
|© Jackson Hendrik; Mick Astner
Zwei Lyriker, einer aus Rumänien und der andere aus Deutschland, beantworten dieselbe Frage „Können Gedichte visueller sein als Filme und welche Rolle spielt der Film für dein Schreiben?” Hendrik Jackson und Ștefan Manasia im Dialog.
Hendrik Jackson
Vor allem in den ersten Büchern („einflüsterungen von seitlich“ + „Dunkelströme“) hat Film eine enorme Rolle für mein Schreiben gespielt. Ich habe ja Filmwissenschaft studiert und über den russischen Meisteregisseur Alexander Sokurov eine Abschlussarbeit geschrieben. Grundsätzlich ist meine lyrische Arbeit weniger visuell als akustisch. Mich interessieren aber die verschiedenen Schichten von Wahrnehmung, vor allem das Unsichtbare. Hierbei kommt mir das „Kulissenhafte“, das Inszenierte des Films entgegen, auch seine Ausschnitthaftigkeit. Es ermöglicht mir, mich auf Visuelles zu beziehen, ohne eine falsche, lebensweltliche „Authentizität“ ins Gedicht einzuschleusen.
Filmzitate stellen also eher einen erweiterten Referenzrahmen her, können romantische settings aufrufen oder bestimmte Bewegungen der Perspektive verdeutlichen (Kameraeinstellungen, Panoramaschwenks, Zooms etc). Das dynamisiert das Gedicht und kann quasi im Vorüberziehen unbewusste, unsichtbare Einflüsse einsickern lassen.
Vor allem aber sind es die korrelierenden oder kontrastierenden Geräusche, die mich dabei faszinieren. Geräusche im Gedicht (wie im Kino) heben die Auseinandersetzung, das philosophische Fragen, dass ich in der Poesie auf seine spezifische Weise am Werk sehe, auf ein anderes, geistigeres, zugleich rein sensOHRisches wie auch inwendiges Plateau, auf dem ich mich freier und leichter bewege. Ein TOHR zu andern Welten, sagt der tölpende Tor in mir, und trifft doch fast den Ton.
In manchen Filme erreicht die Zeit fast einen Stillstand, es ergeben sich flirrende Bilder, die fast anzuhalten scheinen. Ich habe das versucht, durch Statik im Gedicht auch zu erreichen, durch Gedichte, die rückbezüglich an den Anfang knüpfen und nur ganz sanft noch schwingen. Das erzeugt die Illusion eines Klassizismus, der sofort wieder Risse bekommt und feinste seismographische Erschütterungen aufzuzeichnen imstande ist.
Ștefan Manasia
Jahrhunderte lang war die Lyrik etwas Statisches, in einer gemütlichen Langsamkeit erstarrt. Zumindest nimmt sie der unruhige, hyperstimulierte Leser von heute als solche wahr. Doch als Homer in seiner Ilias Achilles Schild beschreibt, der von der silberfüßigen Thetis gebracht wird, setzt er Bilder in Bewegung, wie kein anderer vor ihm: die von Hephaistos eingravierten Szenen, realistisch und mythisch dargestellt, spielen sich wie Filmsequenzen vor meinen Augen ab, und höchstwahrscheinlich vor den Augen der Athener und Epheser vor mehr als zwei Jahrtausenden. Es gibt bei Homer also eine Art Vorwissenschaft der siebenten Kunst. Das Epos ruft Bilder und Sinneseindrücke hervor, wie es nur ein gut artikulierter Hollywood Blockbuster heutzutage schafft.
Wir überspringen nun zwei Jahrtausende und sind beim
Self-Portrait in a Convex Mirror (1974), die lyrische Hommage (wenn auch ein bisschen platt) von John Ashbery an die gleichnamige Malerei des Künstlers Parmigianino aus dem Jahr 1524. Nun aber erscheint Ashberys Ekphrasis als ungenießbar, trist, devotional (ach, so viel Optik und Physik kannte Parmigianino!),
überholt – wie einige der Abschnitte in den Tagebüchern von Radu Petrescu, die übertrieben malerisch wirken. Was ich damit sagen möchte ist, dass in Homers Ilias die Filmkunst
at its best anzutreffen ist. Kein Wunder, dass in der aktuellen betont visuellen Gesellschaft der Film zur dominaten Kunstform wird. Die posthumanen Barden werden sie entweder umgehen, mit dem Ego eines Ashberys, oder sie zu einem Versepos umschreiben, und so lange zerlegen und wieder zusammenbauen, bis sie die Technik dahinter verstehen und sie sich aneignen. Geradezu filmisch dargestellt sind die Tagebücher von Cărtărescu oder die Gedichte der achtziger und nuller Generation in der rumänischen Literatur. Ach, die Gedichte! Manchmal streng wie ein iranischer Film, wild und
dirty wie ein Film von Asia Argento, vergeistigt wie der Sumpf oder der Regen in einem Tarkovsky Film... Ich lese oft zeitgenössische Lyrik und finde bei Dichtern aus unterschiedlichen Kulturen eine fast filmische Schreibweise, visuell und intensiv zugleich. Der emphatische, narzisstische und elitäre Stil ist obsolet. Die narrative, filmische Schreibweise hat schon seit Homer mit Offenheit, Neugierde und Wissen zu tun. Das Gedicht kann visueller sein – da es intimer und subtiler ist – als der Film. Ein Gedicht wie
Lupe von Roberto Bolaño hat keinen Gegner in der Filmkunst, egal wie lange, wo und wann man suchen wird...
Im Rahmen des diesjährigen TIFF-Filmfestivals, während einer Nacht mit russischen
Screenings, zeigte man
Idi i smotri von Elem Klimov, einer der schockierendsten Kriegsfilme, der jemals gedreht wurde. Es ist mir sofort aufgefallen, dass ich diesen vor dreißig Jahren schon einmal im Kino gesehen hatte. Ich war damals noch Schüler, aber ich erinnere mich ganz genau, wie stark mich dieser Kinobesuch verwandelte - genetisch, emotional und ästhetisch. So ein Film geht einem richtig unter die Haut, genauso wie ein literarisches Werk. Klimov, Tarkovski, Pasolini, Bergman, Buñuel, Herzog, Truffaut, Pintilie, Jarmusch, Gus van Sant, Larry Clark, Moodysson, Lanthimos haben mich in meiner Schreibweise beeinflusst und mich gezwungen, die Welt und die Kunst anders als auch nur literarisch zu betrachten. Sie haben mir geholfen, meine Gedichte zu vollenden – schamanische Projektile für die Retina und das Gehör des Lesers, der, so wie ich oben schrieb, unruhig und hyperstimuliert ist.