mutter, andere wird er womöglich nie finden.
Ljubic strickt um die realhistorische Person Hartmut Gründler einen klugen Text, der sich fließend über die Seiten bewegt und Fiktion und Realität eins werden lässt. Diese Verwobenheit initiiert eine intensive Selbstreflexion, die sich über die Lektüre hinaus bewegt: Wofür wollen wir kämpfen, wofür wollen wir leben und wieviel sind wir dafür zu geben bereit?
Papa, Mama, Kind
Die „Zeit vor Har.“ besteht im Wesentlichen in der Schilderung der nahezu perfekten Kindheit des Ich-Erzählers. Sein Vater ist Unternehmer und ermöglicht der Familie ein sorgenfreies Leben. Er kauft teure und vor allem schnelle Autos, und dem Sohn so viele Sammelbilder für sein Fußballheft, bis wirklich jeder Spieler der Saison in diesem vertreten ist. Die Mutter muss nicht arbeiten, und kann sich voll und ganz der Familie und dem Haushalt widmen. Der gute Braten am Abend wird zum Symbol dieser vermeintlichen Familienidylle.
In seiner kindlichen Position hinterfragt der Erzähler diese Konstellation nicht. Ljubic bleibt dem jeweiligen Status und dem damit verbundenen Blickwickel des Erzählers, seines berichtenden Protagonisten, treu. Für das Kind sind die Eltern keine Personen mit eigenen Wünschen oder Bedürfnissen, es sieht lediglich Mama und Papa in ihnen. Die Leserin kann sich diesem einnehmenden Blick nur schwer entziehen.
In dieser konsequenten Erzählweise entsteht ein dichtes und vor allem authentisches Narrativ, das die Leserin direkt in das Geschehen involviert. Wir sitzen mit der Familie am Küchentisch, durchblättern das beschriebene Sammelhaft und erleben den Geschwindigkeitsrausch des Vaters mit. Man wird Teil der Familie – und der Tragödie, die diese ereilen soll.
So manche Andeutung, die das Schicksal bereits auf den ersten Seiten unumgänglich werden lässt, hätte es dazu allerdings nicht gebraucht.
Zwischen Idealismus und Ignoranz
Im Haus dieser vermeintlich glücklichen Familie gibt es eine Einliegerwohnung, die – da man doch selbst genug hat – dann und wann kostengünstig an Studenten untervermietet wird. Im Laufe der Erzählung zieht der Aktivist Hartmut Gründler in diese Wohnung und damit auch in das Leben der Familie ein. Langsam, aber sicher setzt damit der zweite Zeitstrang, die Zeit nach und vorerst mit Hartmut, ein.
Hartmut engagiert sich gegen Atomkraft, ernährt sich vegetarisch und setzt sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Mit seinen Ideen, seinem Idealismus und insbesondere seiner Konsequenz imponiert er der Mutter des Ich-Erzählers. Und mit der zunehmenden Annäherung der Mutter an Hartmut setzt die Distanzierung zur Familie ein.
Insbesondere der Vater bekommt diese zu spüren, der jedoch den Schweinebraten nicht missen will und die Atomkraft weiterhin befürwortet. Der Vater wird zum Kontrastbild, zum Gegenteil Hartmuts und damit zum eigentlichen Feindbild. Er versucht weder Verständnis zu entwickeln noch die Ansichten seiner Frau zu verstehen. Das Unverständnis provoziert, die Fronten verhärten. Viel Raum scheint es hier zwischen Idealismus und Ignoranz nicht mehr zu geben.
In der Familienkonstellation des Ich-Erzählers treffen damit zwei Kräfte aufeinander, die in ihrer jeweiligen Konsequenz eine destruktive Kraft entwickeln.
Schließlich stehen also alle auftretenden Personen in Flammen. Die Mutter verlässt den Vater, welcher kurz danach auf ungeklärte Weise – war es ein Unfall, oder doch Suizid? – stirbt. Hartmut zündet sich an und erleidet tödliche Verletzungen. Dieses Erbe zu bewahren, wird zum alleinigen Lebensinhalt der Mutter. Und der Ich-Erzähler steht irgendwo dazwischen, im Kampf nicht auch zu verbrennen.
Wofür es sich zu kämpfen lohnt
„Ein Mensch brennt“ ist ein Buch über den uneingeschränkten Einsatz für eine Idee entgegen aller Lebensumstände. Die Radikalität, mit der Hartmut seine Ziele verfolgt – egal, ob durch einen Hungerstreik oder die Präsenz auf Demonstrationen –, und das Feuer, mit welchem er für diese brennt, gehen Stück für Stück auch auf die Mutter über. Diese findet neuen Lebenssinn außerhalb der heimischen Küche. Ihre Selbstermächtigung, ihre Emanzipation werden so untrennbar an Hartmuts Engagement geknüpft.
Aber „Ein Mensch brennt“ ist auch ein Buch über das Vergessen – das Vergessen des Lebens und der Menschen, die uns in diesem begleiten – sowie über die Ziele, die wir verfolgen. Und schließlich gleichermaßen über die Unmöglichkeit des Vergessens. Denn für den Ich-Erzähler wird Hartmut in seiner biographischen Relevanz zur dominieren Lebensmatrix. Er versucht diese zu verlassen, sucht Abstand und sucht am Ende doch wieder nur Antworten. Einige erhält er noch kurz vor dem Tod seiner Mutter, andere wird er womöglich nie finden.
Ljubic strickt um die realhistorische Person Hartmut Gründler einen klugen Text, der sich fließend über die Seiten bewegt und Fiktion und Realität eins werden lässt. Diese Verwobenheit initiiert eine intensive Selbstreflexion, die sich über die Lektüre hinaus bewegt: Wofür wollen wir kämpfen, wofür wollen wir leben und wieviel sind wir dafür zu geben bereit?
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