Elf. Stein
Eilf! Eine böse Zahl ...
Zwölf Zeichen hat der Tierkreis; Fünf und Sieben,
Die heil'gen Zahlen, liegen in der Zwölfe.
(Schiller, Die Piccolomini)


Es ist schon wieder hell. Elmar starrt auf die Stämme mit der prächtigen weißen Rinde. Richtiger Trübsinn will nicht aufkommen. Weil er nichts anderes zu tun hat, streichelt er die Birkenrinde; sie schmeichelt seinen Fingern. Besonders dieser eine Stamm zieht seine Finger immer wieder an. Zupacken kann er damit nicht mehr. Alle Gelenke werden ihm im Fahrtwind steif. Dafür scheint der Stamm sich zu bewegen. Wahrhaftig, es kommt Leben in ihn. Elmar sieht einen menschlichen Umriss, ein Gesicht das sich bildet, die Züge einer Frau. Vorgänge wie dieser können Elmar nicht mehr erschrecken. Außerdem erkennt er bald, , dass diese Frau ganz anders ist als Hel. Die hier ist vollkommen hell, ihr Haar leuchtet fast weiß im Morgenlicht und sie trägt funkelnden Schmuck, von dem Elmar gern glauben will, dass er echt ist. Ihre Augen sind sehr klar, trotz ihres hellen Grüns wirken sie tief. An ihrer Seite trägt sie ein Messer, dass sie zwischendurch auch zückt und damit vor ihm rum fuchtelt, ohne dass er sich bedroht fühlen würde. Sie kommt aus einem alten Räubergeschlecht erzählt sie, Räuber von der Sorte Robin Hoods, die Reiche ärgerten und Armen halfen. Bis heute sind die Menschen aus ihrer Gegend wild und angeblich schnell mit dem Messer bei der Hand. Das könnte ein Ausweg sein, denkt Elmar, sich gesellschaftlich zu engagieren. Nur hat er seinen Weg schon eingeschlagen, und es gibt kein Zurück. Auch würde es ihm Wildheit mangeln. Aber diese funkelnde, helle und schöne Frau schaut er gern an. Elmar lässt sich von ihr seine letzte empfangene Kurznachricht übersetzen. „Was kann der Wind dem Stein schon anhaben.“ – Was kann er den Bäumen anhaben? Schon richtig, manchmal reißt er welche aus. Vollkommen beruhigt schläft Elmar ein.
Als ein erneutes Handy-Möpen ihn weckt, ist er allein. Nicht nur allein, er liegt auch nicht mehr auf dem Zug. Elmar befindet sich auf einer Wiese, nein, das ist keine Wiese, eher ein Park. Geräusche von Autos und Bussen dringen an sein Ohr, als er sich umschaut, sieht er Häuser. Alte Häuser, die in Blöcken errichtet sind. Überall schaut der Fels aus der Erde, mal sind es kleine Stücke, mal halbe Berge, die man nicht vollständig weggeräumt hat oder es nicht wollte, um zeigen, wie fest die Stadt gegründet ist.
Allmählich findet Elmar sich zurecht. Er ist nicht mehr, wer er war. Er ist nicht mehr, was er war. Ein Felsen ist aus ihm geworden, ein Stück Natur, ein Stück Grund. Auf dem Weg hierher hat er sein letztes Werk in die Welt entlassen, ohne zu wissen, um was es sich handelt. Wie ein Huhn hat er sein Ei gelegt und ist traumwandlerisch gackernd vom Nest weggegangen. Ob jemand es finden wird? Es nicht wirklich wichtig ... Noch etwas war ... sein Handy ... eine letzte Nachricht, bevor auch dieses Hilfsgerät sich seinem Zustand anverwandelt hat: „Du hast mich nicht gemacht. Hel.“
Mitten in Helsinki steht auf einem Felsrücken ein unbeaufsichtigtes Gepäckstück. Es könnte eine Kofferbombe sein – nur wen sollte sie erwischen, die nächste belebte Straße liegt hundert Meter entfernt. Irgendwas Unheimliches hat das Ding. Es tickt nicht darin, aber es wackelt. Der Reißverschluss geht auf, ein Stück und noch ein Stück weit. Heraus schaut ein Büschel blonder Haare, dann ein Kopf, schließlich ein ganzer kleiner Körper. Das ist Matka, die da auf den Rasen springt. Ihr folgen Nokia, Wiki und Peedia, die beiden Karhu-Brüder, Fünf bis sieben Kinder kommen hervor, fassen sich bei den Händen, klettern auf dem Felsen herum und laufen schließlich lachend zum nächsten Spielplatz. Wie ausgespuckt bleibt vor dem offenen Maul des Gepäckstücks lediglich ein Buch liegen.
Der Wind blättert durch die Morgenröte. Er liest: „Wie man versteinern soll. – Langsam, langsam hart werden wie ein Edelstein – und zuletzt still und zur Freude der Ewigkeit liegen bleiben.“

Comments