Kurz nach der Landung stand ich im Schnee! Der erste für mich dieses Jahr und ich glaube auch für Tampere.
Mit dem Bus weiter bis Alajärvi mitten durch starke Schneefälle (hier hat es einige Tage früher angefangen...) und ich dachte mir: „Super, wenn es jetzt noch anfängt zu frieren, kann ich meine Tonaufnahmen durchführen!“
Es war so, Tag für Tag stieg bzw. fiel die Temperatur in den Minusbereich. Die Villa Nelimarkka liegt relativ nah am dem See von Alajärvi schräg gegenüber des Stadtkerns. Der See und die umliegenden Waldstücke bilden eine Art Abstandshalter. In naher Umgebung der Residency stehen wenige Häuser mit viel Luft und Wald dazwischen. Wunderbar. Die Villa, ursprünglich von Eero Nelimarkka gebaut, steht inmitten altem Baumbestand, zwei Nebengebäuden und vielem Schnee.

Nach der ersten Nacht begann ich mit ausgedehnten Spaziergängen um die Umgebung zu erinnern (weitere Aufenthalte waren 2003, 2004 und 2007). In Alajärvi begann ich das erste Mal 2003 (Winter) auf den Schnee zu hören.
Was gab es jetzt neues?
Was hatte sich seit der Zeit verändert?
Wie habe ich mich verändert?
Diese und viele weitere Fragen durchspülten meinen Kopf und froren allmählich im Körper zu einer Erkenntnis.
Alles! Alles hat sich geändert. Denn wir haben das Jahr 2014, nicht nur 11 Jahre später, nein einfach ein anderer Moment und andere Situationen. Deshalb war ich wieder da.

1 min. 30 sec.
Der See klang noch nicht so, wie ich es mir wünschte, und ich gab diese Vorstellung auch relativ früh wieder auf.
Die Hoffnung blieb vorhanden und sollte sich am 24.12. schon in die Erfüllung meiner Wünsche neu verwandeln. Gegen 21:30 trat ich vor die Tür und lauschte in die Stille. Es war still, relativ. Die meisten Nachbarn saßen im inneren ihrer Häuser miteinander — Bescherung, Geschenke, Kinder...
Ja, erste Kinder waren noch oder wieder draußen (nur hörbar, denn es war ja total dunkel, eigentlich schon ab 16 Uhr); sie probierten ihre Geschenke aus oder wollten/sollten sich ihre Beine vertreten!
Da war es! Der See von überall knallte, brummte und sang es in die klare Sternennacht hinaus!
So früh, sollte ich es also doch schon hören dürfen.
Wie lange klingt der See schon? Mein Geschenk dieses Jahr?
In 15 Minuten war die Technik zusammen gepackt und los ging es an den See. Der Schnee lag ca. 20 cm hoch auf dem Feld und so stieg ich ein und aus dem kalten Schnee Richtung Brummen und Knacken.
Am See angekommen, suchte ich nach einer guten Stelle zum Anfertigen einer Eintrittsstelle. Ich wollte ja mit einem Hydrophon, einem Unterwassermikrofon, das auditive Szenario aufzeichnen. Das wird dann über ein Loch im Eis unter die Wasseroberfläche gebracht und kann ohne große Nebengeräusche diese Klangphänomene aufnehmen.

