
200 Jahre Unabhängigkeit - was bedeutet das heute? Dieser Frage spürt das interkulturelle Sextett aus Neuseeland, Peru und Deutschland, unter der Leitung des Komponisten Joscha Oetz (Kontrabass), nach. Eine Mischung aus Jazz, Hip Hop und Poesie entführt den Zuhörer auf eine klanglichen Reise durch die peruanische Geschichte. Die Musiker Nils Tegen (Klavier) und Nils Klein (Saxophon), Laura Robles (Cajón), Diego Salvador (Gitarre) und Steve Cournane (Schlagzeug) werden dichterisch begleitet von den peruanischen Poeten Pedro Mo und Miguel Ildefonso.
Mehr Info auf der Homepage des Goethe-Instituts Lima
PRESSE (auf Spanisch):
El Comercio: Jazz y hip hop por América
José María
Jose María fuhr im Bus über La Oroya nach Lima
aus seinen Kopfhörern drang Lou Reed
draußen die nassen Hügel der Regen drang durch das Schussloch in ihn
diese Mischung aus Perfect Day und Regenfall warf Heimweh
auf die glasklare Sicht des Fensters
er erinnerte sich dann wie er als kleiner Junge auf den Fellen schlief
lernte Quechua Lieder trauriger noch als die von Lou
die Hügel mit ihren Bergwerken waren nicht mehr Wohnung der Mythen
Hügel wie Gräber von Huarochirí und Rauch der aus den Schornsteinen quoll
ein Geisterzug fuhr in einen alten Tunnel
der Regen sepiafarbig wie die Saiten einer Harfe kitzelte das Schussloch
da fragte er sich ob es dieses Land in fünfzig Jahren noch gäbe
diese Idee beschämte ihn er sang ein andres Lied etwas von Pastorita
und er hatte kaum begonnen darüber nachzudenken da schlief er ein
die Straße bog sich kauerte ihn zusammen
du, Junge – sprachen sie, geh nach Hause
aber deine Mutter ist gestorben Junge – das ist nicht deine Sprache – doch er sang im Bus:
noch seh ich nicht den Hügel meines Dorfes
ich bin ein Fremder
ich bin eine Seele die den Fluß entlangirrt
ich trage einen Revolver am Gurt
mein Herz, eine Tinya, ein Charango und eine Quena
ach mein Herz riss der Fluss mit sich
und noch seh ich nicht den Hügel meines Dorfes
José María sang auf Quechua mit seiner Gitarre aus Holz aber drinnen
in den Tiefen seiner Stimme zählten die Tanzenden schon ihre Schritte
der Tod – ist eine Wunde die man seit der Geburt mit sich trägt
der Tod – ist eine Seele die begleitet: ein Heimweh, ein Land
der Junge der am Fluss sang rief nach seiner Mutter damit sie ihn rette
dieser Junge fürchtete dass sie ihm sein Herz entrissen
dass in fünfzig Jahren niemand seine Lieder auf Quechua sänge
denn das Land hatte Berge und Ladungen, die in die Häfen gebracht wurden
sie plünderten alles sie nahmen alles mit
diese Landschaft aus ausgehungerten Hunden die den Eingang der Stadt ankündigte
vermischte die so süße Melodie seiner Stimme mit dem lauten Knall einer Kugel
seine Freunde mochten ihn aber der Rest verstand kein Quechua
und wollte es auch nicht verstehen, Eigenheiten der Hochländer – sagten sie
sie die heute seine Bücher herausgeben ihn studieren ihn feiern
José María, der Tag an dem du die Pistole auf Dich richtetest
Spielte jemand seine Geige in den Höhen von Andahuaylas
Sie hofften, du tätest es, um dich zur Sagengestalt zu machen:
die große Kultursage des Landes. Sie die auf deine Lieder spuckten
mit einer Hand ergriffst du die Waffe: ich wurde geboren als du dich verabschiedetest
drei Tage davor sangst du auf einem Treffen mit Freunden
jemand nahm deine Stimme auf und diese Aufnahme war eine Verspottung des Todes
der dir stets nachstellte wurde zu deinem Sieg
über eine Sippe von Intellektuellen
einen Tag davor liefst du zur Haltestelle um CDs von Huaynos zu kaufen
dem Jilguero zuhörend betranken wir uns
wir sehen uns morgen, du wirst geboren ich sterbe, sangst du
du hättest einen Flashback gehabt deine Kindheit unter den Indios
eine Vorlesung in der Uni oder etwas wie ein Ginsterzweig
der dich erst zweifeln lässt
dich dann aber mit unaufhaltsamer Kraft nach vorne treibt
José María, eine Frau singt an meiner Straßenecke
Sie kommt aus Ayacucho, komme ich vor in ihrem Gesang?
Sind meine Gedichte auf der Fläche dieser Lehmhand?
José María, du sangst auf Quechua einen Rock auf dem Grund meines Grabes
dies schreibe ich um in dir zu singen
Miguel Ildefonso
Übersetzung: Reinhard Becher