Ich bleibe vor einem Gemälde stehen, dass Charlotte Eckerman zeigt, Tochter einer schwedischen Autorin, Journalistin und Herausgeberin, Catharina Ahlgren, geboren 1734, gestorben um 1800, Frauenrechtlerin, Poetin der Aufklärung, Übersetzerin Wielands, die nach Finnland emigriert, zwei mal geschieden wurde und vier Kinder hatte. Sie stritt schon früh für Demokratie und Gleichbehandlung der Geschlechter und beharrte darauf, dass Freundschaft zwischen Mann und Frau nur so gedeihen könne. Charlotte, ihre berühmteste Tochter, lese ich, war Opernsängerin und Schauspielerin, wurde aber wohl vor allem deshalb bekannt, weil sie die Kurtisane des Bruders des schwedischen Königs Gustavs des Dritten war, unter dessen Regentschaft Adelsoligarchen abgesetzt wurden und wirtschaftlicher Aufschwung möglich wurde. Gustav stärkte Stände und Gewerbe, sorgte für Hospitäler und Waisenhäuser, richtete Girobanken ein, und behielt sich vor, als einziger die Todesstrafe zu verhängen. Ein Recht, dass er so einer zweifelhaften Judikative entriss und selbst nie anwandte. Er gründete die schwedische Akademie und stützte die Künste, insbesondere die Oper, wo er auch Charlotte kennenlernte und förderte. Charlotte feierte vor allem aufgrund der dramatischen Sprechrollen große Erfolge, schien sich aber für ihren König und Gönner nicht nur nicht sonderlich zu interessieren, sondern machte sich öffentlich über seine Ideale lustig und fing etwas mit seinem Bruder an. Woraufhin Gustav ihren Vertrag nicht verlängert und sie nach Paris ging. Dort lebte sie als Kurtisane unter dem Mädchennamen ihrer Mutter als Madame Ahlgren, wird jedoch von Gustav rehabilitiert, kann nach Schweden zurückkehren und als Spionin arbeiten. Sie stirbt mit einunddreißig Jahren bei einer Magnetisierung.
Ein Kult, der mit Swedenborg und Mesmer sehr bekannt wurde, sie wollten damit psychische Blockaden lösen, oder mit der Geisterwelt in Verbindung treten.
Ich schaue auf das Bildnis Charlottes im Palais Sinebrychoff und frage mich, wie man durch Magnetisierung stirbt? Und wie es wohl war für eine Frau, wenn die Mutter für die Rechte des eigenen Geschlechts kämpfte und man selbst doch erfahren musste, wie sehr man noch einem männlichen Dirigat ausgeliefert war.
Charlotte schaut wissend auf ihre Geschlechtsgenossin, die angeschlagen nach Finnland kam, körperlich, psychisch und mit einem Mal nun Kraft schöpft aus einem Bildnis im Herrschaftshaus eines Bierbarons, das sie aus wässrigblauen Augen durch die Jahrhunderte hinweg anschaut, mit leichtem Doppelkinn, einem freundlichen, aber nicht unspöttischen Zug um den Mund und einem sehr tiefen Dekolleté. Und ich empfinde Solidarität, wie sie Charlottes Mutter Catharina allen Frauen gegen männliche Vormundschaft empfahl und ich summe leicht beschwingt beim Hinausgehen: Women of the World take over und schlendere elektrisiert den Bulevardi entlang, an einem lichten Herbsttag in Helsinki.
T. Arja