- Die Schweizer haben den Bau von Minaretten verboten, die Skyline von Zürich besteht aber aus den Kuppeln von Kirchen, die sich in nichts von diesen unterscheiden (und, wie man mir sagte, gerade eben von den Minaretten inspiriert sind). Sie unterscheiden sich nicht einmal, was den Klang anbelangt, denn mit ihren glockenförmigen Muezzins machen sie die ganze Zeit lang Krach.
- Ich bin zwar überzeugt, dass es keine reichere Stadt als diese geben kann, dennoch wurde mir dieses Sprichwort aus Basel zugetragen: „In Zürich zeigt man das Geld, in Basel hat man es.“
- Meine Internetverbindung war unzuverlässig. Die Wettervorhersage war unzuverlässig. Anmerkung für die Defätisten, die glauben, so was passiere nur in der Dritten Welt.

Hier auch zu haben: Hundekot auf den Bürgersteigen von Zürich. Auffallend, wie die Städte sich bemühen, Buenos Aires zu ähneln.
- Ich habe den Test gemacht, eine Züricher Straße auf Google Earth anzusehen und dann hinzugehen. Die Hypothese war, dass es keinen Unterschied geben würde – und tatsächlich gab es keinen. Aber vielleicht gilt der Test ja für viele Städte.

Spanisch scheint hierzulande ziemlich in Mode zu sein.

Nahe der Langstrasse.
- Ich wollte nach Davos fahren, um mir die Überreste des Sanatoriums anzusehen, wo Der Zauberberg spielt, fand aber mit ehrlicher Empörung heraus, dass sie von einem Investor gekauft und zu einem Luxushotel gemacht worden waren. Kann es sein, dass die Schweizer, die so sehr auf die Erhaltung ihrer Wohnstätten bedacht sind – das Landesmuseum in Zürich zeigt zum Beispiel Zimmer aus verschiedenen Jahrhunderten – nicht darauf gekommen sind, einen derart wichtigen literarischen Schauplatz zu bewahren? Wenn ich Schweizer wäre, soll heißen, wenn ich reich wäre und nichts zu tun hätte, würde ich mein Leben der Rekonstruktion des Sanatoriums widmen.
- Im momentanen Schweizer Hit, den das Fernsehen als Hymne für die Qualifizierung der „Nati“ – der Nationalmannschaft – zur Europameisterschaft 2012 benutzt, heißt es im Refrain: „Heute lasse ich die Welt so wie sie ist“. Täglich läuft das im Fernsehen und im Radio. Ich stelle mir alle Schweizer vor, wie sie tagtäglich singen, dass man die Dinge heute besser so lässt, wie sie sind, alles ist so schön, warum etwas ändern? Wann wird der Hit kommen, in dem es heißt: „Heute hole ich mir all das Geld von den Banken und gebe es den Armen zurück, damit die Welt nicht so bleibt, wie sie ist“?
- Zu den Eigenschaften des Schweizerdeutsch gehört es, die letzte Silbe bestimmter Worte zu verschlucken. Ich weiß nicht, was die Katalanen mit den Silben machen würden, die auch sie verschlucken, die Schweizer jedoch sparen sie sicher ganz bewusst und legen sie gegen Zinsen auf eine Bank, nicht um sie später zu verbrauchen, sondern für alle Fälle, als sprachliche Reserve.

Das Schaufenster einer Apotheke. Oben die suggestive Frage nach der Pinkelhäufigkeit. Unten, ebenso suggestiv außerhalb des Bildausschnitts, das Mittel dagegen.
- Mein Verdacht, dass es in Zürich viele Brasilianer gibt, bestätigte sich, als ich im Supermarkt inmitten der Cola-Getränke auf Guaraná stieß. Es gibt auch Dulce de leche, aber in der Abteilung für exotische Lebensmittel.
- Ziemlich verblüfft haben mich diese Lotterie-Werbungen, die mir beachtenswert sexistisch vorkommen. Sie beleidigen die Frauen, die sich nur für Millionäre zu interessieren scheinen, vor allem aber uns Männer, die wir uns nur für Schlampen zu interessieren scheinen. Die Vorstellung, dass man sich als Arbeiter nie eine schöne Frau verdienen kann, gibt ebenfalls zu denken.

