
Ich habe aber den Weg in die andere Richtung genommen und zwar bergauf an dem Friedhof. An dem ersten Abend, als ich nur die Hälfte der Strecke geschafft habe, dachte ich, dass mein Herz aus der Brust springen wird. In Vilnius fahre ich immer Auto, da ich 12 Kilometer von der Arbeit entfernt wohne, so eine Strecke zu Fuß würde zu viel Zeit kosten. Ich musste also eine Pause machen. Ich nahm den Pfad in den sehr alten Friedhof aus dem XIX. Jahrhundert. Da ruhen Adlige und Wissenschaftler der Universität Bonn. Die Glocken der Kirchen haben angefangen zu läuten. Ihr sanftes Klingen schlich über den Friedhof und da habe ich gedacht, dass so ein Ort nicht umsonst der Ewigkeit gewidmet ist. Kurz ausgeruht, habe ich mich entschlossen mich zu überwinden und ging weiter bergauf. Das hat sich gelohnt. Vor meinen Augen öffnete sich das schöne Panorama.
Am nächsten Tag habe ich den Fitness-Tracker in meinem Handy angemacht. Ich habe mir gedacht, dass ich den Weg zur Arbeit zu Fuß schaffen kann. Ich nahm die Karte mit und los ging´s! Das Programm zeigte, dass ich 3,5 km gegangen bin. Danach habe ich jeden Tag nach einem neuen Weg zur Arbeit, ins Zentrum der Stadt und nach Hause ausgesucht. Ich hatte plötzlich den totalen Kick.
Ich habe mich entschlossen jeden Tag nicht weniger als 7 km zu gehen. Das sind 10.000 Schritte. Die Nordic Walking Stöcke brauchte ich nicht mehr, weil ich jeden Tag sowieso mit den “gewonnenen“ 8, 10 oder sogar 12 km nach Hause kam. Ich hätte die Stadt wohl nie so kennengelernt, wenn ich den Bus genommen hätte. Ich hätte so viele Sachen nicht bemerkt. Zum Beispiel, die deutsche Liebe zum Fußball, wenn sie in die Kneipen, wo Fußball gezeigt wird, stürmen. Oder wie einer einem Fahrradbesitzer zeigen wollte, dass sein Rad nicht richtig abgestellt ist. Ich bin grade vorbeigegangen, als ein angeduselter Fußballfan zu ziemlich später Stunde sein Fahrrad herunterholen wollte. Am nächsten Morgen habe ich verstanden, dass das ihm doch nicht gelungen ist.

Ich habe gesehen, dass die Unterrichte der Universität Bonn auch in dem Schlosspalast stattfinden.

Am Tage, von der Seite des botanischen Gartens, sieht das gar nicht nach Uni aus, nur nach dem Schloss.

Übrigens, der botanische Garten ist sehr schön. Hier werden die Pflanzen in verschiedene Zonen geteilt: da ist ein Wald aus der Dinosaurierzeit, die Pflanzen, die sie gefressen haben; dort ist auch ein litauischer Fichtenwald; und da ein Kaffeebaum mit reifen Früchten. In der Orangerie – alles aus den heißen Klimazonen. Selbst die Deutschen machen Witze, dass es reicht, hier Fotos zu machen, um den Eindruck von Urlaub in Mexiko, Brasilien oder Thailand machen.

Das Wellness-Programm wurde allmählich zu einem Erkundungs-Programm. Ich habe entdeckt, dass nicht nur Litauen “Marias Erde” ist, sondern auch Bonn. Die meisten Häuser sind mit Maria-Skulpturen geschmückt. Aber Beethovens Haus wird von einem dunkelhäutigen Mann geschmückt.
Selbstverständlich ist die schönste Maria aber in Köln – über dem Eingang in den Dom. In dem Kölner Dom hat mich besonders das Bleiglasfenster von Gerhard Richter, das Navid Kermani in seinem Buch beschrieben hatte, interessiert. N. Kermani war in Litauen, ich habe es zum Treffen mit dem Schriftsteller nicht geschafft, aber ich habe das Radiointerview mit ihm gehört. Es lohnt sich wirklich zu sehen, wie das Licht durch das Bleiglasfenster fliesst. Er ist ziemlich neu – erst seit dem Jahr 2007.

Aber Köln, mit Ausnahme von dem Dom, ist nicht so heilig wie Bonn. So viele Geschäfte und nach dem Krieg neu gebaute Häuser. Damals war es eine beeindruckende Stadt. Sehr viele Springbrunnen haben mich überrascht. Sogar Schneewitchen mit ihren Zwergen hat einen Springbrunnen.

In Bonn habe ich eine Straße gefunden, die man im Frühling besuchen sollte, da hier so viele Kirschblütenbäume wachsen. In anderen Jahreszeiten gehört die Straße ihren alten Einwohnern. Hier gibt es viele kleine Kaffees, Stammkneipen genannt, wo sich die Ansässigen immer treffen. Damit sie nicht zu sehr angeduselt am nächsten Arbeitstag sind, trinken sie Bier mit Sprite. Ich probierte, aber das war für mich schmackhaft.
Viele Touristen nehmen den Fußgängerweg nicht weit von der Stad, im Siebengebirgen. Sie fahren mit dem Schiff zum Königswinter und laufen hoch zum Drachenburg. Die Rentner fahren oft mit dem Zug für Kinder.

Das ganze Rheinufer ist sehr schön. Hier laufen und spazieren viele Menschen. Auch wenn ich mal wegen Überstunden im Büro geblieben bin, kam ich immer zu Fuß nach Hause. Das wurde zur Gewohnheit. Und die Stadt gehört mir.