Audiodatei:
Bis ich soweit war, alles ausgepegelt hatte und mich erwartungsvoll auf meinen Geräte-Koffer setze, war dem See schon fast die Puste ausgegangen. Eine Minute und 30 Sekunden zeichnete ich noch das auf, welches mich nicht nur an dem Heiligen Abend an den See locken sollte. Eigentlich wollte ich eine große Arbeit über den See machen. Bis zu meine Abreise sollte ich ihn so nicht mehr hören können... aber nochmal zurück, eben zu dieser Nacht: 1 min. 30 sec.
Gewohnt bin ich es ja durch die Arbeit mit der akustischen Feldaufnahme, den Field Recordings... man wartet und jagt nach Ergebnissen, die entweder ausbleiben oder sich in kurzer Dauer abbilden. Muss keine Regel sein, ist aber auch keine Ausnahme. Was man lernt, ist den Erwartungen den Rücken zu zeigen und sich auf das Jetzt zu konzentrieren. Wenn dann ein Ereignis festgehalten wurde, sollte die Zufriedenheit folgen. Auch nicht immer. Wie überall.
Laute Stille
Keine lange Zeit — und gerauscht hatte es auch auf der Aufnahme, aber es zeigte mir, wie sehr man sich auf etwas konzentriert oder auch versteifen kann. Davon wollte ich weg und entdeckte was ganz anderes: Die Stille.
Die Stille des Sees,
die Stille des Waldes,
die Stille des Schnees,
die Stille von Alajärvi
und
die Stille in mir.
Wenn ich auf offene Ohren der Nachbarn stieß, erzählte ich mit Händen und Füssen begeistert von dem stillen Alajärvi...zumindest von unserer Seeseite. Das wurde mir nicht nur in dem Moment klarer, sondern erfreute auch die meisten GesprächspartnerInnen. Man lebt also auch ganz gerne hier in einer Art Stille. Nicht alle, klar.
Zwischen dem ersten Weihnachtstag und Neujahr begann ich mehr und weniger die Stille der Umgebung einzufangen. Richtige Stille gibt es nicht, aber eine Stimmung, die still ist, die gibt es eben doch. Wir sprechen dann von einer sogenannten Mikrofon-Stille oder besser: das Gespür für das Leise in der Landschaft und der Umgebung wurde größer und brachte mich zu den kleinsten Hör-Situationen.
Von dem leichten Bewegen der Äste und dem Streicheln der einzelnen Nadeln bis zum Fallen der gefrorenen Schneeflocken hörte ich durch meine Mikrofone und gewann eine große Nähe dazu.
Kontinuierlich erfasste ich die abendlichen Stunden und deren besonderen Abstufungen von stillen Momenten. Mal durchschnitten von einem Schneemobil oder einem Auto, manchmal gestört durch das eigene Bewegen im Schnee, manchmal durch das Herabfallen von großen Schneemassen (das Dach der Villa Nelimarkka ist riesengroß...dementsprechende Dachlawinen bombardierten die Stille).
Es schneite fast jeden zweiten Tag und Grund für das Ausfallen der Seegesänge waren die starken Temperaturschwankungen und der Schnee. Der See war entweder nicht richtig zugefroren oder eben doch, dafür aber mit so viel Schnee bedeckt, das jeder Klang erst durch einen Schalldämpfer musste und oft nicht bis an meine Ohren reichte.

Aber es gab ja nun die Stille, empfand ich sehr reizvoll.
Die Zwischentöne der Stille aufzeichnen.

Schlagwerker
Wenn die Temperaturen stark über 20 Grad in den Minusbereich ragten, und der Wind blies, hörte man meistens nachts, das Trommeln der Waldgeister im Wald. Denn die Bäume schlugen nicht aneinander sondern bewegten sich eher aneinander vorbei und gaben dennoch perkussive Geräusche von sich. Ich vermute, dass die leichten Bewegungen und das Dehnen der festgefrorenen Fasern des Baumes für dieses Schlagen und Entladen verantwortlich sind. Das ganze wurde dann des Öfteren von Schneestürmen maskiert und brachte dann schon fast kompositorische Elemente an die Oberfläche.
Also nahm ich auf, überwachte die Technik und die Bäume. Ohne Bewegung, eingeschneit und festgefroren, manchmal 1 Stunde lang. Wunderbar.
Audiodatei:
Tonttu
Mit der Kälte im Nacken sah ich auf die Rauchsauna, welche Eero seinerzeit auch errichten ließ. Mir war klar, das Ding wird nicht mehr angefeuert, aber vielleicht können wir es akustisch anfeuern und so fragte ich ob wir eine Heiz- und Aufnahmesession für ein kleines Hörstück zur Grundlage für eine Installation verabreden könnten. Und so stand eine Woche später Keijo Lahdenmäki als Sauna-Schamane vor mir....

Wir verbrachten einen Tag damit die Sauna zu befeuern und sprachen (er Finnisch/ ich Englisch) miteinander eine Sprache. Die Wesen von Feuer und Eis, Holz und dem Vergangenen, von dem Mystischen und dem Praktischen. Die Tonttu´s, Saunageister, in unserem Falle gab es einen männlichen und weiblichen, ein Paar also, welches uns zu Seite stand.
Info zur Veranstaltung in Alajärvi
Durch das dialogische Arbeiten entstand später die Klanginstallation SOUNDING SMOKE SAUNA, in welcher man in der stillen Sauna die Klänge des Anfeuerns, des Arbeitens mit Holz und die Geschichten über die Saunageister und Kultur vernehmen konnte.
Im Museumsraum der Villa gab es eine mehrkanalige Arbeit über den Briefwechsel Eero Nelimarkka mit seiner Familie und den Umgebungsgeräuschen der Villa.
Am 17.1.2015 trat ich dann meine Heimfahrt nach Deutschland an und stampfte dabei durch den geschmolzenen Schnee.
Das Ganze und vieles mehr ist unter dem Titel: Die Sprache des Winters noch bis zum 28.2. zu hören und auf Anfrage sicherlich auch im Museum zum Nachhören.
Mein Aufenthalt wurde vom Goethe-Institut Finnland und dem Artist-in-Residency-Programm des Nelimarkka-Museums Alajärvi ermöglicht und unterstützt.
Vielen Dank!
www.lasse-marc-riek.de
www.gruenrekorder.de
www.waldlust.org
Comments