Die Schweizer sind große Fans von Volksentscheiden. Sie machen über alles Volksentscheide, auch über Dinge, bei denen es zweifelhaft ist, ob es wirklich angebracht ist, sie der einfachen Mehrheit zu unterwerfen. In diesem Fall ging es um einen Volksentscheid über den Bau eines künstlerischen Projekts. Hier die Plakate dafür und dagegen. Es gewann das Nein.
- Ich habe Wickeltische auf der Herrentoilette gesehen. Wohlan. Es gibt auch Autowerkstätten, wo man Geräte und Werkzeuge mieten kann, um selbst Hand anzulegen.
- Nachdem ich Zürich kennengelernt habe, werden mir, so fürchte ich, alle Städte wie in der Dritten Welt vorkommen. Ich war in Wien, was mir zwar sehr gefallen hat, aber doch den Eindruck hinterließ, ein bisschen schmutzig zu sein, die Autos alt und die Leute liefen sehr wild durcheinander.

Ein als Mozart verkleideter Wiener in einer Pause. Rund um die Oper ist das eine Plage.

Er wird sogar in Wien gelesen. Das heißt Schneid haben.
- Ich war auch in München, wo ich mitten ins Oktoberfest geriet. Der Journalist, der mich am Bahnhof abholen kam, trug die klassische bayrische Lederhose, was mir wenig seriös schien.

Eins der 16 Zelte, wo zum Klang der Schlager – die nur in den Filmen des großen Andreas Dresen erträglich sind – gesoffen und geschmaust wird.

Höchst subtile Wurstwerbung.

Eine der Vergnügungen auf dem Oktoberfest. Die niedrigste Stufe ist Schlappschwanz. Klein darunter steht erklärend „Damenhöhe“.
- Auch wenn die Schweiz ein ziemlich fortschrittliches Land ist, ist das Konzept des Hotdogs anscheinend noch nicht bis hierher vorgedrungen. Die Leute nehmen die Wurst in die eine Hand und das Brot in die andere und beißen dann abwechselnd hinein. Mehr als einmal war ich versucht, auf einen dieser Wurst-Brot-Esser zuzugehen und ihm die Vorteile darzulegen, die es hat, die fleischerne Rolle in das getreidige Rund zu stecken, doch ich nahm an, dass sie diesen praktischen Bund schon in irgendeinem Film gesehen haben mussten und, so sie ihn nicht übernahmen, wohl ihre Gründe dafür hatten. Mehr noch, bei näherer Betrachtung liegt vielleicht darin - sich mit niemandem zusammenzutun, jedes auf seiner Seite zu lassen - das Geheimnis ihres Erfolgs.

Eine Bäckerei, die es seit 1626 gibt – fast doppelt so alt wie unser Land, das gerade mit so viel Getöse seinen Jahrestag feiert. Das Haus selbst wurde zu einem Zeitpunkt erbaut, als Kolumbus noch nicht mal geboren war.

Verbieten ist verboten, steht auf der Wand. Sandras Fans kennen keine Grenzen.
Was ich nach meiner Abreise aus Zürich vermissen werde:
- Die Stille. Und wenn sie plötzlich durch ein schreiendes Kind oder jemanden, der den Rasen mäht, unterbrochen wird, muss man nur die Doppelglasfenster schließen, damit das Zimmer zu einer kleinen Schweiz innerhalb der Schweiz wird, neutral von aller Neutralität. (In diesem Sinn kommt es mir fast komisch vor, dass Niccolò, der Besitzer dieser Wohnung, zum Schreiben seines nächsten Drehbuchs in die Berge gegangen ist, als wäre die Außenwelt hier zu chaotisch, um einer kreativen Tätigkeit nachzugehen. Vielleicht sollte er das Gegenteil versuchen und eine Zeitlang nach Buenos Aires gehen, ein Weilchen dort und seine Wohnung wird ihm wie der Gipfel des Everest vorkommen.)
- Die Bibliotheken. Von ganzem Herzen werde ich sie vermissen. Auch wenn die Zentral-Bibliothek eher einem Atombunker für Bücher ähnelt (alle auf endlosen beweglichen Regalen aneinandergereiht, die mit einem Griff verschoben werden können, und zwischen denen man, wenn man nicht aufpasst, zerquetscht werden kann, der Länge oder besser gesagt der Tiefe nach in vier weißgestrichenen und von Neonlicht erleuchteten Kellerräumen, ohne weitere Ordnung als die der Zahlen oder größeren Reiz als den, an ihrem Platz zu stehen), trotzdem werde ich sie bis zu den Tränen vermissen. Es überraschte mich angenehm, in den Bibliotheken E-Readers zu sehen, nicht wie eine Drohung, sondern als Werkzeug, ein Buch mehr. Ich hoffe, das bedeutet, dass bald alle Bücher digitalisiert sein werden und man sie zuhause lesen kann. Von allem, was ich mir vorstellen kann, kommt das dem Paradies am nächsten.
- Die Filmsammlung von Niccolò, dem Hausherrn, und auch Niccolò selbst, denn auch wenn ich ihn nicht kenne, so sind doch überall Fotos von ihm. Sogar auf dem Mousepad.
- Die Straßenbahn. Und beim Schichtwechsel verabschiedet sich der scheidende Fahrer von allen Passagieren über den Lautsprecher und wünscht ihnen einen schönen Tag. Einmal antwortete der hinter mir mit „Danke gleichfalls“, und ich glaube nicht, dass das ein Witz war.

Das Gelb an den Fußgängerampeln.
- Die Victorinox-Taschenmesser, wenn die kaputt sind, die ich mitzunehmen gedenke (ich bin in der Hoffnung zu einer Victorinox-Ausstellung gegangen, darüber höchst interessante Dinge schreiben zu können, doch tatsächlich gab es nichts Besonderes zu sagen. Das größte Taschenmesser der Welt [mit über 350 Werkzeugchen] wurde gezeigt und man konnte sich vor Ort selbst eins zusammenstellen).
- „Wer wird Millionär?“ im Fernsehen, ein Frage- und Antwortspiel, wo die Leute hingehen, um Geld zu gewinnen, obwohl sie schon mehr als genug haben, und deshalb gibt es, wenn der Showmaster fragt, was sie mit dem Geld machen wollen, nie Tiefschläge à la meine Kinder auf eine Privatschule schicken oder meiner Mutter eine Operation bezahlen, sondern nur Schönes, wie sich einen Whirlpool kaufen oder auf Reisen gehen.
- Die Geldscheine, die sehr bunt sind (und wert, was sie wert zu sein vorgeben, Monat für Monat).
- Das Toilettenpapier, so weich, dass man sich am liebsten schon vor dem Kacken saubermachen würde.

Die Katzentreppen (ich riskiere die Behauptung, dass diese Locke, die von dem offenen Fenster hinunterführt, eine Katzentreppe ist, kann aber auch falsch liegen).
- Der Supermarkt Coop, genauer gesagt die Käseabteilung. (Eigentlich sollte man bei Migros kaufen, der ist nicht nur ein bisschen billiger, sondern rein schweizerisch, der Gründer ist eine Legende und seine Stiftung tut viel für die Kultur. Aber nun gut, ich kofe lieber bei Coop.) (Einmal bin ich zu Lidl gegangen, einem billigen Supermarkt aus Deutschland – wenn auch nicht so billig wie Aldi, der König der Billigsupermärkte in Deutschland ... der Besitzer ist einer der reichsten Männer der Welt –, es war eine schreckliche Erfahrung. Ich bedaure es für die Schweizer, dass die deutsche Vorstellung vom Sparen am Essen bis in ihr lukullisches Land vorgedrungen ist.)
- Die Bürli, Brötchen mit dicker Kruste, nichts Besonderes, jedoch sehr lecker, und außerdem mit diesem Namen, Bürli, der gleich Appetit macht.
- Die Ausflüge in die umliegenden Berge.

Der Baum der Nicht-Erkenntnis, zu dem ich täglich pilgere.

Schöne Ansichten vom Baum aus.
Übersetzung: Silke Kleemann